Ramadan als bloßes Hungern und Verdursten zu verstehen wird dem Geist dieses Monats nicht gerecht. Darauf macht Jasser Abou Archid aufmerksam. Er sieht den Ramadan als einen Monat, der den Menschen viele positive Dinge gibt.
Wie in jedem Jahr wurde in diesen Tagen der Beginn eines Monats eingeläutet, der sich in besonderer Weise von den restlichen Monaten des Jahres unterscheidet. Über 30 Tage lang treten die Muslime im Ramadan in den Zyklus einer Religiosität hinein, die nicht nur durch Fasten und religiösen sowie rechtschaffenen Handlungen geprägt ist, sondern stark von sozialer Zusammenkunft und innerer Spiritualität begleitet wird. Der Ramadan scheint für uns eine Pforte zu einer unglaublich reichlichen moralischen Dimension zu sein. In den folgenden Zeilen soll Aufschluss darüber gegeben werden, wie der Ramadan positive Erfahrungen für einen praktizierenden Muslim mit sich zieht.
Wie im heiligen Koran (3:183) festgehalten wurde, zielt der Ramadan vor allem durch das Fasten auf die Stärkung der Gottesfurcht (taqwā) hin. Durch die unterschiedlichen Deutungen des Begriffes taqwā durch muslimische Gelehrte könnte man konstatieren, dass damit eine gottgefällige Lebensführung bezeichnet werden soll, die einem praktizierenden Muslim Seligkeit und zugleich Schutz vor dem jenseitigen Höllenfeuer garantiert.
Im Ramadan findet sich diesbezüglich eine breite Palette an rechtschaffenen Handlungen, die eine Stärkung der taqwā bewirken. So wird der Fastende zunächst für die Situation notleidender Menschen sensibilisiert, die aufgrund von wirtschaftlichen Umständen, Naturkatastrophen oder Kriegen nicht genug zu essen oder zu trinken haben. Andererseits bewirkt die individuelle oder kollektive Koranrezitation sowie Verrichtung der Gebete am Tag und in der Nacht eine Stärkung des inneren Glaubensgefühls (imān). Derartige Umstände animieren einen Muslim zu einem hohen Grad an Rechtschaffenheit in seinem Leben, die sich z.B. durch ein höheres soziales Engagement oder einer besseren Praktizierung der gottesdienstlichen Handlungen zeigt. Hierbei sollte man den Ramadan allerdings als Ansatz nutzen, um die Rechtschaffenheit nicht nur auf den Moment zu beschränken, sondern über das ganze Jahr hinweg fortzuführen, auch wenn sie gelegentlich etwas abnimmt. Nicht umsonst heißt es in einem Ausspruch des Propheten: „Die beliebtesten (guten) Taten bei Allah sind solche, die regelmäßig verrichtet werden, auch dann, wenn sie gering sind“ (Muslim).
Neben der Solidarität mit bedürftigen Menschen fördert das Fasten die Selbstdisziplin und den Ausgleich im Leben. In besonderer Weise ist das Fasten eine Übung, um einen übermäßigen Nahrungsmittelverzehr, der nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Ursache für unterschiedliche Krankheitsbilder darstellt, zu vermeiden. Diesbezüglich lautete bereits die Anweisung des Propheten Muḥammad (s) vor mehr als 1400 Jahren: „Es gibt keinen Behälter (hier: der Magen), den der Mensch in derart übler Weise füllen kann, als seinen Bauch. Dem Sohne Adams genügen einige Bissen, um seinen Rücken aufrecht zu halten. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, dann sollte er ein Drittel des Magens für sein Essen, ein Drittel für sein Trinken und ein Drittel für sein freies Atmen vorsehen“ (At-Tirmiḏī).
Selbstdisziplin als Konsequenz des Fastens kann weiterhin zur Folge haben, dass man sich bestimmten Dingen entzieht, die einer Beeinträchtigung der Gesundheit gleichkommen und besonders in zivilisierten Gesellschaften verbreitet sind. Dazu zählt zweifellos der Tabakrauch, dessen Konsum aus islamischen Gründen nicht nur aus Gründen der Geldverschwendung, sondern ebenfalls aufgrund der negativen gesundheitlichen Folgen äußerst bedenklich ist.
„Der Gläubige (muʾmin) im Verhältnis zu einem anderen Gläubigen gleicht einem fest zusammengefügten Bau, [dessen Bausteine] sich gegenseitig anziehen“ (Buḫarī). In dieser Weise beschrieb der Prophet Muḥammad (s) den Zusammenhalt, den die muslimische Umma in der Regel als charakteristisches Merkmal tragen sollte. Interne Streitigkeiten aufgrund von verschiedenen theologischen Ansichten, politischen Motivationen oder persönlichen Neigungen führen jedoch leider immer wieder dazu, dass die erwähnte Anweisung des Propheten (s) von den Anhängern seiner Botschaft nicht beherzigt wird.
Im Zuge dieser gelegentlichen Disharmonie erscheint der Ramadan, um die Muslime an den wichtigen Grundsatz des Zusammenhalts und der gegenseitigen Achtung zu erinnern. Denn in diesem Monat erfolgt das Fasten vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang nach einem einheitlichen Muster, der für die Muslime auf dem gesamten Globus ungeachtet ihrer Nationalität, Kultur, ihrem sozialen Status und selbstverständlich auch ihrer theologischen Ausrichtung verbindlich ist. Dass diese Vielfalt eigentlich eine untergeordnete Rolle spielen sollte, zeigt sich, wenn die Muslime gemeinsam das Fasten brechen oder abends das Tarāwīḥ- und Tahaǧǧud-Gebet in der Moschee verrichten und dabei diesen Differenzen keinen erheblichen Wert beimessen.
Kurz gesagt: Was man aus dem Ramadan mitnimmt ist nicht eine bloße Enthaltung von Nahrungsmitteln, Getränken und sexuellem Genuss, sondern eine Reihe von positiven Erfahrungen auf individueller, glaubenspraktischer und sozialer Ebene!