Islamische Theologie

Profile in Deutschland

Ein zusammenfassender Blick auf die jüngste Entwicklung der Islamischen Theologie in Deutschland, die Probleme an den neu geschaffenen Fakultäten und die Ansätze und Arbeitsweise an den theologischen Standorten in Deutschland.

17
06
2013
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Die Etablierung islamischer Theologie in der deutschen Hochschullandschaft begann keineswegs erst mit der Empfehlung des Wissenschaftsrates im Jahr 2010. Bereits im Jahr 2005 übernimmt Sven Kalisch die erste Professur für die „Religion des Islam“ an der Universität Münster und war damit beauftragt die ersten Religionslehrer für den bekenntnisorientierten Islamunterricht auszubilden. Schließlich folgte die Ernennung von Harry Harun Behr im Jahr 2006 zum Professor der „Islamischen Religionslehre“ an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im gleichen Jahr trat Ömer Özsoy die Stiftungsprofessur für „Islamische Religion“ an der Goethe-Universität in Frankfurt an. Zwei Jahre später folgte die Ernennung von Bülent Uçar zum Professor der „Islamischen Religionspädagogik“ an der Universität Osnabrück. Als Nachfolger von Sven Kalisch tritt Mouhanad Khorchide im Jahr 2010 die Professur der „Islamischen Religionspädagogik“ an. Das jüngste „Zentrum für islamische Theologie“ an der Universität Tübingen hat seine Tätigkeiten erst im Oktober 2011 mit Professor Omar Hamdan aufgenommen.

Mit diesem kurzen Überblick dürfte eines klargeworden sein: Es tut sich was. Der strukturelle und inhaltliche Aufbau der islamischen Theologie an den deutschen Hochschulen schreitet voran. Die Frage, die an dieser Stelle gestellt werden soll, ist, inwieweit schon zu diesem Zeitpunkt theologische Profile und Leitgedanken der jeweiligen Standorte bzw. Hochschullehrer erkennbar sind. Dass es „die“ islamische Theologie weder in der Geschichte gab, noch in der Gegenwart gibt, sollte gemeinhin bekannt sein. Die Pluralität der verschiedenen „Denkschulen“ ist nicht nur ein gegenwärtiger Wunsch, sondern eine urislamische Realität. Die politische Perspektive auf die Etablierung der islamischen Theologie in Deutschland soll in diesem Rahmen außen vor gelassen werden.

Viele der Standorte für islamische Theologie haben bzw. hatten bis vor kurzem enorme Schwierigkeiten, die offenen Stellen mit geeigneten Wissenschaftlern zu besetzen. Vor allem in den ersten Jahren der Institute waren diese lediglich mit einem Professor besetzt. Alle Zentren, so wie die islamische Theologie in Deutschland insgesamt, stecken also noch in ihren „Kinderschuhen“. Daher ist die Frage nach einer theologischen Profilbildung an den verschiedenen Standorten nur bedingt und vorsichtig anzugehen. Die verschiedenen theologischen Profile, die hier in ihren Ansätzen dargestellt werden sollen, stützen sich jeweils auf eine zentrale Figur an dem jeweiligen Standort. Manchmal äußern die Hochschullehrer relativ klar ihre theologische Ausrichtung, die sie in ihrer Tätigkeit verfolgen. In diesem Rahmen sollen die theologischen Profile von Mouhanad Khorchide, Bülent Uçar, Harry Harun Behr und Ömer Özsoy dargestellt werden. Der Standort Tübingen ist im Vergleich zu den anderen Zentren noch sehr jung, weshalb es zu dem jetzigen Zeitpunkt verfrüht wäre, theologische Perspektiven ausfindig machen zu wollen.

Das Theologieverständnis eines jeden Theologen ist natürlicherweise ein Teil sowie Resultat der eigenen Biografie. Auf diesen Umstand verweist Mouhanad Khorchide und beschreibt u. a. seine negativen Erfahrungen als palästinensischer Flüchtling in Saudi-Arabien und die positiven Erfahrungen in Österreich, als ein prägendes Element seines gegenwärtigen Islamverständnisses. Die unterschiedlichen und gegensätzlichen Erfahrungen waren zugleich der Antrieb für ihn, neben Soziologie in Wien auch ein Fernstudium der Theologie an einer libanesischen Universität zu beginnen. Auf die Frage, von welchen theologischen und pädagogischen Prinzipien sich Khorchide in seiner Tätigkeit leiten lassen wird, antwortete er in einem Interview: „Ich werde eine humanistische Theologie vertreten. Meiner Auffassung nach ist die Religion für den Menschen da – und nicht umgekehrt der Mensch für die Religion. Darum liegt mir an einer Theologie, die nach den spirituellen ebenso wie den Alltagsbedürfnissen des Menschen fragt. Es geht nicht um die Vermittlung von Gesetzen und Dogmen. Ich will ein Islambild vermitteln, das nichts mit einer Gesetzesreligion zu tun hat. Ein solches theologisches Verständnis lässt sich zudem bestens mit den Prinzipien des Verfassungsstaats und dem Leben in einer pluralen Gesellschaft vereinbaren.“ ((http://de.qantara.de/wcsite.php?wc_c=4111)) In seinem aktuellen Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ beschreibt Khorchide die „Theologie der Barmherzigkeit“ und versucht anhand des zentralen Begriffs „Barmherzigkeit“ seine Theologie zu entwerfen. Die Theologie der Barmherzigkeit sieht er in aller Deutlichkeit als eine Alternative zur „Theologie des Gehorsams und der Angst“, die er in Saudi-Arabien aber auch sonst in der islamischen Welt verbreitet sieht. Als einer der wenigen hat Khorchide auf diese Weise sein Theologieverständnis relativ offen und umfangreich dargelegt und wurde noch in naher Vergangenheit für seine Thesen heftig kritisiert. Nicht zuletzt deswegen, weil es für die meisten Muslime einen vermeintlich neuen bzw. ungewöhnlichen Ansatz verfolgt und bekannte bzw. anerkannte theologische Prinzipien in den Hintergrund rückt, sondern auch die Rückkopplung zur Basis der Muslime anscheinend noch nicht ausgereift ist. Es scheint so, als ob zu schnell zu viele „Dogmen“ zugunsten einer „neuen“ Theologie relativiert wurden und somit nicht nur die Idee an sich, sondern auch das Vertrauensverhältnis zur muslimischen Basis Schaden genommen haben.

Unweit von Münster lehrt Bülent Uçar als Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Uçar ist in Deutschland geboren und hat Islamwissenschaft, Politische Wissenschaft und Privatrecht mit Rechtsvergleich an der Universität Bonn studiert. Seine Habilitationsschrift handelt über die „Moderne Koranexegese und die Wandelbarkeit der Scharia in der aktuellen Diskussion der Türkei“. Das Theologieverständnis von Uçar prägen vor allem die zwei Begriffspaare „Theologie der Mitte“ und „Innovation in Tradition“. Allein von diesen Begriffen lässt sich ein zurückhaltender, ausgewogen-vorsichtiger Standpunkt ableiten, der sich mit den folgenden Aussagen Uçars deckt: „Wir in Osnabrück werden uns nicht an einer abgehobenen Überfliegertheologie im Elfenbeinturm orientieren, sondern legen Wert auf Bodenhaftung und Akzeptanz an der Basis.“ ((http://www.islamische-zeitung.de/index.cgi?id=16260)) Die Akzeptanz von der muslimischen Basis ist ihm auch deshalb wichtig, weil die Absolventen schließlich in den Gemeinden und Schulen arbeiten sollen. ((http://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/frontnews/2012/11/06)) Die Betonung der theologischen Bodenhaftigkeit ergänzt Uçar um den Aspekt der „Erneuerung“: „Wir wollen Wandel und Erneuerung, aber innerhalb eines tradierten Rahmens.“ ((http://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/frontnews/2012/11/06)) Dabei ist für ihn auch klar, dass „der Islam in Deutschland ein neues Gesicht bekommen wird“. ((http://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/frontnews/2012/11/06)) Die in erster Linie grundständige Ausrichtung mit Blick auf einen behutsamen Wandel scheint wohl auch dem Umstand verschuldet zu sein, dass eben die islamische Theologie in Deutschland noch im Begriff ist zu entstehen. Darauf weisen auch folgende Worte Uçars: „Theologie bedarf des Tiefgangs, um nicht in der Gefahr zu stehen, abzuflachen, oder in Extremismus umzuschlagen.“ ((http://www.welt.de/politik/deutschland/article110445149/Durchbruch-bei-der-Akademisierung-des-Islam.html)) Uçar verfolgt bisweilen eine behutsame Gangart, die in erster Linie auf solide Grundlagenforschung und auf die Zusammenarbeit mit der muslimischen Basis setzt. Es bleibt abzuwarten, wie gut der Spagat zwischen „Tradition“ und „Innovation“ gelingen wird.

An der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt und forscht Harry Harun Behr als Professor für Islamische Religionslehre. Behr studierte an der LMU München „Didaktik des Deutschen als Zweitsprache mit Türkisch als Fremdsprache“ im Lehramt und promovierte in Bayreuth zum Thema „Curriculum Islamunterricht. Analyse von Lehrplanentwürfen für islamischen Religionsunterricht in der Grundschule“. Während eines Aufenthalts in Indonesien trat Behr im März 1981 zum Islam über. Bei den Ausführungen von Behr lassen sich besonders zwei Eigenschaften hervorheben, zum einen ein relativ häufiger Rückbezug auf den Koran und zum anderen der Blick auf die Lage in den islamischen Kernländern. Beides scheint ihm wichtig zu sein. In seiner Rede zur Eröffnung des Departements Islamisch-Religiöse Studien sieht Behr die Aufgabe der islamischen Theologie darin, „den Islam vor der feindlichen Übernahme durch seine eigenen Anhänger zu schützen.“ ((ZRLI, Heft 12, 6. Jg., Dez. 2012. http://www.izir.de/images/docs/zrli_12_06_2_heft_12.pdf)) Dabei verweist Behr auf den politischen Missbrauch des Islams durch die Regime des Nahen Ostens in den vergangenen Jahrzehnten. ((Ebd.)) Zudem kritisiert er auch „neosalafistische“ Bewegungen als „Neuerfindung von Traditionen“. ((Ebd.)) Weiterhin beschreibt er die Aufgabe der Theologie „in der Rahmung wissenschaftlicher Regelleitung […] normative Setzungen vorzunehmen für das, was richtig ist und was falsch ist […]“. ((Ebd.)) Behr betont die drei Prinzipien „as-salām“ (der Friede), „al-ʿadl“ (die Gerechtigkeit) und zuletzt „al-ʾamn“ (die Sicherheit), die er für eine „Reformulierung“ des Islams als wichtig erachtet. Dabei stellt er wiederum fest, dass die islamische Welt gerade in diesen Punkten „nicht wirkliche gut aussieht“. ((Ebd.)) Behr fordert mehr Mut aufzubringen, den Koran als ein „historisches Diskursdokument“ zu lesen und nach der Situation seiner Entstehung zu fragen. Je besser das gelingt, desto besser wird es auch gelingen, heutige Situationen mit der Tradition und umgekehrt in einen fruchtbaren Dialog zu bringen. ((Vgl. Ebd.)) Behr scheint mit den drei Prinzipien die Rahmenbedingungen für einen „Paradigmenwechsel“ im „muslimischen Denken“ im Gegensatz zu den meisten islamischen Ländern in Deutschland für gegeben zu sehen. Dazu verlangt er Mut zur einer historischen „Relektüre“ des Korans. Interessant wäre es auch zu erfahren, aus welcher genauen Position heraus die islamische Theologie ihre „Schutzfunktion“ in Anspruch nehmen soll und inwiefern das in seinem Pluralen Verständnis möglich ist.

Ömer Özsoy war zunächst Stiftungsprofessor für Islamische Religion und ist seit Mai 2012 Professor für Koranexegese an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Özsoy studierte an der theologischen Fakultät in Ankara „Systematische Theologie und Islamische Philosophie“ und machte dort sowohl seine Promotion als auch Habilitation. Sein Habilitationsthema war „Textgenese und geschichtliche Dimensionen des Koran“. Als einer der wenigen hat Özsoy eine „volltheologische“ Laufbahn hinter sich. Die „Ankaraner Schule“ zu der Özsoy gezählt wird, gilt als eine verstärkt „rationale“ Schule. Bei einem Professor für Koranexegese verwundert es nicht, dass er mit seinen theologischen Perspektiven stets den Koran im Auge hat und aus diesem heraus neue theologische Perspektiven für die Gegenwart aufzeigt. Ähnlich wie Behr verweist Özsoy auf den historischen Kontext des Korans: „Ich gehe davon aus, dass die Muslime von Beginn an den Koran als etwas historischen und mündliches angesehen und wahrgenommen haben“. ((http://de.qantara.de/Modernes-Islamverstaendnis-statt-Missionsgedanke/855c818i1p97/index.html)) Aus dieser Betrachtungsweise arbeitet Özsoy umstrittene neue Blickwinkel beispielsweise zum „Kopftuch“ heraus: „[…] Diese Textstelle bezieht sich offensichtlich auf eine bestimmte semitisch-arabische Gewohnheit, die eher gesellschaftlich als religiös angelegt war und nach der die freien, verheirateten Frauen sowieso ihre Haare bedeckt hatten. Diese Frauen sind später durch den Koran dazu aufgefordert worden, mit ihren Tüchern auch ihr Dekolleté zu bedecken. Diese Aussage in Sure 24 folgt also der alten Tradition, der vorhandenen Sittlichkeit der Araber, nach der Frauen bereits in vorislamischer Zeit Kopftuch trugen. […]“ ((Ebd.)) Er betont auch gleich das „[…] Diese historische Hinterfragung führt uns natürlich zu abweichenden Ergebnissen, als wenn wir den Koran wörtlich und geschichtslos lesen würden. […]“ ((Ebd.)) Auf der Institutseite wird das wissenschaftliche Profil des Instituts als „eine selbstreflexive Islamische Theologie“ beschrieben „die sich der Pluralität der Lebenswelten“ bewusst ist. Özsoy sieht es also für unerlässlich den koranischen Kontext zu hinterfragen, um schließlich auch daraus Antworten auf gegenwärtige Fragen zu finden.

Wie in diesem relativ kurzem Überblick deutlich geworden ist, können wir uns auf eine plurale Denk-und Arbeitsweise in der akademisch-islamisch-theologischen Landschaft einstellen und einen spannenden theologischen Diskurs erwarten.