Das bestehende Kopftuchverbot für Lehrerinnen an niedersächsischen Schulen stößt auf Kritik. Experten und Religionsgemeinschaften sehen darin einen Grund für Diskriminierung und Stigmatisierung. Die Universität Osnabrück beklagt, dass wegen des Kopftuchverbots Studienplätze unbesetzt bleiben.
Wegen mangelnder Lehrkräfte für islamischen Religionsunterricht und weiterhin niedrigen Anmeldungen für das Fach „Islamische Religionspädagogik“ an der Universität Osnabrück machte sich Prof. Dr. Rauf Ceylan vom Institut für Islamische Theologie (IIT) in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Luft: „Viele junge Musliminnen studieren das Fach nicht, weil sie unsicher sind, ob sie ihr Kopftuch an der Schule tragen dürfen.“
Kopftuchverbote als Grund für mangelnde Lehrkräfte? So titelten jedenfalls deutschsprachige Medien. Tatsächlich blieb knapp ein Drittel der zur Verfügung stehenden Plätze für das Fach „Islamische Religionspädagogik“ an der Universität Osnabrück unbesetzt. Eine große Lücke, glaubt man Ceylan, der den Bedarf für muslimische Religionslehrer in Niedersachsen auf ca. 200 schätzt.
Islamischer Religionsunterricht wird seit Beginn des Schuljahres 2013/2014 an niedersächsischen Schulen als ordentliches Fach unterrichtet. Nach Angaben der SCHURA-Niedersachsen gibt es derzeit 30 Lehrkräfte, die in Niedersachsen das bekenntnisorientierte Fach unterrichten. Zwei Lehrerinnen tragen dabei das islamische Kopftuch.
In anderen Fächern müssen Musliminnen jedoch das Kopftuch abnehmen. Sowohl auf dem Schulhof als auch im „normalen“ Unterricht gilt ein strenges Kopftuchverbot an niedersächsischen Schulen. Dieses wurde nach dem berühmten Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall Fereshta Ludin eingeführt.
Doch nicht nur für Lehrerinnen an Schulen gilt das Kopftuchverbot. Die evangelische Kirche erließ ein generelles Kopftuchverbot in ihren Einrichtungen in Niedersachsen. Damit dürfen weder Putzfrauen noch Erzieherinnen ein solches Kleidungsstück in kirchlichen Einrichtungen tragen.
Der stellvertretende SCHURA-Vorsitzende und Sprecher Firouz Vladi kritisiert das Kopftuchverbot an niedersächsischen Schulen. „Wer islamische Religionslehre in Niedersachsen unterrichten möchte, muss ein Lehramtsstudium aufnehmen und sich zusätzlich in einem weiteren Fach, neben islamischer Religionslehre, ausbilden lassen. Doch junge Musliminnen schreckt das Kopftuchverbot davor ab, ein solches Studium aufzunehmen,“ erklärte Vladi gegenüber unserer Redaktion.
Damit bestätigt die SCHURA die Kritik von Prof. Ceylan. Der Spagat zwischen Beruf und Religion, der laut Vladi von den Lehrerinnen verlangt wird, trage zu Gewissenskonflikten bei und verschärfe das Defizit von fehlenden Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht. Zum Kopftuchverbot fand der SCHURA-Sprecher deutliche Worte: „Dieser Umstand ist den Musliminnen nicht zumutbar.“
Birgit Rommelspacher legte bereits 2002 eine wissenschaftliche Arbeit vor ((Birgit Rommelspacher: Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft.; 2002; ISBN 3-593-36863-3)), die sich mit dem Kopftuchstreit in Deutschland auseinandersetzte. Sie kam damals zu dem Schluss, dass das Kopftuch nicht Ausdruck einer Unterdrückung von Frauen sei, sondern vielmehr von jungen, gebildeten Musliminnen getragen werde – auch aus emanzipatorischen Motiven. Das Kopftuch wurde jedoch schon früh aus der Orientalistik heraus als Zeichen für Rückständigkeit und Frauenunterdrückung angesehen, was kritiklos von der Mehrheitsgesellschaft aufgenommen wurde und heute noch eine weitverbreitete Meinung ist.
Prof. Rommelspacher stützt sich in ihrer Bewertung auch auf Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu. Diese hatte zusammen mit anderen Professoren Studien veröffentlicht, die zeigten, dass viele der Frauen, die sich für das Tragen eines Kopftuches entschieden, dies als einen selbstbestimmten Akt sahen.
Karakaşoğlu wiederholte ihre Kritik in einem aktuellen Gespräch mit dem Mediendienst Integration. ((http://mediendienst-integration.de/artikel/kopftuchdebatte-karakasoglu.html)) Ihrer Meinung nach haben nur in wenigen seltensten Fällen die Kopftuchverbote dazu geführt, dass Musliminnen ihre Kopftücher abgelegt haben – was Ziel der Verbote gewesen sei. Karakaşoğlu sieht in den Verboten eine Diskriminierung von Frauen muslimischen Glaubens. Sie haben es sowohl im Studium, als auch im Beruf durch die bestehenden Verbote schwer.
Der neueste Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zeigt indes, dass Musliminnen mit Kopftuch gleich mehrfach von Diskriminierung betroffen sein können. Ungeachtet der Qualifikation der Bewerberin sind laut ADS kulturelle Stereotype und Vorurteile am Größten, wenn eine Frau mit Kopftuch Zugang zum Berufsleben sucht. Die ADS weist vor allem auf „Vorbehalte wegen vermeintlicher negativer Auswirkungen beim Kundenkontakt“ hin.
Gleichzeitig macht die Antidiskriminierungsstelle darauf aufmerksam, dass „landesrechtliche Verbote religiöser Symbole“ problematisch sind. Diese können sich laut ADS negativ bis in den privatwirtschaftlichen Bereich hinein auswirken. Die Antidiskriminierungsstelle fordert, in ihrem Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Diskriminierung, landesrechtliche Verbote religiöser Symbole neu zu diskutieren, da sie „für kopftuchtragende Frauen eine Benachteiligung darstellen.“
Um das Problem zu lösen, sei man in intensiven Gesprächen mit der Landesregierung, so Firouz Vladi. Dabei bliebe man als Religionsgemeinschaften aber realistisch und möchte auch nicht zu forsch auftreten. Offiziell heißt es, man suche „gemeinsam nach einer geeigneten Lösung für die Problematik.“ Hier könnte auch der angestrebte Staatsvertrag mit den muslimischen Religionsgemeinschaften in Niedersachsen Abhilfe schaffen.
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und die SCHURA-Niedersachsen befinden sich seit einiger Zeit in Verhandlungen mit der rot-grünen Landesregierung. Aus Regierungskreisen hieß es, die Verhandlungen würden gut verlaufen. Viele Punkte seien bereits in Gesprächen geklärt worden und ein Abschluss für den Staatsvertrag rücke immer näher. Eine Aufhebung des Kopftuchverbots, teilweise oder ganz, könnte laut Vertretern der Landesregierung auch auf diesem Wege verhandelt werden. Beobachter geben einer solchen Initiative Chancen.
Bis es jedoch soweit ist, müssen Musliminnen, die Kopftuch tragen und ein Lehramtsstudium aufgenommen haben, weiterhin damit rechnen, dass sie nach dem Studium in Niedersachsen nicht mit dem Kopftuch unterrichten dürfen.