Verfassungsschutzbericht 2012

Nicht mehr, sondern weniger „Islamisten“ in Deutschland

Die Zahl der Islamisten steigt nach Darstellung von Innenminister Friedrich. Politiker, Experten und NGOs sehen das anders: Friedrich blähe die Zahl mit überflüssigen Beobachtungen auf und schüre Angst.

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06
2013
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Bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts am Dienstag in Berlin hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor den Gefahren aus dem rechtsextremistischen und „islamistischen“ Milieu gewarnt. Besonders die Zunahme von „Islamisten“ auf 42.550 bereite dem Innenminister Sorgen.

Dieser Darstellung widerspricht, Jürgen Micksch von der Groeben-Stiftung. Er äußert Zweifel und warnt vor Panikmache. Der Verfassungsschutz bediene und festige mit solchen Meldungen eine antimuslimische Stimmung in Gesellschaft und Medien. „Damit werden Ängste vieler Deutscher bestärkt“, so Micksch.

Rückgang von Mitgliederzahlen

Nach Abzug der im Verfassungsschutzbericht genannten 31.000 Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und 3.000 unpolitischen Salafisten verbleiben laut Micksch nur noch etwa 9.000 „Islamisten“. „Diese Zahl kann als Rückgang der Mitgliederzahl in islamistischen Organisationen interpretiert werden“, erklärte Micksch.

Ähnlich äußert sich auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Er wirft Friedrich ebenfalls vor, Islamfeindlichkeit zu fördern. Die genannte Zunahme gebe es nicht wirklich, da die Salafisten erstmals hinzugerechnet worden seien. Friedrich habe zudem nicht deutlich genug differenziert, dass nur von einem kleinen Teil der Menschen aus dem islamischen Spektrum eine Gefahr ausgehe.

Öffentliche Debatte gefordert

Micksch: „Aber solche Berechnungen sind verständlicherweise nicht im Interesse des Verfassungsschutzes, bei dem es Sorgen um Stellenkürzungen gibt.“ Es sei eine politische Entscheidung erforderlich, ob die IGMG weiterhin in den Verfassungsschutzberichten genannt werde. Dazu sei eine öffentliche Debatte erforderlich.

Die gab es bereits – wenn auch zunächst zaghaft – in Hamburg. Der Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Manfred Murck hat einem Bericht von Die Welt zufolge sich dafür ausgesprochen, die IGMG aus der Beobachtung des Verfassungsschutzes herauszunehmen.

Unterschiedliche Bewertung

Das sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz etwas anders. Im aktuellen Bericht heißt es: „Seit der Amtsübernahme von (Kemal) Ergün im Mai 2011 befindet sich die IGMG in einer personellen und strukturellen Umbruchsphase. Ergün ist bemüht, die Arbeit der IGMG zu professionalisieren und das Profil der Organisation religiöser auszurichten. Dementsprechend konzentriert er sich auf den Ausbau der religiösen Bildungsarbeit. Dies könnten erste konkrete Anzeichen dafür sein, dass die IGMG tatsächlich bestrebt ist, ihre Position neu zu definieren.“ Die Gesamtbewertung falle jedoch weiterhin negativ aus.

Das sieht die Groeben-Stiftung anders: „Es gibt keine aktuellen Anhaltspunkte mehr, warum die IGMG eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstellen soll.“ Ebenso sprechen sich zahlreiche Experten für ein Ende der Beobachtung der IGMG aus. So etwa der renommierte Ethnologe und IGMG-Kenner Prof. Dr. Werner Schiffauer. In seinem aktuellen Buch „Nach dem Islamismus“ gibt er tiefe Einblicke in die Struktur, das Denken und die Arbeit der IGMG und kommt zu einem klaren Fazit: Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist kontraproduktiv.

Kritik erntet Friedrich auch in Bezug auf seine Einschätzung zu den Salafisten. „Nur weil jemand Salafist ist, ist er noch nicht gewaltbereit“, erklärt etwa Pistorius im Hinblick auf die vermeintlich wachsende Zahl der „Islamisten“. Micksch kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: „Nicht alle Salafisten sind eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“.