Die etlichen Moscheeangriffe und die islamfeindlichen Übergriffe erschüttern Muslime in Europa. Was hinter der Feindschaft steckt und was die europäischen Rechten damit zu tun haben, erklärt Matthew Goodwin von der Universität Kent.
Nach den Terroranschlägen in Paris im vergangenen Jahr wurden in Frankreich mindestens 26 Moscheen beschossen, mit Molotow-Cocktails und Handgranaten beworfen oder mit Schweineköpfen geschändet. Einem Bericht zufolge hat sich die Zahl der Hassverbrechen gegen französische Muslime gegenüber 2014 verdreifacht. In Schweden wurden binnen einer Woche drei Moscheen angegriffen. Polizeistatistiken aus Großbritannien weisen für 2015 einen Anstieg der Hassverbrechen um 18% gegenüber 2014 aus. Die Rate religiös motivierter Hassverbrechen stieg sogar um 43%. Neue Forschungsergebnisse aus den Niederlanden zeigen, dass mindestens jede dritte Moschee bereits von Vandalismus und Brandstiftung betroffen war oder Drohbriefe erhalten hat. Der Fall eines 33-Jährigen, der vor kurzem eine von Kindern und Erwachsenen besuchte Moschee mit einer Brandbombe bewarf, ist hierfür ein typisches Beispiel.
Solche Anfeindungen und Angriffe hinterlassen eine tiefgreifende Verunsicherung in den muslimischen Gemeinschaften. Vor allem unter jungen Muslimen tragen sie zu wachsender Verbitterung, Entfremdung und dem Gefühl bei, in der westlichen Gesellschaft an den Rand gedrängt zu werden.
Was aber steckt hinter der wachsenden Feindseligkeit? Angriffe auf Moscheen und Muslime in Europa lassen sich einerseits als Ausdruck wachsender Furcht vor Terrorismus und einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit deuten – als eine Art „Gegenoffensive“ weißer Einheimischer angesichts der angeblichen Bedrohung ihrer Lebensweise. Diese Situation beschreibt der Wissenschaftler Roger Eatwell als „kumulativen Extremismus“. Dabei agitieren Extremisten, bspw. Anhänger rechtsextremer Gruppierungen, zum Teil gewaltsam gegen eine andere Form des Extremismus, hier den IS-Terror.
Beide Formen beeinflussen sich gegenseitig und setzen eine Spirale der Gewalt in Gang, wie sie seinerzeit bereits in Nordirland oder Südafrika zu beobachten war.
Andere, wie Leonard Weinberg, meinen zudem, die nächste Welle der Gewalt in Europa werde durch eine Form der Politik des Gegenschlages radikaler nationalistischer Gruppen ausgelöst. Diese wollten durch Gewaltakte und Feindseligkeit gegenüber religiösen Gemeinschaften ihre allgemeine Ablehnung wachsender ethnischer und kultureller Vielfalt zum Ausdruck bringen.
Derartige Gruppierungen agieren jedoch in einem breiteren Kontext. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung wichtig, dass das politische Klima in Europa für Anti-Immigrations- und besonders Anti-Islam-Bewegungen wesentlich günstiger geworden ist, was mit der ökonomischen und demografischen Entwicklung zusammenhängt.
Eine auch nach 2008 andauernde Wirtschaftskrise heizt die Sorge um knappe Ressourcen wie Arbeit, Wohnraum und staatliche Fürsorgeleistungen an. Das stagnierende Wirtschaftswachstum in der Eurozone spiegelt sich vor allem in der hohen Jugendarbeitslosigkeit, die mancherorts über 40% beträgt. Unter diesen Umständen fallen rechtsextreme Parolen wie „Muslime/Flüchtlinge nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ auf fruchtbaren Boden.
Die Flüchtlingskrise 2015 hat die ohnehin bestehenden starken Bedenken in Bezug auf die Einwanderung nach Europa und ihrer Auswirkungen auf die Jobentwicklung und gesellschaftlichen Werte nochmals unterstrichen.
Die Ankunft von mehr als einer Million Flüchtlinge im Jahr 2015 und einer vergleichbar hohen Anzahl in den ersten Monaten des Jahres 2016 begünstigte den Aufstieg von Anti-Immigrations- bzw. Anti-Islam-Parteien, da sich immer mehr Wähler von diesen Vorgängen bedroht fühlen.
Am deutlichsten zeigte sich dies vermutlich in den jüngsten Landtagswahlergebnissen der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD). Auch Meinungsumfrageergebnisse spiegeln das neue Unterstützungsniveau, das diese Parteien erreichen. Die österreichische FPÖ, die öffentlich gegen den angeblich wachsenden Einfluss des Islams mobil gemacht hat, liegt derzeit in den Umfragen ebenso vorn wie Geert Wilders‘ Partei für die Freiheit in den Niederladen, die mit 15% einen deutlichen Vorsprung auf ihren stärksten Konkurrenten hat.
Für das bevorstehende Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU ist die wachsende Besorgnis im Hinblick auf Einwanderung, Flüchtlinge, aber auch die Rolle des Islams und der Türkei in Europa ebenfalls bedeutsam. Diejenigen Wählergruppen, die am wahrscheinlichsten für den „Brexit“ stimmen werden, vertreten durchweg die ablehnendste Haltung gegenüber Immigration und Flüchtlingen.
Abgesehen von einem derzeit günstigen politischen Klima muss auch die Zersplitterung der europäischen Rechten berücksichtigt werden, die in den letzten Jahren eine Reihe von Parteien und Gruppierungen hervorgebracht hat, die ihrerseits die bestehenden Vorurteile gegenüber dem Islam anheizen. Neben bekannten politischen Parteien wie dem von Marine Le Pen geführten französischen Front National oder Geert Wilders‘ PVV gibt es inzwischen immer mehr aktive Basisbewegungen, die Wahlpolitik bewusst vermeiden. Gruppen wie Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) versuchen mit Demonstrationen, Protestpolitik und indirekter Druckausübung auf etablierte Politiker Unterstützung für ihre Strategie zu gewinnen.
Ein weiteres Beispiel ist das finnische Netzwerk „Soldaten Odins“, das sich Anfang 2016, etwa zur Zeit der heftigen Debatte um die Angriffe auf Frauen in Köln, bildete. Diese Bürgerwehr will nach eigenen Angaben Europas christliches Erbe, seine Werte und Lebensweise schützen.
Solche Gruppierungen wurzeln in dem erweiterten „Counter-Jihad“-Netzwerk, das, unterstützt von finanzstarken und gut organisierten Aktivisten in den USA, ab 2009 auch in Europa auftrat. Ziel ist der Aufbau einer proletarischen „Straßenarmee“, mit der sich Widerstand gegen die vermeintliche „Islamisierung“ westlicher Gesellschaften mobilisieren lässt. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Parteien ist die Grenze zur Gewaltbereitschaft bei diesen Gruppen oft fließend.
Nicht immer ist die von diesen Gruppierungen vertretene Ideologie jedoch das Hauptmotiv für Gewaltanwendung. Von denjenigen, die sich rechtsextremen Gruppen angeschlossen und Gewalttaten gegen Muslime und andere Minderheiten verübt haben, waren einige zuvor kleinkriminell oder suchtkrank. Forschungsergebnisse aus Deutschland etwa legen den Schluss nahe, dass diese Faktoren oft ausschlaggebender sind als ein geschlossenes ideologisches Weltbild, das darüber hinaus meist fehlt.
Auch aus der Deradikalisierungsarbeit mit rechtsextremen Gewalttätern wissen wir, wie wichtig nicht-ideologische Faktoren wie die Herausnahme aus dem sozialen Umfeld, die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und eine funktionierende Paarbeziehung sind. Diese Erkenntnisse sind für diejenigen nützlich, die der Gewalt entgegentreten. Auch von politischen Entscheidungsträgern und Regierungen, die die Triebkräfte der Islamophobie oft nicht angemessen einschätzen und nur unzureichende Mittel bereitstellen, um dieses anhaltende gesellschaftliche Problem anzupacken, sollten sie ernster genommen werden.