









Wie sind die gewalttätigen Übergriffe gegen Muslime und Moscheen zu bewerten? Warum nicht nur rechte Parteien dafür verantwortlich gemacht werden können und was Muslime dagegen tun sollten, erklärt Politikwissenschaftler Dr. Farid Hafez im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Sprengstoffanschläge in Dresden, Schüsse in Remscheid. Nur zwei Beispiele an Moscheeangriffen der letzten Zeit. Ist es selektive Wahrnehmung oder werden Moscheeangriffe immer gewalttätiger?
Dr. Farid Hafez: 2015 wurden mehr als 1000 Attentate und 100 Brandanschläge auf Unterkünfte geflüchteter Menschen im deutschen Bundesgebiet vermerkt. Das heißt, es gibt insgesamt einen steigenden Trend im Hinblick auf rassistische Gewalt. Die beiden Beispiele, die sie geben, zeigen, dass die Intensivierung der Dimension der Gewalt auch im Hinblick auf den antimuslimischen Rassismus zutrifft. Inwiefern von einer Steigerung gesprochen werden kann, ist schwierig, da es bislang keine Zahlen zum Vergleich auf einer Zeitskala gibt.
IslamiQ: Wie ist denn die hohe Anzahl der Moscheeangriffe der letzten Zeit zu bewerten?
Hafez: Der Schritt zwischen einem gewaltsamen Wort und einer gewalttätigen Tat ist eine Frage der Konsequenz. Der Terrorist Anders Behring Breivik war nicht nur ein Terrorist, sondern ein Terrorist, der seine Tat auf Wahnvorstellungen über eine Islamisierung Europas gebaut hatte. Sein Akt des Terrors war aus seiner Sicht eine Verteidigung. Betrachtet man die ausufernde Sprache gegenüber dem ‚muslimischen Anderen‘, dann ist die Frage der Gewalt nicht mehr weit. Das gilt sowohl für soziale Foren wie auch für rechtspopulistische Kampagnen. Hier regiert eine Sprache der Gewalt. Und die nährt sich aus einer eher kultivierten rassistischen Sprache. Erinnern wir uns an Sätze wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, der eine breite Akzeptanz findet, so steckt darin ein Kern der Ausgrenzung. Die gewalttätige Ausgrenzung geht dann mehrere Schritte weiter, indem sie zuerst das Ausgegrenzte nicht mehr unter sich akzeptiert und es in weiterer Folge vernichten will.
IslamiQ: Auch Angriffe auf Muslime häufen sich. In Wien wurde eine Frau geschlagen. ENAR gab an, dass Musliminnen die ungeschütztesten Personen Europas sind. Dennoch halten sich viele zurück und machen die Vorfälle nicht publik. Welchen Ratschlag haben Sie an die Betroffenen?
Hafez: Es braucht zum einen ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus, in diesem Falle Islamophobie. Zum anderen braucht es ein Empowerment und Information darüber, welche Rechte ich habe. Wenn ein Ungerechtigkeitsempfinden gepaart mit Information, wie ich mich zur Wehr setzen kann existiert, dann wird demokratischer Widerstand ermöglicht. Die Communities können das unterstützen, indem sie den Betroffenen Mut zusprechen und sie auf einen legalen Konsens hinweisen, das diese Rassismen eigentlich verbietet.
IslamiQ: Wie kann man die steigende Islamfeindlichkeit langfristig eindämmen? Wurden die nötigen Schritte eingeleitet?
Hafez: Das ist keine kleine Frage. Der Rassismus ist ein jahrhundertealtes Phänomen und wird nicht übermorgen verschwinden. Dazu braucht es viele Anstrengungen, angefangen von Kinderliedern, über Schulbücher, bis hin zu einer Sensibilisierung zum Sprechen. Aber all das wird nur dann geschehen, wenn sich auch Machtverhältnisse verändern. Denn Rassismus ist nicht nur ein Vorurteil. Islamophobie basiert nicht auf einer Unkenntnis des ‚Islams‘ oder der ‚Muslime‘. Vielmehr geht es um ein Herrschaftsverhältnis, in dem die Dominanzgesellschaft die imaginierte Minderheit viel zu wenig zu Wort kommen lässt, wenig Anerkennung schenkt und real nicht mitentscheiden lässt.
IslamiQ: Rechtsextreme Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ verzeichnen immer mehr Zulauf. Dabei richten sie sich gezielt an Jugendliche und gegen Muslime und sind real und virtuell sehr gut organisiert. Sind die wachsenden Strukturen der rechtextremen Szene überhaupt noch nachvollziehbar?
Hafez: Zu den Erfolgsrezepten der „Identitären Bewegung“ gehört, dass sie sich kulturell dem Mainstream angepasst hat und sich linke politische Aktionsformen angeeignet hat. Statt rechtsextremer Gewalt werden Proteste wie medienwirksame Störaktionen gewählt. Zudem hilft es, dem Geruch des Rechtsextremismus fernzubleiben, wenn Mode und Sprache gängige Stilmittel enthalten und kein Image der Vorgestrigen verkörpern.
IslamiQ: Wahlerfolge der islamfeindlichen AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich zeigen einen beängstigenden Trend. Ist der islamkritische Populismus in Europa ein Garant für politische Erfolge?
Hafez: Ich würde dem etwas provokativ die islamophoben Handlungen von regierenden Parteien entgegenstellen. Kopftuchverbote gab es in Deutschland ohne AfD. Ein Islamgesetz gibt es in Österreich auch ohne die FPÖ. Ja, einerseits sind diese islamohpoben Populismen ein gewisser Garant für politische Erfolge. Und: Nein, mich beunruhigen weniger die dezidiert islamfeindlichen Positionen der Parteien, die der Neuen Rechten zuzurechnen sind. Mich beängstigen eher die aus der Mitte kommenden islamophoben Handlungen, über die es scheinbar eine sachliche Debatte gibt, an der verschiedene Milieus in der Gesellschaft teilhaben, ohne mit dem Verruf in Verbindung gebracht zu werden, hier rassistisch zu handeln.
IslamiQ: Sie sind Mitherausgeber des ersten europaweiten Berichts über Islamophobie, der 2016 erschien. Warum erst jetzt?
Hafez: Das Leben ist eine Sammlung ungeplanter Synergien. Die Idee eines Berichts wurde über einem türkischen Kaffee, den ich mit einem alten Freund getrunken habe, geboren. Eigentlich hätte es das seit dem 11. September 2001 geben sollen.
IslamiQ: Sprachwissenschaftler wie Dr. Elisabeth Wehling lehnen den Begriff „Islamophobie“ ab, da Phobien in anderen Kontexten oftmals nachvollziehbar sind (Klaustrophobie etc.). Was halten Sie von dieser Kritik?
Hafez: Das ist ihr gutes Recht. Aber ich denke, es wurde zu viel deutschsprachige Tinte in der Auseinandersetzung um diesen Begriff vergossen. Ich finde es amüsant, dass im Zusammenhang mit dem Begriff der Homophobie derartige Debatten nicht aufgetaucht sind. Und das sagt einiges aus. Dennoch: Am Ende kommt es in den Sozialwissenschaften nicht darauf an welches Wort man verwendet, sondern wie man einen Begriff definiert, also was wir darunter verstehen, damit meinen. Der Begriff Antisemitismus ist rein sprachlich betrachtet auch Unfug. Aber wir haben uns darüber verständigt, was wir grob betrachtet darunter verstehen. Ebenso halte ich es mit dem nun bereits 20 Jahre alten Begriff der Islamophobie. Sie ist für mich ident mit dem Begriff des antimuslimischen Rassismus. Ich verstehe darunter eine Ausgrenzung des tatsächlich oder vermeintlich Muslimischen, das essentialisiert und herabgewürdigt wird, um bestehende Machtpositionen zu stabilisieren und zu erweitern.
IslamiQ: Mit einem „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ wollen die CSU und die sächsische CDU das konservative Profil der Union schärfen. Wie ist dieser „patriotische“ Aufruf der u. a. auf das „abendländische Wertefundament“ pocht, aktuell zu bewerten?
Hafez: Im Detail erlaube ich mir keine Bewertung, weil ich den Begriff nicht kenne. Aber meist verwenden politische Akteure derartig schwammige Begriffe als politische Kampfbegriffe, mithilfe derer Einschließungs- und v. a. Ausschlussmechanismen befeuert werden sollen. Das ist der Fall für die angeblich „christlich-jüdische Tradition“ des Abendlandes, ein Hohn gegenüber den Jahrhunderte dauernden Pogromen gegen Jüdinnen und Juden und im Wesentlichen eine Fiktion, die darauf abzielt, das Muslimische und andere Einflüsse im Werden des Westens als Wesensfremd auszuschließen. Der Versuch von Mitte-Rechts-Parteien, die nunmehrige erfolgreiche rechtspopulistische Herausforderung, die AfD, rechts zu überholen, würde lediglich den Effekt haben, dass es zu einem immer gehässigeren und gewalttätigeren Klima kommen würde.
Das Interview führte Esra Lale.