Unter dem Motto „Wir sind mehr“ protestierten Zehntausende Menschen in Deutschland. Unter ihnen war Tuba Neslihan Yıldırımcı. Ist es überhaupt sicher, als kopftuchtragende Muslimin gegen Nazis zu demonstrieren? Ein Erfahrungsbericht.
Ich hatte viele Fragen im Kopf. Ich hatte es nicht einmal meiner Mutter gesagt. Sie wusste zwar, dass ich an einer Demo teilnehmen werde, aber sie wusste nicht, dass ich gegen Rechtsextremisten demonstrieren werde. Würde sie das wissen, hätte sie mich davon abhalten wollen. Bevor ich aus dem Haus ging, betete ich zu Gott. Ich hatte Angst. Ich bin eine erkennbare Muslimin und werde gleich vor Nazis stehen. Doch ich muss dort sein, möchte Gesicht und Präsenz zeigen.
Als ich am Platz ankam, hat mich die Menschenmenge tief berührt. Ich war den Tränen nahe. Außer mir waren weitere Tausende auf der Demo. Sie alle riefen „Nazis raus, Nazis raus.“ Ich war mit meinen Sorgen nicht alleine. Es gab viele Menschen in Deutschland, die nicht rassistisch waren und meine Sorgen und Ängste nachvollziehen konnten.
Als ich meinen Freunden von der Demonstration erzählte und ihnen vorschlug, zusammen dahin zu gehen, fielen die Antworten negativ aus. „Nein, wir können nicht mitkommen, es könnte uns etwas zu stoßen, unsere Eltern erlauben es uns nicht“, lauteten die Antworten. Ich konnte es nicht verstehen.
Bei der Demo versuchte ich mich durch die Menschenmenge nach vorne zu bewegen. Von weitem sah ich die Demonstranten der NPD, sie waren dort nur zu viert. Ein weiterer Grund an diesem Tag, die mir Freude bereitete.
Die Menschen um mich herum lächelten mir zu. Einige von ihnen schauten mich komisch an. Den Grund für die schiefen Blicke, konnte ich mir nicht erklären. Ich schaute mich um, suchte nach einer Frau mit Kopftuch. Ich sah Familien, kleiner Kinder mit ihren kleinen Demonstrationsschildern in der Hand. Jubelnd und fröhlich. Ich sah Jungs mit Rasterzöpfen, ich sah Männer in Anzügen, Studenten, Mütter und Omas. Letztendlich sah ich eine Frau, die ein Kopftuch trug und bewegte mich zu ihr. Ich begrüßte sie und wir kamen schnell ins Gespräch. Sie war viel energischer, schrie sogar lauter als ich. Wir schrien „Nazis raus!“. Je lauter wir wurden, je energischer unser Auftreten war, desto aggressiver schauten uns die Polizisten an. Doch wir demonstrierten weiter in voller Rage.
Nach knapp einer Stunde wurden die Rechtsextremisten unter Polizeischutz vom Platz verabschiedet. Als wir uns entschieden nach Hause zu gehen, ging eine ältere Dame an uns vorbei und sagte: „Ja genau, ihr seid das Volk!“. Und verschwand in der Menschenmenge.
Es war ein schönes Gefühl zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich für die Vielfalt in der hiesigen Gesellschaft einsetzen. Andere jedoch nutzen jede Gelegenheit um uns Muslime verbal anzugreifen, vor allem wenn wir alleine auf der Straße sind.
Ich lebe nun seit 26 Jahren in Deutschland. Wisst ihr, was ich mir wünschen würde? Ich will endlich in Deutschland, in meiner Heimat ankommen und mich als ein Teil dieser Gesellschaft fühlen. Manchmal denke ich, dass das nur ein Traum ist und vielleicht sogar unmöglich erscheint, wenn ich beobachte, was alles in der vergangenen Zeit passiert ist. Aber eines verspreche ich. Ich werde alles dafür tun, damit meine Kinder keinen Rassismus erfahren müssen.