Interview

„Religiöse Autorität lebt von Glaubwürdigkeit “

Prof. Dr. Bülent Uçar ist muslimischer Theologe und seit kurzem Träger des Bundesverdienstkreuzes. Im Interview mit IslamiQ berichtet Uçar über seine Anfänge, traurige Schicksalsschläge und über die Verleihung eines Ehrenpreises.

13
10
2015
Prof. Dr. Bülent Uçar
Prof. Uçar bei der Deutschen Islam Konferenz © Dirk Enters / Deutsche Islam Konferenz

IslamiQ: Ihnen wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie persönlich?

Prof. Dr. Bülent Uçar: Niemand von uns hat in den letzten Jahren dafür gearbeitet, um irgendeinen Preis zu erhalten. Dennoch habe ich mich über diese Ehrung und das damit einhergehende Renommee natürlich sehr gefreut. Zuwendungen dieser Art tragen zur Anerkennung einer Person bei. Das Bundesverdienstkreuz ist schließlich die höchste staatliche Auszeichnung in unserem Land. Ich bin glücklich, dass durch diese Wertschätzung, unsere Arbeit mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Diesen Preis habe ich stellvertretend für das Institut für Islamische Theologie in Osnabrück (IIT) und das Avicenna Studienwerk angenommen. Dahinter steckt nicht nur ein mühsamer, alltäglicher persönlicher Einsatz. Vielmehr ist all das, wofür ich gewürdigt wurde, das Produkt von Herzblut und eines hart arbeitenden Teams im Hintergrund. Diese Reputation gebe ich weiter an das IIT und an die vielen Unterstützer und Säulen im Avicenna-Studienwerk. Insbesondere meine Rolle als Vermittler zwischen der muslimischen Basis, den muslimischen Gemeinschaften, der Wissenschaft und der Politik werde ich weiterhin forcieren. Schließlich wurde diese Brückenfunktion als ein Argument für die Auszeichnung angeführt.

IslamiQ: Wenn Sie auf Ihre Laufbahn zurückblicken: womit sind Sie zufrieden und womit eher unzufrieden?

Uçar: Meine Arbeit habe ich immer als Engagement gesehen, Engagement für die muslimische Community und für den sozialen Frieden in der deutschen Gesellschaft, weshalb ich seit jeher leidenschaftlich sieben Tage die Woche arbeite. Mein Glück ist, dass ich nicht zwischen Beruf und Berufung unterscheide. Das Magister-Studium der Islamwissenschaft in Bonn habe ich in nur 5 Semestern absolviert, danach erfolgreich promoviert und gleichzeitig als Lehrer für Islamunterricht gearbeitet. Auch meine Habilitationsschrift in Erlangen habe ich parallel zu meinem Vollzeitjob im Schulministerium in Düsseldorf fertiggestellt. Oft mussten meine Feierabende, die Wochenenden und Urlaubstage dafür genutzt werden. Natürlich hatte ich eine sehr gute Betreuung. Ich möchte hier nur zwei Namen nennen: Prof. Dr. Stefan Wild und Prof. Dr. Mathias Rohe.

Unmittelbar danach wurde ich an die Universität Osnabrück berufen. Ich war damals einer der jüngsten Professoren Deutschlands. Als ich in Osnabrück anfing, gab es nur eine Professur, zwei Mitarbeiter, einen Schreibtisch und einen Telefonapparat. Heute ist das IIT von seiner Ausstattung her das größte Zentrum für Islamische Theologie in Deutschland. Neben dem Aufbau einer Struktur, der Berufung von Kollegen, der Einbindung neuer Mitarbeitern, der Erstellung von Curricula und der Akkreditierung, der Einwerbung von Drittmitteln und dem Bewerben der Studiengänge ist es uns gelungen, das Vertrauen der muslimischen Basis und Institutionen zu gewinnen. Gleichzeitig haben wir zahlreiche internationale Symposien, Tagungen, Ringvorlesungen etc. organisiert, Schulbücher fertiggestellt und wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Außerdem geben wir seit sechs Jahren durchgängig die bislang einzige islamtheologische Zeitschrift Deutschlands heraus. Öffentlichkeitsarbeit gehört genauso zu unserem Auftrag, wie Nachwuchsförderung, Weiterbildung und Politikberatung, ebenso wie die universitäre Kooperation und Vernetzung. All das wäre ohne die Unterstützung der Politik, der muslimischen Religionsgemeinschaften, der Medien und Verantwortungsträger in der Verwaltung nicht möglich gewesen. Aufgrund meiner zahlreichen Verwaltungsaufgaben habe ich in den letzten Jahren wenig Zeit für Forschung gehabt. Hier würde ich mir wieder mehr Freiräume wünschen. Auch wünsche ich mir mehr Zeit für meine Kinder.

Vielleicht noch etwas persönliches: All das was ich geleistet habe, verdanke ich meiner verstorbenen Frau. Sie hat mir stets immer loyal und innig den Rücken freigehalten und mich in meinen unterschiedlichen Bestrebungen unterstützt. Ohne ihre Liebe wäre vieles, sehr vieles von dem Aufgezählten nicht möglich gewesen.

IslamiQ: Was können Sie jungen Muslimen in Deutschland empfehlen, die sich ebenfalls für die Gesellschaft engagieren, denen aber Anerkennung durch die Gesellschaft bisher versagt bleibt?

Uçar: Sie sollten sich ein Ziel setzen und systematisch, dauerhaft darauf hinarbeiten, authentisch bleiben und sich niemandem anbiedern, ein eigenes Profil und Konturen haben, aber zugleich sich als Teil des Ganzen verstehen. Denn ohne Profil ist man immer ein opportunistischer Mitläufer und das sollte kein Wissenschaftler sein. Das soziale Engagement eines Muslims für die Gesellschaft aus einer religiösen Motivation ist meines Erachtens immer auch ein Beitrag zum Gemeinwohl. Alles andere wäre eine Verzerrung des Islams.

IslamiQ: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der islamischen Theologie und Religionspädagogik in Deutschland aus?

Uçar: Das kommt auf die Akteure an. Es ist eine große Chance und Herausforderung zugleich. Viel Kritik höre ich von Studierenden und Muslimen in den Gemeinden über die überproportional einseitige Ausrichtung der Islamischen Theologie in Deutschland. Langfristig bin ich sehr optimistisch. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in der kemalistischen Türkei. Der Staat war lange Zeit viel zu abwehrend und bevormundend. Man hat sich zu sehr von einem pseudo-progressiven Aufklärungswahn treiben lassen. Mit der Zeit haben sich diese Fakultäten durch eine natürliche Selektion jedoch in der theologischen Mitte wiedergefunden. Ähnliches beobachte ich auch in Deutschland. Das Pushen bestimmter Themen und das Engagement der Medien und Politik ist in diesem Kontext sehr auffällig. Sie ist sicherlich wohlgemeint und angstbegründet, aber nicht hilfreich.

Inhaltliche Debatten über die Grundlagen eines Glaubens aus der normativen Binnenperspektive können nur Menschen führen, die sich auch in diesem System selbst verorten und nicht jene, die dieses letztlich als Märchen bezeichnen. Neben der Wissenschaftlichkeit ist Vertrauen die entscheidende Komponente in der Theologie. Das ist auch notwendig, da nur auf diese Weise glaubwürdig normativ Bewegung in die Praxis der Gläubigen kommt. Theologischer Wandel ist das Ergebnis einer seriösen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung vom Glaubenden selbst, und nicht von medial aufgebauschten, marginalen Pseudo-Diskursen, die im Grunde an der muslimischen Realität völlig vorbeigehen. Religiöse Autorität lebt von Glaubwürdigkeit. Der paternalistische Grundzug ist hier also nicht hilfreich. Gleichzeitig sollte man auch darüber nachdenken alternative Strukturen aufzubauen. Wir haben schließlich zahlreiche theologische Hochschulen in Trägerschaft der beiden großen und auch kleinen Kirchen oder etwa der Jüdischen Religionsgemeinschaft. Ich sehe hierin keine Konkurrenz, sondern eine weitere Bereicherung des theologischen Spektrums.

IslamiQ: Ein aktuelles Thema zum Schluss: Morgen beginnt das Jahr 1437 nach der Auswanderung (Hidschra). Aktuell müssen auch viele Muslime aus ihrer Heimat auswandern. Sehen Sie da eine Parallele?

Uçar: Die Flucht als Ereignis ist sicher bei beiden Gruppen gleich, in der Motivlage besteht vermutlich eine Diskrepanz. Die Prophetengefährten mussten auswandern aufgrund ihrer religiösen Orientierung und Lebenshaltung. Heutige Muslime flüchten, da sie meistens politischen, ideologischen und kriegerischen Konflikten ausweichen, die zwar religiös überladen sind, aber faktisch sozio-ökonomische und kulturelle Hintergründe haben. In unserer Gegenwart haben wir es im Gegensatz zu den beiden Auswanderungen der Prophetengefährten eher mit innermuslimischen Konflikten zu tun. Häufig existieren aber auch wirtschaftliche Hintergründe.

Für mich zeigen aber die Konflikte, dass man sie rechtzeitig vor Ort lösen muss. Wenn man die Migrationsursachen vor Ort und Stelle bekämpft, dann müssen Menschen ihre Heimat nicht verlassen. Und kein Mensch verlässt gerne seine vertraute Umgebung, um dann über gefährliche Fluchtrouten in ein fremdes Land zu reisen.

Leserkommentare

otto sagt:
Für mich zeigen aber die Konflikte, dass man sie rechtzeitig vor Ort lösen muss. Wenn man die Migrationsursachen vor Ort und Stelle bekämpft, dann müssen Menschen ihre Heimat nicht verlassen. Und kein Mensch verlässt gerne seine vertraute Umgebung, um dann über gefährliche Fluchtrouten in ein fremdes Land zu reisen.t
hier hätte mich interessiert WIE die Konflikte vor Ort denn gelöst werden können. Hier hätte die Theologie ja mal zeige können was sie leisten kann.
16.10.15
15:17
Azrael sagt:
Wie glaubwürdig ist denn Herr Ucar, wenn er sich, hinter vorgehaltener Hand und den Kulissen, jahrelang gegen die Theologie der Barmherzigkeit gestellt hat, aber jetzt mit Mouhanad Khorchide in verschiedenen Bereichen zusammenarbeitet? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit jungen Theologie-Studenten, wo Ucar erklärte er könne wegen des Buches Nachts nicht schlafen. Schläft er jetzt besser, nachdem er das Kreuz erhalten und seine Haltung geändert hat?
19.10.15
14:58