Immer wieder entziehen Jugendämter leiblichen Eltern das Sorgerecht. Weil es aber nicht genügend Pflegeeltern gibt, landen viele von diesen Kindern im Heim. Es fehlt aber auch speziell an muslimischen Pflegeeltern.
Immer öfter greifen Jugendämter bei Gefährdungen des Kindeswohls durch. Laut Statistischem Bundesamt wurden allein im Jahr 2011 knapp 107.000 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls durchgeführt. Und in ca. 38.000 Fällen wurde eine Gefährdung durch die Jugendämter festgestellt. In solchen Fällen wird üblicherweise den Eltern eines Kindes das Sorgerecht entzogen.
Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, brauchen daher Pflegefamilien. Wenn sich keine Pflegefamilie findet, werden die Kinder in Heimen untergebracht. Sie wachsen in diesen Fällen ohne ein echtes Zuhause auf.
Besonders prekär ist die Lage für muslimische Kinder. Oftmals fehlt es nach Angaben von Integrationsministerien an muslimischen Pflegeeltern zur Unterbringung. Das liegt auch daran, dass es unter Muslimen nur wenig Informationen über das Thema gibt.
Dies war auch ein Grund, warum gleich mehrere Religionsgemeinschaften das Thema auf ihre Agenda genommen haben. Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) beispielsweise gab dem Thema in ihrer Zeitschrift „Perspektif“ einen großen Raum – gleichzeitig wurden Informationsveranstaltungen in Moscheegemeinden geplant und durchgeführt. Mittlerweile hat die Zentrale in Kerpen auch eine Ansprechpartnerin für das Thema. Die IGMG tauscht sich in der Sache auch mit Jugendämtern aus, fragt nach Statistiken und bündelt Fälle in Berichten. Die Religionsgemeinschaft arbeitet mittlerweile an einem Umdenken im Umgang von Behörden mit muslimischen Kindern. Dafür gibt es bereits auf lokaler Ebene erste Projekte für die Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitern der Jugendämter.
Und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) will eine Brückenfunktion übernehmen, um die Türken in Deutschland über das Jugendamt zu informieren und umgekehrt. Dabei soll es auch um die Chancen einer Zusammenarbeit gehen. Vertreter der Landesjugendverbände und der Frauenverbände der DITIB sollen in diesem Bereich weiter geschult werden, um Problemfälle auch besser zu erkennen und präventiv zu arbeiten.
Und die mit einem Staatsvertrag ausgestattete Bremer SCHURA informiert die Muslime in einer Veranstaltung in der Fatih-Moschee (18. Oktober, Stapelfeldtstr. 9, 28237 Bremen) über die Möglichkeiten, wie man ein Kind zur Pflege aufnehmen kann. Unterstützt wird sie dabei vom offiziellen Partner der Stadt, der PiB (Pflegekinder in Bremen). Dabei soll es nicht nur um die Möglichkeit der Pflegefamilie gehen, sondern auch um Themen wie Kindertagespflege, Patenschaften und Übergangspflege.
Die Bemühungen der Religionsgemeinschaften kommen nicht von ungefähr. Mittlerweile versuchen auch staatliche Stellen mehr Personen mit Migrationshintergrund zu erreichen. Dabei wird auch versucht Gruppen zu erreichen, die einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund haben. So startete beispielsweise unlängst in Berlin eine neue Kampagne, die speziell Migranten anspricht.
Im Rahmen der neuen Kampagne werden seit September 2013 spezielle Informationsabende für Familien mit Migrationshintergrund angeboten. In kleiner Runde können Interessierte hier zentrale Fragen rund um das Thema Pflegeelternschaft klären. Ein weiteres Kampagnenelement sind Informationsflyer, die sich an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte richten. Darüber hinaus wurde die Homepage www.pflegekinder-berlin.de um entsprechende Punkte überarbeitet und erweitert.
Der Hintergrund für diese Kampagnen, sowohl von staatlicher wie religiöser Seite ist, dass es bundesweit an Pflegeeltern fehlt. Tatsächlich wurden in der Vergangenheit immer wieder Fälle öffentlich, in denen Kinder mit Migrationshintergrund an Pflegefamilien übergeben wurden, die nichts mit den kulturellen und religiösen Wurzeln des Kindes anfangen konnten. In mehreren dokumentierten Fällen wurden muslimische Kinder sogar christlich erzogen und teilweise auch getauft – eine Verletzung des EU-Rechts und geltender Regelungen in Deutschland.
Mehrere Eltern, denen das Sorgerecht entzogen wurde und deren Kinder betroffen sind, klagen mittlerweile gegen den Staat – und das auch mit Unterstützung ihrer Herkunftsländer. Dabei wird auch aus dem Ausland politischer Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, um wenigstens für die Zukunft zu gewährleisten, dass Kinder mit einem klaren kulturellen Hintergrund nicht durch eine Pflegefamilie mit anderem Hintergrund assimiliert und ihrer Wurzeln beraubt werden.
Die Jugendämter selbst verstehen die Aufregung und Problematik. Sie versuchen ihrerseits zu gewährleisten, dass Kinder bei Pflegefamilien unterkommen, die den Wurzeln der leiblichen Eltern am ehesten entsprechen. Doch wenn es an Pflegefamilien fehlt, dann bleiben nur wenige Optionen.