Wir sprachen mit dem weltbekannten Umweltschützer Fazlun Khalid über die von ihm gegründete erste islamische Umweltorganisation in Europa, über die Pionierarbeit auf diesem Gebiet sowie den religiösen Antrieb für Umweltschutz.
Fazlun Khalid wurde 1932 in Sri Lanka geboren. Mit der islamischen Umweltorganisation, die er 1994 im britischen Birmingham gründete, leistete er Pionierarbeit. Fazlun Khalid wird heute als der aktivste muslimische Umweltschützer angesehen. Khalid verbrachte den Großteil seines Lebens in islamischen Ländern, um Muslime für die Umwelt zu sensibilisieren. Wir sprachen mit ihm über seine bisherigen Arbeiten und was in Zukunft noch für den Umweltschutz getan werden muss.
Die Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences (IFEES) ist die erste islamische Umweltorganisation in Europa. Bevor sie die IFEES gründeten, arbeiteten Sie für das Innenministerium in Großbritannien. Warum verließen sie die Politik, um sich mit Umweltschutz aus islamischer Sicht zu beschäftigen?
In den 1980ern wurde ich auf einer Umweltschutzkonferenz, auf der Teilnehmer aus der ganzen Welt nach Lösungen für Umweltprobleme suchten, mit der Frage konfrontiert: „Was sagt der Islam zum Thema Umweltschutz?“ Als ich merkte, dass ich keine Antwort auf diese Frage hatte, wurde mir die Wissenslücke in diesem Bereich bewusst. Das konnte ich nicht hinnehmen, ich musste etwas machen. Ich wandte mich an Imame und Gelehrte, doch ich erhielt keine befriedigende Antwort. Deshalb beschloss ich 1990 zu kündigen, um dieses Thema an der Universität Birmingham selbst zu erforschen. Als ich diese Entscheidung traf, war ich 58 Jahre alt; vier Jahre später war 1994 die IFEES gegründet.
Es gibt bereits zahlreiche Umweltorganisationen. Warum haben Sie sich nicht denen angeschlossen, sondern die IFEES gegründet? Was macht den islamischen Ansatz zum Umweltschutz aus? Was unterscheidet die IFEES von anderen Organisationen?
Die IFEES ist im Grunde ein Teil der internationalen Umweltbewegungen. Wir arbeiten mit zahlreichen Umweltorganisationen aus verschiedenen Ländern zusammen. Der Unterschied liegt darin, dass wir Projekte durchführen, um insbesondere die Muslime aufzuklären und zu motivieren. Wir versuchen, die Muslime in verschiedenen Ländern wie Nigeria, Tansania und Malaysia zu erreichen. Unser Ziel ist es, das Umweltbewusstsein zu stärken, in dem wir auf die Quellen im Islam hinweisen. Der Unterschied ist, dass unsere Quellen der Koran und die Sunna sind. Wir arbeiten natürlich auch mit vielen unterschiedlichen Organisationen, von denen ein Großteil aber säkular ist. Doch schließlich ist das ein Thema, das uns alle betrifft, unabhängig von Religion, Sprache und Herkunft.
Sie engagieren sich seit Jahren für die Sensibilisierung der Muslime für die Umwelt. Denken sie, dass Ihre Arbeit erfolgreich ist? Handeln die Muslime umweltfreundlicher oder steht auch bei ihnen der technische Fortschritt so sehr im Mittelpunkt, dass sie die Umweltprobleme ignorieren?
Ich kann im Grunde nicht sagen, dass ich einen großen Unterschied bemerkt habe. Um die Muslime zu sensibilisieren, bereiten wir Unterrichtsmaterialien vor, die auf dem Koran und der Sunna basieren. Es gibt sehr viele Muslime auf der Welt und unsere Organisation ist im Verhältnis dazu sehr klein. Wenn wir Ergebnisse erzielen wollen, müssen wir mit anderen Organisationen zusammen arbeiten. Wichtig ist nämlich, dass wir mehr Menschen erreichen. Dafür brauchen wir natürlich sowohl materielle als auch tatkräftige Unterstützung. Zwar konnten wir schon einige Erfolge verbuchen, aber nicht in dem Ausmaß, in dem wir es gerne hätten. Es gibt noch viel zu tun.
Sie sollen Fischern in der tansanischen Stadt Sansibar mit Hilfe von Auszügen aus dem Koran vieles zum Thema Umweltschutz gelehrt haben – etwas was andere Organisationen in vier Jahren nicht geschafft haben. Das ist ein sehr interessantes Beispiel. Können sie uns von ihren Erlebnissen mit den Fischern in Sansibar erzählen?
Wir sind 1999 nach Sansibar gereist. Die Fischer sagten, dass die Meere leer seien und dass sie ihre Familien nicht mehr versorgen können. Ihre Methoden zu fischen war umweltschädlich. Sie benutzten beispielsweise Dynamit beim Fischen. Wie sie auch in ihrer Frage anmerkten, schafften wir in 48 Stunden, was anderen Organisationen nicht gelang. Anhand von Beispielen aus dem Koran erklärten wir den Fischern, dass ihr Verhalten falsch ist und konnten sie überzeugen, beim Fischen kein Dynamit mehr zu benutzen. Das war für uns eine erfreuliche Leistung. Religiöse Erläuterungen haben einen stärkeren Effekt auf die Menschen. Ihnen waren nicht die Aussagen der Regierung wichtig, sondern die islamischen Grundsätze, an die sie sich dann gehalten haben.
Sie behaupten, dass es zwei Faktoren gibt, die das Umweltverhalten der Menschen bestimmen. Als erstes nennen sie das Konsumverhalten der Menschen und ihren Wunsch schnell an Informationen zu gelangen und Gegenstände zu besitzen. Als zweiten Faktor nennen sie die moralischen Werte. Kann man behaupten, dass das Konsumverlangen generell und in letzter Zeit speziell bei den Muslimen zugenommen hat? Was kann man dafür tun, um die moralischen Werte wieder in den Vordergrund zu rücken?
Wir leben in einer globalisierten Welt. Das Finanzsystem ist ein künstliches System. Sein Einfluss auf das Leben der Menschen ist offensichtlich. Alle möchten erfolgreich und reich sein, Luxusautos fahren und immer das Beste und Neueste besitzen. Das führt natürlich dazu, dass wir mehr konsumieren. Wir können die Muslime nicht außerhalb dieses Systems bewerten. Auch sie konsumieren und sind ein Teil des Finanzsystems. Der Unterschied wird nur dann deutlich, wenn wir uns nach der Sunna unseres Propheten Muhammad (s) richten. Allah warnt uns im Koran. Er sagt, dass er verschwenderische Menschen nicht mag. Der Islam verbietet es den Muslimen jedoch nicht ein gutes Leben zu führen.
Dass diese Gesellschaft sehr verschwenderisch ist, ist natürlich eine Tatsache. Wir haben unsere Verbindung mit der Natur getrennt, was gegen unsere natürliche Veranlagung ist. Wir leben als wären wir nicht ein Teil der Natur. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir ein Teil der Schöpfung Allahs sind und in diesem Bewusstsein handeln. Es ist wichtig, unsere Grenzen zu kennen. Wir müssen also zu den Wurzeln des Islams zurückkehren und dürfen nicht vergessen, dass wir als Statthalter auf der Erde sind und uns die Schöpfung anvertraut wurde.
Hat es früher keine Umweltverschmutzung gegeben? Ist die zunehmende Umweltverschmutzung auf den Anstieg in der Erdbevölkerungszahl zurückzuführen oder hat es eher mit der Einstellung der Menschen zur Umwelt zu tun?
Im Grunde gibt es keinen Unterschied zwischen den Menschen von damals und heute. Die guten und schlechten Eigenschaften sind dieselben, unsere Lebensweise hat sich jedoch geändert. Eine Lebensweise, die wir nicht beibehalten können. Denn wir konsumieren viel schneller. Auch früher sind die Menschen bei Bedarf in die Wälder gegangen, um ein paar Bäume zu fällen. Das Fällen von einigen Bäumen schadete dem Wald nicht so sehr. Heute wird aufgrund der fortgeschrittenen Technologie mithilfe von Maschinen in zwei Minuten eine Fläche in der Größe eines Fußballfeldes gerodet. Die Menschen sind zwar gleich, aber da das System den schnellen Konsum vorantreibt, sind die Konsequenzen nicht dieselben. Aufgrund unseres Konsumverhaltens und den technischen Mittel ist die Umweltverschmutzung heute größer.
Unser Prophet hat zu Lebzeiten mehrere Gebiete zu Harim- (verbotene Gebiete) und Hima-Zonen (Schutzgebiete) erklärt, in denen z. B. das Fällen von Bäumen oder Jagen verboten waren. Er ließ in diesen Schutzgebieten Bäume pflanzen. Was sind die Vorteile von Harim- und Hima-Zonen? In welchen Ländern wird dieses System umgesetzt?
Verbotene Gebiete und Schutzgebiete zeigen, dass im Islam Umweltschutzmaßnahmen nicht nur in der Theorie blieben, sondern praktisch umgesetzt wurden. In Indonesien gibt es Initiativen für eine Hima-Zone. In den Schutzgebieten, also in den Hima-Zonen, dürfen keine Nutztiere gehalten werden. In den verbotenen Gebieten ist das Fällen von Bäumen und das Jagen verboten. Als unser Prophet sah, dass es in der Gegend um Medina kaum Grünflächen gab, hat er dieses Gebiet zum Schutzgebiet erklärt. Dieses System hat viele Vorteile, denn dadurch werden Tiere geschützt, Seen und Flüsse werden nicht verdreckt, Erosionen wird vorgebeugt, Menschen können nicht mit Wasser Handel treiben, etc.
Zu den größten Umweltproblemen zählt heute das Elektromüll. Berichten zufolge landet der Großteil davon in afrikanischen Ländern. Stimmt das? Versuchen die Wohlstandsländer ihr Elektromüll loszuwerden, indem sie es nach Afrika exportieren?
Ja, und es ist eine Schande der Menschheit. Elektromüll stellt einerseits eine Quelle der Hoffnung für die Menschen in Afrika dar, weil sie Teile davon verkaufen können. Andererseits beinhalten die Abfälle Gifte, die ihrer Gesundheit und der Umwelt schaden. Es ist auch nicht bloß Elektromüll, der in Afrika landet. Alle möglichen Abfälle werden nach Afrika exportiert. Das ist nicht hinnehmbar. Der Handel mit Elektromüll ist in fast allen Ländern illegal. Wie kommt es also, dass Tonnen von Elektroschrott trotz Metalldetektoren ungehindert exportiert werden können? Das ist die Frage.
Info: Weil Umweltschutz alle angeht und es insgesamt nur wenig Informationen über muslimische Projekte für den Umweltschutz gibt, widmet sich IslamiQ in einer Themenwoche sowohl dem bevorstehenden „Tag der offenen Moschee“ als auch dem Thema Umweltschutz.