Die Hidschra (Auswanderung) des Propheten Muhammad (s) markiert den Beginn des islamischen Kalenders. Am Neujahrstag gedenken die Muslime der Auswanderung und seiner Bedeutung und machen sich auch Gedanken über aktuelle Entwicklungen.
Es ist ein Wendepunkt in der islamischen Geschichte. Im Jahr 622 (n. Chr.) erlaubt der Prophet Muhammad (s) seinen Weggefährten und Freunden die Auswanderung von Mekka nach Medina. Diese sog. Hidschra war nötig geworden, weil der Druck auf die Muslime in Mekka zugenommen und unerträgliche Ausmaße angenommen hatte. Die Muslime brauchten einen Ort, wo sie ihre Religion frei ausleben und sich frei bewegen konnten.
Dieser Ort war mit Medina schnell gefunden. In den Jahren und Monaten zuvor hatten sich immer mehr Medinenser zum Islam bekannt. Zunächst verließen die Muslime Mekka in kleinen Gruppen, später wurden es immer mehr. Nach kurzer Zeit waren nur noch Muhammad (s) und sein Gefährte Abû Bakr (r) und ihre Familien, als einzige Muslime in Mekka übrig geblieben.
Mekkas Polytheisten wollten angesichts der dezimierten Zahl von Muslimen, dem Propheten eine Falle stellen und ihn ermorden. Muhammad (s) wurde dieses Komplott von Gott offenbart und ihm aufgetragen, auch auszuwandern. Nach einer beschwerlichen Reise erreichte der Prophet zusammen mit Abû Bakr (r) schließlich Medina.
Dort wurde er von den Medinensern herzlich empfangen. Der Prophet schmiedete eine Bande zwischen den Medinensern und den Mekkanern. Die ausgewanderten Muslime wurden zu Geschwistern der Medinenser. Man unterstützte sich gegenseitig und half in solidarischen Gedanken, wo es nur ging.
Die Hidschra ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. Der muslimische Kalender, der sich nach dem Mond richtet, zeigt für den 1. Muharram (4. November) die Auswanderung des Propheten an. Doch die Hidschra kann nicht nur auf diese Thematik reduziert werden. Hinter der Hidschra steckt mehr als nur ein Ortwechsel.
Sie ist ein Ausweg und eine Alternative, die den Menschen geboten wird, die unter Leid und Angst ihre Religion nicht ausleben können. Die Hidschra bezeichnet einen Neustart, im Vertrauen auf Allah, und sie ist zugleich auch der Beginn der Änderung des eigenen Verhaltens der Muslime. Es wird deutlich, dass Verfolgung und Einschränkung der Lebens- und Religionsfreiheit auf einer großen und weiten Welt nicht hingenommen werden müssen.
Die Auswanderung wird traditionell von den Muslimen überall auf der Welt wenigstens erwähnt und auch anlässlich des Jahrestags in den Freitagspredigten thematisiert. In Deutschland hat sich eine Kultur des Gedenkens etabliert. So laden viele muslimische Vereine und Religionsgemeinschaften zu Gedenkveranstaltungen ein, bei denen aus dem Koran rezitiert und aus der Prophetenbiografie (Sîra) berichtet wird. Es haben sich im Laufe der Jahre kleinere Veranstaltungen entwickelt, bei denen es um Unterhaltung, aber auch um das Helfen an sich geht.
Stets steht dabei die Auswanderung und ihr tieferer Sinn im Vordergrund. Spitzenvertreter nehmen das Datum der Hidschra zum Anlass, um auf aktuelle gesellschaftliche Probleme hinzuweisen. So beispielsweise auch Kemal Ergün, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Er gratuliert den Muslimen zum neuen Jahr, macht aber auch auf das ökonomische Ungleichgewicht auf der Welt aufmerksam: „Täglich sterben Tausende Menschen aufgrund von Krieg und Armut. Viele Betroffene machen sich auf den Weg, um in wohlhabenden Ländern eine faire Chance auf ein menschenwürdiges Leben zu bekommen. Dabei nehmen sie sogar den Tod in Kauf. So sind im vergangenen Monat Hunderte Flüchtlinge vor den Toren Europas ertrunken, die Überlebenden werden in Lagern gehalten. Das ist nicht vereinbar mit elementaren Menschenrechten. Europa ist aufgefordert, zu handeln: Nötig sind humane Aufnahmeregelungen und nachhaltige Entwicklungshilfeprogramme.“
Ergün mahnt im Lichte der Hidschra dazu an, dass man diese Hilfe jedoch nicht allein von der Politik erwarten kann. Es seien „alle Menschen aufgefordert, jedem Einzelnen gegenüber Verantwortung zu übernehmen.“