Wir sind mehr!

„Ja genau, ihr seid das Volk!“

Unter dem Motto „Wir sind mehr“ protestierten Zehntausende Menschen in Deutschland. Unter ihnen war Tuba Neslihan Yıldırımcı. Ist es überhaupt sicher, als kopftuchtragende Muslimin gegen Nazis zu demonstrieren? Ein Erfahrungsbericht.

13
09
2018
Demonstration in München © Privat, bearbeitet by IslamiQ
Demonstration in München © Privat, bearbeitet by IslamiQ

Ich hatte viele Fragen im Kopf. Ich hatte es nicht einmal meiner Mutter gesagt. Sie wusste zwar, dass ich an einer Demo teilnehmen werde, aber sie wusste nicht, dass ich gegen Rechtsextremisten demonstrieren werde. Würde sie das wissen, hätte sie mich davon abhalten wollen. Bevor ich aus dem Haus ging, betete ich zu Gott. Ich hatte Angst. Ich bin eine erkennbare Muslimin und werde gleich vor Nazis stehen. Doch ich muss dort sein, möchte Gesicht und Präsenz zeigen.

Als ich am Platz ankam, hat mich die Menschenmenge tief berührt. Ich war den Tränen nahe. Außer mir waren weitere Tausende auf der Demo. Sie alle riefen „Nazis raus, Nazis raus.“ Ich war mit meinen Sorgen nicht alleine. Es gab viele Menschen in Deutschland, die nicht rassistisch waren und meine Sorgen und Ängste nachvollziehen konnten.

Als ich meinen Freunden von der Demonstration erzählte und ihnen vorschlug, zusammen dahin zu gehen, fielen die Antworten negativ aus. „Nein, wir können nicht mitkommen, es könnte uns etwas zu stoßen, unsere Eltern erlauben es uns nicht“, lauteten die Antworten. Ich konnte es nicht verstehen.

Bei der Demo versuchte ich mich durch die Menschenmenge nach vorne zu bewegen. Von weitem sah ich die Demonstranten der NPD, sie waren dort nur zu viert. Ein weiterer Grund an diesem Tag, die mir Freude bereitete.

„Nazis raus!“

Die Menschen um mich herum lächelten mir zu. Einige von ihnen schauten mich komisch an. Den Grund für die schiefen Blicke, konnte ich mir nicht erklären. Ich schaute mich um, suchte nach einer Frau mit Kopftuch. Ich sah Familien, kleiner Kinder mit ihren kleinen Demonstrationsschildern in der Hand. Jubelnd und fröhlich. Ich sah Jungs mit Rasterzöpfen, ich sah Männer in Anzügen, Studenten, Mütter und Omas. Letztendlich sah ich eine Frau, die ein Kopftuch trug und bewegte mich zu ihr. Ich begrüßte sie und wir kamen schnell ins Gespräch. Sie war viel energischer, schrie sogar lauter als ich. Wir schrien „Nazis raus!“. Je lauter wir wurden, je energischer unser Auftreten war, desto aggressiver schauten uns die Polizisten an. Doch wir demonstrierten weiter in voller Rage.

„Ja genau, ihr seid das Volk!“

Nach knapp einer Stunde wurden die Rechtsextremisten unter Polizeischutz vom Platz verabschiedet. Als wir uns entschieden nach Hause zu gehen, ging eine ältere Dame an uns vorbei und sagte: „Ja genau, ihr seid das Volk!“. Und verschwand in der Menschenmenge.

Es war ein schönes Gefühl zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich für die Vielfalt in der hiesigen Gesellschaft einsetzen. Andere jedoch nutzen jede Gelegenheit um uns Muslime verbal anzugreifen, vor allem wenn wir alleine auf der Straße sind.

Ich lebe nun seit 26 Jahren in Deutschland. Wisst ihr, was ich mir wünschen würde? Ich will endlich in Deutschland, in meiner Heimat ankommen und mich als ein Teil dieser Gesellschaft fühlen. Manchmal denke ich, dass das nur ein Traum ist und vielleicht sogar unmöglich erscheint, wenn ich beobachte, was alles in der vergangenen Zeit passiert ist. Aber eines verspreche ich. Ich werde alles dafür tun, damit meine Kinder keinen Rassismus erfahren müssen.

Leserkommentare

Kritika sagt:
L. S. Nachdem 2 mutmasslich Muslimische Fremden (sog. Messermänner) einen deutschen Mann durch Messerstiche ermordet hatten, demonstrierten einige thousend Menschen verschiedener Gruppen, u.A. Neonazis, AfD, gegen diesen Mord. Frau Tuba Neslihan Yıldırımcı wollte ebenfalls demonstrieren. Soweit so gut. Nun aber entschied sie sich, durch ihre Aufmachung deutlich zu machen, dass sie Wert darauf legt, als als Sympatisantin oder Mitläuferin der Sekte der Mörder, wargenommen zu werden. Als jemand, die den Koran, aus dem die Mörder ihren vielfach befohlenen göttlichen Auftrag zum Töten "Ungläubiger" ableiten, heilig findet und hinter den Inhalt dieses Buches steht. Das zeugt leider von wenig Taktgefühl. Sie hätte nicht als Propaganda Säule "pro Islam " auftreten sollen, sondern bescheiden dem IslamOpfer ihren Anteil bezeugen können. Ohne das Markenzeichen der Sekte der Mörder, das Kopftuch Hoch zu halten. Als eine Frau, die diesen Mord verabscheut und nur das (und nicht ihre Religion) zeigen will Das hätte Kritika imponiert. Gruss, Kritika
14.09.18
0:50
Dilaver Çelik sagt:
@Tuba Neslihan Yıldırımcı Danke für Ihren Beitrag. Sie müssen niemandem irgendetwas beweisen. Es wird immer Gestalten geben, die mit Ihnen ein Problem haben werden und Ihnen einreden werden, Sie seien nicht integriert, hier nicht angekommen, warum Sie nicht in ein anderes Land ziehen, dass Sie Ihr Kopftuch ablegen müssten etc. pp. Sich mit jenen Gestalten abzugeben ist vergebene Liebesmüh und sinnlose Energieverschwendung. Gehen Sie Ihren Weg und schenken Sie solchen Gestalten keine Beachtung. Das sind sie [sic] nämlich nicht wert. Machen Sie sich bewusst, dass jene Gestalten vielmehr ein Problem mit sich selbst haben und lediglich ihre eigene Unzufriedenheit und Unsicherheit an Ihnen auslassen.
14.09.18
19:57
Kritika sagt:
L. S. » Wir schrien „Nazis raus!“. Je lauter wir wurden, je energischer unser Auftreten war « Vielleicht lag bei der Tuba Neslihan Yıldırımcı eine Verwechslung vor: Es waren keine Nazis, die gerade jemand kaltblutig erstochen hatten, Es waren Messermänner, Muslims so wie sie selber. Mit dem Kopftuch zu demonstrieren, dass sie zu der Sekte der Mörder gehört, findet Kritika unangebracht und taktlos Kritika.
15.09.18
10:06
Kritika sagt:
L.S. Auf dem Podest steht - - deutlich zu erkennen - - ein Mann, der eine Weiss-Rot-Weisse Fahne trägt, mit der Aufschrift NPD. Die Buchstaben sind in Spiegelschrift einzeln und deutlich erkennbar. Mindestens 3 weitere solche Fahnen sind da. Auf was für eine Demo war denn die Tuba Neslihan YıldırımcıTuba eigentlich? Gruss, Kritika
15.09.18
11:15
Emanuel Schaub sagt:
Kritika ! Schon beeindruckend,wie Sie Ihren detektivischen ? Scharfsinn an die Identifizierung der Fahne verschwenden, Nur mit der Grundtatsache das ein Tötungsdelikt n i c h t mit der Weltanschauung/Religion des Täters in Verbindung gebracht werden darf ,hatt er nicht ausgereicht... Wie viel Christen/Buddhistenetc.töten in diesem Lande ohne dass jemandauf die Idee kommt die Anhäger der religion zu verunglimpfen ,wie Sie es so gerne tun. Im Ernst :was haben Sie eigentlich von Ihren Hass Tiraden??? gruss emanuel
19.09.18
14:38
Kritika sagt:
An Hr. E Schaub Betr. NPD Fahnen Walectra legt Wert darauf, dass Presseberichten und die zugehörigen Bilder, auch die von Islamiq, autentisch und wahr sind. (Unfake) Meine Bemerkung über die 3 NPD-Fahnen (Sie wissen doch hoffentlich über die rechten Vorstellungen dieser Partei) sollte es den Leser leichter machen, den WahrheitsGehalt einzuschätzen. Wenn Ihnen nicht interessiert, ob bebilderte presseBeiträge echt oder fälscht sind, können Sie meine Bemerkung RE NPD-Fahnen gerne ignorieren. Gruss, Kritika
25.09.18
0:39
Kritika sagt:
Herr E. Schaub schreibt an Ktitika: Nur mit der Grundtatsache das ein Tötungsdelikt n i c h t mit der Weltanschauung/Religion des Täters in Verbindung gebracht werden darf , hatt er nicht ausgereicht... Kritika kommt diese Bemerkung recht wirr vor. Meinten Sie etwas Bestimmtes damit? Herr ESchaub? Was denn ? Gruss, Kritika
25.09.18
0:44
Kritika sagt:
L.S. An E,Schaub Kennen Sie die Sektenangehörigkeit dessen, der in einer Französischen Kirche einen katholischen Priester vor allen Gläubigen die Kehle durchgeschnitten hat? Kennen Sie die Sektenangehörigkeit dessen, der in Berlin mit einem Lastwagen 12? Menschen ermordet hat? Kennen Sie die Sektenangehörigkeiten derjenigen, die in Paris die Redakteure von Charly Hebdo kaltblütig ermordet haben? Kennen Sie die Sektenangehörigkeit derjenigen, der in Londen, der in Nice, Brussel, Kopenhagen usw Menschen mit Maschinengewehre, mit Lieferqwagen, mit usw - - - kaltblütig ermordeten? Es waren alle gläubige Muslims. Kennen Sie den Vers: » Euch ist vorgeschrieben, gegen Ungläubige zu kämpfen - - «? Der Vers und Mordauftrag steht schon seit Jahrhunderten im Koran, wurde nie zurückgenommen und bis in die jüngste Zeit von Muslims befolgt. Kritika meint: ohne Islam wäre die Welt weitaus friedlicher. Gruss, Kritika Gruss, Kritika In allen genannten Fällen bekannten sich die Mörder zum Islam und Koran. Wenn Sie Budisten und Christen all Mörder bezeichnen, finden Sie das denn nicht "verunglimpfen"? Kennen Sie auch nur einen Mordfall, der mit den Beispielen oben vergleichbar wäre aber nicht von Muslims sondern von Christen / Buddhisten ausgeführt wurde? Kritika hat kein Verständnis dafür, dass Sie das Erwähnen von MuslimVerbrechen als Hasstiraden diffamieren.
25.09.18
23:28
Tarik sagt:
Kritika verbindet verbale Schlagfertigkeit mit einer gehörigen Portion fundierter und gefestigter Unkenntnis. Der Islamismus in seinen terroristischen Ausprägungen ist ein modernes Phänomen. Externe, nichtmuslimische Beobachter - die nicht wie Kritika durch ein fremden/islamfeindliches Verständnis geblendet sind - wie bsp. John Gray oder Slavoj Zizek haben dies sehr gut erkannt. Das Töten Unschuldiger entspringt ja gerade der säkularen und utilitaristischen Kriegsethik. Lesen Sie mal Clausewitz. Sprich: Der Zweck heiligt die Mittel. So sehr der westliche Liberalismus in Anfällen dreister Selbstgefälligkeit gerne von Menschenrechten spricht, ist die Aufhebung der liberalen Ethik in Krisenzeiten die Regel stets gewesen. Angefangen vom Englischen Bürgerkrieg (Cromwell) über die pariser Kommune - vom 20. jahrhundert mal ganz zu schweigen. Wir sehen das auf anderen Ebenen, wo Gesetze die Rechte der Bürger einschränken. Die radikalen Islamisten sind, wie o.g. Gray sehr treffend aufgeführt hat, idelogisch und methodisch sehr viel näher an den Anachisten des 19./20. jahrhunderts als an das, worauf sie deklarativ beziehen Nehmen sie einen der ideologischen Hauptarchitekten des politischen Islamismus, Maududi (aus Pakistan), der 1:1 Trotzkis Ideologie übernahm und sie islamisch färbte. Für ihn und seinesgleichen war der Dschihad eine bewaffnete Revolution. Und so weiter. Ähnliches lässt sich bei Sayyid Qutb feststellen. Solche wütenden Denker, die in der goldenen Zeit des antikolonialen Befreiungskampfes lebten (der übrigens größtenteils von säkularen Kräften geführt wurde, während die traditionellen Sunniten sich eher damit beschäftigten, wie man das islamische Reche mit der Moderne in Einklang bringen kann. Was sich niederschlug. in Rechtsgutachten, die gemäß dem Gemeinwohl (eines der Instrumente und Werkzeuge des islamischen Rechts) z.B. Autopsie erlaubten etc. pp). Aber der traditionelle Sunnitische Islam konnte nie mit spektakulären Selbstmordaktionen etwas anfangen. Mehr noch: von allen drei monotheistischen Religionen hat sich der Islam am deutlichsten vom Selbstmord distanziert. Während bsp. im Judentum der Heldentod Samsons oder Sauls verherrlicht wurde, finden wir das nirgendwo in den islam. Schriften. Weder fleht Hiob Gott an, ihm endlich sein Leben zu nehmen noch tut dies Jonas im Bauch des Fisches. Der islamische Idealismus konnte schlicht mit solchen Dingen nichts anfangen. Die islamische Ethik besagt, dass Geduld gerade in der Phase gebraucht wird, wenn sie am meisten gefordert ist. Wut ist - die klassischen Texte sind voll davon - ein typisches Anzeichen für die vorislamische Zeit der Dschahiliya (Unkenntnis/Ignoranz) Der Islamismus ist ironischerweise in vielerlei Hinsicht modern. Er ist modern in seinem Streben nach Wissenschaft und seinem Hass auf den Aberglauben. Er ist modern in seiner Ablehnung jeglicher höheren Spiritualität. Er ist modern in seiner Ablehnung von traditionellen Prinzipien und er kann nicht anders, als die Unsicherheiten westlich ausgebildeter Geister (und sind die meisten Islamisten nicht Ingenieure und Ärzte? ) der heiligen Schrift aufzudrücken. Intertextualität und mehrdeutige Lesarten sind für den Islamismus ebenso wie ein Kreis der Weisen ausgeschlossen. Die theologische Politik des klassischen Islam, wo sowohl die Gelehrtheit als auch der Staat durch gegenseitige Spannungen belebt werden (die Männer der Feder und die Männer des Schwertes), wird durch das letztlich westliche Modell des ideologischen totalitären Staates ersetzt. An dessen Spitze steht dann ein selbsternannter Klerus (der allerdings aus Technokraten besteht), der die völlige Kontrolle über die Politik und die Scharia einfordert. Die elementare Vielfalt vormoderner muslimischer Gesellschaften, in denen Dörfer, Stämme und religiöse Minderheiten (Millet-System) sich selbst regulierten, weicht der islamistischen Aneignung der Mechanismen eines postkolonialen Zentralismus. Soziale Untergruppen - die jahrhundertelang beispielsweise unter dem Osmanenreich florierten, der durch zentralistische Kolonialregime bereits ausgehöhlt wurde - werden schließlich durch eine rein westliche Vision, so sehr sie auch von einer lautstarken, religiösen Sprache verhüllt ist, ausgelöscht.
01.10.18
14:13
Johannes Disch sagt:
@Tarik (01.10.18, 14:13) Klasse Ausführungen. Danke.
07.10.18
19:53
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