Eine Kritik an der Übernahme von Forderungen des Integrationsstaatssekretärs durch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Der institutionalisierte bisherige Dialog verliert mit einer neuen Dialogplattform allein durch seine Struktur an Verbindlichkeit.
Im 100. Jahr des Islamgesetzes haben der Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Dr. Fuat Sanaç Ende Jänner (Januar) 2012 ein „Dialogforum Islam“ eröffnet. Als Zielvorstellung des Forums wird die Etablierung einer „Dialogplattform mit Musliminnen und Muslimen“ und eines Dialogprozesses, „um die Fragen des Zusammenlebens zu thematisieren und Maßnahmen vorzuschlagen“ genannt (S. 2).
Die Begründung, eine „Dialogplattform“ für die „Schaffung eines strukturierten Rahmens für einen offenen Austausch“ (S. 6) zwischen dem Staat und der muslimischen Gemeinschaft einrichten zu wollen, überrascht. Österreich ist das einzige west-europäische Land, das die Realität einer muslimischen Bevölkerung schon vor 100 Jahren anerkannt und dies in einem Gesetz konkretisiert hat. Zudem besteht mit der IGGiÖ seit Jahrzehnten eine Institution, die dem Staat aber auch allgemein der Öffentlichkeit als einheitlicher muslimischer Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Die von Integrationsstaatssekretär Kurz gepriesene „Dialogplattform“ und der in der Zielsetzung genannten „Schaffung eines strukturierten Rahmens für einen offenen Austausch“ (S. 6) besteht demnach schon seit Jahrzehnten und wird in vielen Bereichen auch bereits intensiv genutzt. Sowohl der Integrationsstaatssekretär aber auch anderen politische Verantwortungsträger haben jederzeit die Möglichkeit des direkten Dialogs mit der offiziellen Vertretung der Muslime in Österreich.
Für den institutionalisierten Dialog bedurfte es in Österreich demnach nicht erst der Gründung eines Dialogforums. In Unterschied zum direkten Dialog werden in einem solchen Gremium die anstehenden Fragen, statt sie direkt mit dem vorhandenen Ansprechpartner zu klären, abstrahiert und in einen staatlicherseits unverbindlichen Rahmen getragen. Mit diesem Schritt wird der bestehende Dialog des Staates mit den Muslimen in Österreich um Jahrzehnte zurückgeworfen – nämlich vor die Gründung der IGGiÖ.
Überraschend ist, dass die IGGiÖ willfährig die Zielsetzung des Integrationsstaatssekretärs übernimmt. Statt sich der eigenen Möglichkeiten und der eigenen Rolle als offizieller Vertreter der Muslime in Österreich bewusst zu sein, wird das „Dialogforum“ als Dialog mit „uns“ missverstanden, ohne die tatsächliche Tragweite zu erkennen. Die dokumentierten Ergebnisse des Dialogforums zeigen jedoch, dass es in jeder Phase gerade an Augenhöhe zwischen den Beteiligten fehlt.
Themen und Teilnehmer der Veranstaltung wurden von Seiten des Staatssekretariats bestimmt. Wer in diesem Rahmen mitdiskutieren durfte, war nicht Sache eines beiderseitigen Austauschs, sondern wurde einseitig vorgegeben. Damit entstand eine Asymmetrie des Dialogs, der die IGGiÖ, eigentlich der direkte Ansprechpartner des Staates, zu einem unter vielen anderen Diskutanten macht.
Insbesondere die Themensetzung macht deutlich, dass die Problemstellungen einseitig defizitorientiert ausgesucht und betrachtet werden. Probleme und Defizite werden aus einer bestimmten, kulturalisierenden Perspektive heraus identifiziert. Sie geben die Erwartungen einer vage gelassenen, konstruierten „Öffentlichkeit“ an die Muslime wieder, ohne jedoch die muslimischen Bedürfnisse und Notwendigkeiten zu berücksichtigen.
Fatal ist, dass die IGGiÖ schon durch ihre Teilnahme in einem solchen Kontext und der Hinnahme dieses Agenda-Settings durch das Staatssekretariat die Themensetzung und auch ihre eigene Abwertung akzeptiert und sogar bestätigt. Der darauf aufbauende Diskurs spiegelt nicht den Geist des auf wechselseitigen Respekt beruhenden gleichberechtigten und partnerschaftlichen Zusammenwirkens wieder. Vielmehr führt er den Herrschaftsdiskurs nur in einer anderen Form weiter.
Bei der Themenfestsetzung fehlen folgerichtig auch die Aspekte, die in der jahrzehntelangen IGGiÖ-Arbeit eigenständig identifiziert worden sind. Selbst dort wo sie scheinbar aufgegriffen werden, stellen sie nur eine Beimengung zu anderen, der staatlichen Seite eher relevanteren Themen dar. So kann das Thema Islamfeindlichkeit nur behandelt werden, wenn auch über „den“ Islamismus gesprochen wird. Trotz der Betonung und Häufung von Begriffen wie „beiderseitig“ sind es jedoch immer wieder die Probleme mit den Muslimen, die in dem Dialogforum zur Sprache gebracht werden.
Auffallend ist, dass bestimmte Aussagen aus dem Ende 2012 veröffentlichten Zwischenbericht in dem nun vorliegenden Endbericht nach der damals vorgebrachten Kritik geändert worden sie. In der Zwischenversion des Berichts wurde deutlich, dass in den Arbeitsgruppen-Sitzungen bereits bedeutende Grenzziehungen gemacht worden sind. So wurde von der Erstellung einer Typologie des Islamismus berichtet, die in der entsprechenden Arbeitsgruppe gemeinsam aufgestellt worden sei. Damit haben die beteiligten Muslime bewusst oder unbewusst dem im Umgang mit Muslimen und muslimischen Gemeinschaften vorherrschenden Präventionsansatz Legitimation verschaffen. Statt über diesen Ansatz selbst, über die Darstellung von Muslimen als potentiell gefährlich oder das Postulat der integrationshemmenden muslimischen Religiosität zu diskutieren, wird diese Perspektive sogar noch übernommen und mitgestaltet. Dies geht sogar so weit, dass die Islamfeindlichkeit als Komplement des zuvor konstruierten „Islamismus“ dargestellt wird und somit wiederum auf eine muslimische Ursache zurückgeführt wird. Nicht Ausgrenzungsmechanismen, Rassismus und strukturelle Diskriminierungen werden zur Diskussion gestellt, nicht der Täter wird in das Blickfeld genommen, sondern die vermeintlichen Fehler des Opfers, die zu seiner Ausgrenzung geführt haben sollen (siehe S. 25-29).
In der Konzeptionalisierung des Dialogforums tritt somit eine Grundhaltung zu Tage, nach der Einrichtungen islamischer Religionsgemeinschaften als Milieus dargestellt werden, von denen potentielle Gefahren ausgehen und grundsätzlich Radikalisierungsgefahren bestehen. Dies zeigt sich auch in der Begründung der Forderung nach einer staatlichen Imamausbildung (S. 12). Nicht die Bedürfnisse der muslimischen Gemeinschaft an ihre Imame stehen im Mittelpunkt, vielmehr liegt die Gewichtung darauf, Imame zu Akteuren der Integration zu machen (S.11). Der „Aufbau integrativ wirkender Institutionen wie die Einrichtung eines islamisch-theologischen Instituts“ wird folgerichtig dann auch zur Bekämpfung des vermeintlichen „Islamismus“ empfohlen (S. 28).
Überraschend ist, dass die IGGiÖ offensichtlich im Rahmen dieses Dialogs auf „Augenhöhe“ entweder keinen Bedarf oder keine Möglichkeit gesehen hat, die eigenen Einrichtungen zu erwähnen. In Österreich gibt es bereits etablierte Einrichtungen der Aus- und Fortbildung in der Verantwortung der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die jedoch im Dialogforum keine Berücksichtigung finden. Stattdessen wird für die theologische Ausbildung nur auf eine noch aufzubauende universitäre Theologie verwiesen. Dabei wird jedoch für die Etablierung einer muslimischen Theologie von einer anderen rechtlichen Voraussetzung ausgegangen, als bei der evangelischen oder katholischen Theologie (S. 13). Damit wird von Anbeginn eine Andersbehandlung beschrieben, die an der Möglichkeit der Wahrung des Selbstverständnisses der muslimischen Gemeinschaften Zweifel erwecken.
Immer wieder stößt der Leser in dem Papier auf die Problematisierung von islamischer Religiosität. Der Umstand, dass „der Islam als Teil der Identität“ bei Jugendlichen in den Vordergrund rücken soll, wird auf Fremdzuschreibungen zurückgeführt (S. 18). Dass es sich dabei um ein aus eigenem Antrieb heraus entwickelte Wahl handeln kann, wird dabei außer Acht gelassen. Zudem wird zwar vor der Bildung von Parallelgesellschaften gewarnt, „die nicht als Brücken in die neue Heimat, sondern im Gegenteil als gesellschaftliche Sackgassen wirken“ (S. 22). Nicht erwähnt bleibt jedoch, dass die österreichische Gesellschaft schon bereits aus einer Vielzahl von exklusiven „einheimischen“ Parallelgesellschaften besteht. Die Ausgrenzungsmechanismen und die strukturellen Diskriminierungen, die die Partizipation von Muslimen behindern, werden nicht angesprochen. Somit wird die Verantwortung, Anpassungsbereitschaft und die Bringschuld für Integration weitgehend nur bei Muslimen verortet.
Dieses Missverhältnis von „gemeinsamen“ Anstrengungen tritt besonders mit Bezug zum Thema „Islamismus und Islamfeindlichkeit“ auf. Es ist bezeichnend für die Frage, ob es denn bei diesem „Dialog“ eine gemeinsame Augenhöhe gegeben hat, wenn die IGGiÖ mit diesem „gemeinsamen“ Papier die rechtskonservative Konstruktion übernimmt, die Ursache der Islamfeindlichkeit würde im Islamismus liegen. Der Fokus der Ausführungen liegt auf den Seiten 25 bis 29 eindeutig auf dem Begriff „Islamismus“. Als politischem Kampfbegriff wird unter diesem ein Spektrum gezeichnet, dass von sogenannten „legalistisch“, also nachweislich innerhalb des geltenden Rechts befindlichen Gruppen bis hin zu gewaltorientierten Gruppen (S. 26) reicht. Dieser Diffusität und Pauschalität war sich offensichtlich auch das Forum bewusst: es rät zwar von einer „undifferenzierten oder pauschalisierenden Verwendung dieser Bezeichnung ab“, dennoch wird dieser Begriff innerhalb des Forums eingesetzt.
Die Aufnahme des Themenbereichs Islamfeindlichkeit konnten die beteiligten Muslime offensichtlich nur nach Diskussion und Übernahme des rechtskonservativen „Islamismus“-Konzeptes gewährleisten. Dieses Ungleichgewicht schlägt sich entsprechend auf der Maßnahmen-Seite nieder. Während von Muslimen im allgemeinen und der IGGiÖ im speziellen starke Gesten und konkrete Handlungen eingefordert werden, erschöpfen sich die konkreten „staatlichen“ Ideen gegen Islamfeindlichkeit weitgehend auf den Verweis auf das Antidiskriminierungs- und Strafrecht. Die Rolle von struktureller und institutionalisierter Diskriminierung gegenüber Muslimen, auch die Rolle von populistischen Kampagnen bleibt außen vor. Insbesondere werden für den Staat – im Gegensatz zu den Muslimen – keine konkreten Erwartungen und Handlungsanweisungen formuliert. Den populistisch angehauchten Debattenlinien folgend werden damit Muslime als grundsätzlich problematische Einheiten wahrgenommen, die aufgrund ihres Integrationsdefizits größere Anpassungsleistungen erbringen müssen.
Erklärungsbedürftig ist an dem ganzen Prozess besonders die Haltung der IGGiÖ. Mit ihr verfügen die Muslime in Österreich bereits über ein Instrument, mit dem sie den Dialog mit Ministerien, anderen öffentlichen Stellen und der Gesellschaft im Allgemeinen auf einer institutionellen Ebene führen können. Dabei muss von der IGGiÖ erwartet werden können, dass sie sich von ihrem Selbstverständnis als islamische Religionsgemeinschaft und offizielle Vertretung von Muslimen in Österreich leiten lässt und insbesondere die ihr vom Islamgesetz eröffnete Möglichkeit der Selbstverwaltung der Religion nutzt und ausbaut. Dies ist bisher auch durch den Aufbau von eigenen Einrichtungen wie zum Beispiel zur Lehrerausbildung geschehen.
Selbstverständlich bedürfen solche Einrichtungen einer regelmäßigen Evaluierung und Verbesserung. Dabei müssen neben dem innermuslimischen Bedarf sicherlich auch die gesamtgesellschaftlichen Erwartungen an solchen Institutionen mitdiskutiert werden. Im Dialogforum Islam tauchen diese Einrichtungen als Errungenschaften nicht auf. Vielmehr scheint sich immer mehr eine Haltung abzuzeichnen, die die Bedeutungen dieser für die Pflege und Fortführung des eigenen Bekenntnisses wichtigen Einrichtungen relativiert. Stattdessen wird im Dialogforum die Erwartung formuliert, für die Bekenntnisbildung wesentliche Bereiche aus der Selbstverwaltungssphäre der Religionsgemeinschaft herauszunehmen und der direkten Gestaltung der IGGiÖ nicht mehr zugänglichen Institutionen wie der Universität zu übergeben (S. 12).
Insgesamt fehlt es dem Dialogforum in diesem Zusammenhang an den Fragestellungen, wie die muslimischen Institutionen gefördert und die bestehende Institutionalisierung ausgebaut werden kann. Diese Fragen wurden aber offensichtlich auch nicht von der der IGGiÖ aufgeworfen. Zumindest schlägt sich dies nicht in dem Abschlussbericht nieder. Stattdessen werden eigene bekenntnisgebundene Aufgabenstellungen mit Verweis auf vermeintlich gesamtgesellschaftlich wahrgenommene Integrationsprobleme „unabhängigen“ Stellen zugewiesen.
Bemerkenswert ist, dass die IGGiÖ mit der grundsätzlichen Infragestellung wesentlicher Aspekte ihrer Vertretungskompetenz keine Sorge zu haben scheint. Vielmehr werden diese Erwartungen sogar schon als eigene Positionen übernommen. Diese Haltung schlägt sich auch in den Verhandlungen zu der Novellierung des Islamgesetzes nieder, in denen die notwendigen Schritte zum Ausbau der bestehenden muslimischen Institutionalisierung wie die Deckung des Finanz- und Personalbedarfs im Gegensatz zu den neu gefassten Gesetzen anderer Religionsgemeinschaften erst gar nicht angesprochen und behandelt werden.
Aus Sicht der IGGiÖ muss festgestellt werden, dass viele der im Rahmen des Dialogforums diskutierten Themen nicht Inhalt eines für den Staat unverbindlichen Gesprächs sein können. Vielmehr sollte wieder zurückgekehrt werden zu einem direkten Gespräch mit den zuständigen Ressorts in Politik und Verwaltung, so wie er bisher erfolgreich seit Jahrzehnten geführt worden ist. Es mag sinnvoll sein, manche gesamtgesellschaftlichen Themen im Rahmen eines Dialogforums aufzugreifen. Dafür erscheint jedoch weder die kulturalistisch und am vermeintlich muslimischen Defizit orientierte Konzeptionalisierung des Dialogforums Islam noch seine Zusammensetzung als geeignet.
Die IGGiÖ muss sich grundsätzlich auf ihre Verantwortung als muslimische Religionsgemeinschaft und offzielle Vertretung der Muslime in Österreich besinnen. Hier scheint es erhebliche Defizite zu geben, die die Wahrnehmung des eigenen Selbstverständnisses sowohl im Dialogforum Islam, als auch in den Verhandlungen um die Novellierung des Islamgesetzes behindern.