Wir sprachen mit Prof. Dr. Ömer Özsoy über die ersten Schritte zur Gründung einer islamischen Theologie in Deutschland. Dabei wollten wir auch wissen, welche Perspektiven den Studenten offenstehen, wie die Initiative der muslimischen Religionsgemeinschaften bewertet wird und was von Religionsunterricht und Imamausbildung zu erwarten ist.
Prof. Dr. Ömer Özsoy wurde 1963 in Kayseri (Türkei) geboren und studierte an der Theologischen Fakultät der Universität Ankara im Bereich Systematische Theologie und Islamische Philosophie, mit der Abschlussarbeit zum Thema „Diskussionen um die Anwendung der persönlichen Meinung in der Koranauslegung“. Seine Doktorarbeit, welche später veröffentlicht wurde, trug den Titel: „Über die Bedeutungsverschiebung eines koranischen Ausdrucks: sunnatullāh“. Seit 2007 führt er seine akademischen Tätigkeiten an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main fort. Wir haben mit ihm über die islamisch-theologischen Einrichtungen in Deutschland gesprochen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hielt sich an die Empfehlung des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2010, an deutschen Hochschulen Studiengänge für Islamische Theologie einzuführen und entschied sich, an fünf Universitäten Zentren für Islamische Theologie zu gründen. Im Rahmen dieser Entscheidung wurden an den Universitäten in Frankfurt, Erlangen-Nürnberg, Münster, Osnabrück und Tübingen Zentren für Islamische Theologie eingerichtet. Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach das Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam in Frankfurt von den anderen Einrichtungen dieser Art?
Bitte erlauben Sie mir, an dieser Stelle eine Ergänzung anzuführen: Im Grunde reichen die ersten Schritte zur Gründung islamisch-theologischer Einrichtungen an deutschen Hochschulen viel weiter zurück als die 2010 ausgesprochene, von Ihnen erwähnte Empfehlung des Wissenschaftsrats. Die einzige Einrichtung, welche auf die genannte Empfehlung hin ihre Tätigkeit aufnahm, ist die an der Universität Tübingen. Alle anderen von Ihnen genannten Universitäten haben schon in den 2000er Jahren einige Anstrengungen diesbezüglich unternommen. In Frankfurt gab es bereits den Studiengang „Islamische Religionswissenschaft“, in Münster, Erlangen und Osnabrück dagegen Studiengänge für „Islamische Religionspädagogik“. Der wichtigste Unterschied des Standortes Frankfurt wird hierdurch ersichtlich: Von Beginn an war es in Frankfurt die Absicht, Islamische Theologen – und nicht Lehrer – auszubilden. So begannen wir mit der Arbeit, in Frankfurt eine Islamische Theologie aufzubauen, und das schon lange vor der Empfehlung des Wissenschaftsrats, im Jahre 2008. Ein weiterer wichtiger Unterschied des Frankfurter Standortes ist es, dass dort bereits seit 2005 für Abiturienten Studienmöglichkeiten bestehen. 2005 begannen wir mit der Aufnahme von Studenten für den Magisterstudiengang „Islamische Religionswissenschaft“, 2008 für den Bachelorstudiengang „Islamische Religion“ und schließlich 2010 für den Bachelorstudiengang „Islamische Studien“ sowie den Masterstudiengang „Islamische Religion“. Zurzeit arbeiten wir an einem Masterstudiengang für „Islamische Studien“ und werden diesen Studiengang für die ersten Bachelor-Absolventen hoffentlich rechtzeitig bis 2013 eröffnen. Des Weiteren besteht in Frankfurt seit 2005 die Möglichkeit, im Fach „Islamische Religion“ und seit 2010 im Bereich „Islamische Studien“ zu promovieren. Soweit es mir bekannt ist, gab es bis zur Empfehlung des Wissenschaftsrats an anderen Hochschulen kein vergleichbares Studienangebot für Abiturienten. Es war lediglich Lehrern möglich, sich an den dort bestehenden Studiengängen einzuschreiben. Ferner bestand in Münster für Bachelor-Absolventen die Option eines Masterprogramms, welches allerdings größtenteils mit Islamwissenschaftlern geführt wurde. Aber Gott sei Dank, werden mittlerweile auch an anderen Standorten muslimische Theologen berufen und Studienangebote für Islamische Theologie entwickelt. Wenn man die Curricula der meisten dieser Studiengänge näher analysiert, so wird freilich die Vorreiterstellung des Standorts Frankfurt ersichtlich, was uns natürlich sehr ehrt. Letztendlich ist es doch unsere gemeinsame Absicht, an allen jeweiligen Standorten sowohl in Lehre als auch in Forschung und Publikation wissenschaftlich eine der Würde der islamischen Wissenschaften gerechte Qualität und ein entsprechendes Niveau zu erlangen. Wichtiger als die alleinige Etablierung eines Curriculums ist es, jenes qualitativ hochwertig auszufüllen. Ich muss anmerken, dass wir in puncto gut ausgebildetem, in der Theologie und arabischen Sprache kompetentem, deutschsprachigem Lehrpersonal, welches den Universitäten zur Verfügung steht, sehr dürftig aufgestellt sind. Dies ist natürlich kein Zustand, der sich von heute auf morgen verbessern lässt, es bedarf hierfür zahlreicher Stipendien für Doktoranden und Postdoktoranden.
Welche Perspektiven bieten Sie Ihren Studenten?
Die grundlegende Aufgabe einer universitären Theologie ist es, den Studierenden die Fähigkeit zu vermitteln, die Quellen der islamischen Religion selbständig zu lesen, zu verstehen und das Verstandene auf die Gegenwart zu übertragen bzw. für die Gegenwart auszulegen. Es gilt zu betonen, dass sich die Islamische Theologie an eine pluralistische Kultur anlehnt und außer der Wissenschaft keine religiöse Instanz kennt. Daher weist unsere geistige Tradition eine große Vielfalt an Perspektiven und Methoden auf. Ein versierter islamischer Theologe muss die fundamentalen Texte der Religion und darüber hinaus die in Vergangenheit und Gegenwart entwickelten Herangehensweisen sowie Methoden beherrschen. Dies ist überhaupt die Voraussetzung dafür, etwas Neues zu sagen und innovative Interpretationen oder neue Methoden zu entwickeln. Daher sehen wir primär unsere Aufgabe darin, die Reichhaltigkeit der Tradition aufzuzeigen sowie für die Erschließung dieses Reichtums unabdingbare sprachliche als auch methodische Kompetenzen zur Verfügung zu stellen. Ferner ist es allein die persönliche Entscheidung eines jeden angehenden Theologen, der über jenes Wissen und jene Ausrüstung verfügt, welcher Linie er folgen möchte oder welche Methodik er anwendet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das akademische Lehrpersonal keine eigenen Meinungen und Standpunkte hat oder haben darf. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass ein Theologe, der keinen eigenen Standpunkt vertritt, weder die Gegenwart noch die Vergangenheit verstehen kann. Aus diesem Grund ist die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit für einen Hochschullehrer von fundamentaler Bedeutung. Hierbei ist es jedoch wichtig, dass nicht Propaganda für eine bestimmte Doktrin gemacht wird, damit die Studenten sich im wissenschaftlichen Sinne als absolut frei empfinden können. Wenn dieses Prinzip der Forschungsfreiheit nicht gewährleistet werden kann, bedarf es keiner wissenschaftlichen Islamischen Theologie an der Universität.
Erfüllt die Nachfrage an den Studiengang die bestehenden Erwartungen?
Um ehrlich zu sein, liegt die Nachfrage nach unserem Studiengang weit über unseren Erwartungen, Kräften und Plänen. Dies ist freilich ein erfreulicher Umstand. Die Anzahl der eingeschriebenen Studenten an dem im Wintersemester 2010 eröffneten Studiengang „Islamische Studien“ liegt zurzeit bei etwa 250. Insgesamt haben wir mit den Studenten der islamischen Religion ca. 400 Studenten. Überdies zählen wir über 20 Masterstudenten und 15 Doktoranden.
Die Auswanderung (vieler Türken) nach Deutschland liegt bereits über 50 Jahre zurück, doch die Anstrengungen (bezüglich der Islamischen Theologie) sind noch sehr frisch. Ist das Ihrer Meinung nach nicht zu spät? Wie schätzen Sie den Einfluss der Türkei zu diesem Thema ein?
Wenn man die heranwachsenden Generationen der letzen 50 Jahre bedenkt, die ohne Religionsunterricht in der Schule aufwuchsen; wenn man sich die spärliche Teilnahme der Muslime an Debatten zum Islam in der Öffentlichkeit vor Augen führt und darüber hinaus in Betracht zieht, dass ein Großteil praktizierender Imame sowie Prediger an unseren Moscheen aus dem Ausland entsandt werden, muss man sich Ihrer Meinung von einer verspäteten Entwicklung anschließen. Natürlich haben Familien, die Wert auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder legten, diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten sowohl in den Moscheen als auch im Elternhaus versucht zu unterrichten. Diese Praxis wird weiterhin fortgesetzt, sie kann und konnte aber zugleich niemals dem Standard eines regulären, einheitlichen, dem Lehrplan entsprechenden Unterrichts in der Schule gleichkommen. Die religiösen Unterweisungen, die mit unterschiedlichen Maßgaben und aus verschiedenen Perspektiven heraus erfolgten, dienten sogar dazu, dass die divergenten Ansichten religiöser Gruppierungen auf die neuen Generationen übertragen und verschärft wurden. So gründeten die jeweiligen Gemeinden jeweils ihre eigenen Moscheen, was heute als selbstverständlich angesehen wird. Die unterschiedlichen Organisationen, die hinter den Moscheen stehen, sind sogar dazu bereit, in den Schulen voneinander unabhängige, eigene Religionsunterrichte zu erteilen. Des Weiteren trägt die türkische Außenpolitik eine große Verantwortung für diese Verzögerung. Wir wissen alle, dass die türkischen Diplomaten noch bis vor Kurzem auf ihrer politischen Forderung beharrten: „Entweder türkischen Religionsunterricht oder gar keinen.“ Auf der anderen Seite förderte eine andere türkische Behörde, die Diyanet, den Aufbau eines deutschsprachigen Studiums im Bereich Theologie, indem sie 2002 in Frankfurt die Stiftungsprofessur für islamische Religionswissenschaft gründete. Wie Sie wissen, stellt unser Institut die Nachfolge dieser Initiative dar. Darüber hinaus initiiert Diyanet seit annähernd fünf Jahren an manchen theologischen Fakultäten in der Türkei ein internationales Islamisches Theologiestudium für im Ausland lebende türkischstämmige Jugendliche. Die ersten jungen Theologen haben an der theologischen Fakultät in Ankara dieses Studium absolviert und sind bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Daher kann man sowohl von einer unterstützenden als auch von einer hinderlichen Rolle der Türkei sprechen – zu verschiedenen Perioden mit unterschiedlichen Ansätzen.
In den letzten Jahren hat einhergehend mit der Erkenntnis sowie der Akzeptanz des Staates, dass Muslime dauerhaft in Deutschland bleiben werden, eine Entwicklung eingesetzt, die zur Eingliederung des Islamischen Religionsunterrichts in die Lehrpläne der Schulen sowie zu den Anstrengungen für Islamisch Theologie an den Universitäten führte. Statements lassen ersichtlich werden, dass bei diesen Entwicklungen eine der wichtigsten Intentionen des Staates es ist, die Muslime in Deutschland besser zu integrieren oder die Integration zu erleichtern. Wie wirken sich die staatliche Haltung allgemein und insbesondere diese Intention auf Ihre Arbeit aus?
Offen gesagt erfahren auch wir Erwartungshaltungen dieser Art entweder aus der Presse oder aus Statements von Politikern bei öffentlichen Sitzungen. Jedoch ist sowohl an der Empfehlung des Wissenschaftsrats, Zentren für Islamische Theologie an deutschen Hochschulen einzurichten, als auch an der Argumentation der diesbezüglichen Entscheidung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu erkennen, dass die Themen „Integration“ und – was Sie nicht erwähnten, die „Sicherheit“ – einen zentralen Stellenwert tragen. Staaten verfolgen stets eigene Religionspolitiken oder hegen Erwartungen an Religionen. Ich halte dies für natürlich und bis zu einem gewissen Grade auch für legitim. Wichtig ist es, dass man die jeweiligen politischen Interessen nicht der Öffentlichkeit aufzwingt und jene zudem ausdiskutiert werden dürfen. Wir können wohl festhalten, dass der von Muslimen in der Regel mit Skepsis aufgefasste Begriff eines „deutschen Islam“ oder „Euro-Islam“ im Zusammenhang mit der Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört, den Durchbruch einer neuen Abwägung Deutschlands gegenüber dem Islam und den Muslimen zeigt. Der wichtigste Beweggrund dieser hinterfragenden Entwicklung ist, dass die klassische abendländische Einstufung des Islam als „dem Anderen“ und die daraus resultierende Politik gegenüber dem Islam nicht mehr funktionieren. Alle mit dem Islam verknüpften Ereignisse auf den 11. September zurückzuführen, ist eine Angewohnheit, welche die Erkennung der Suche Deutschlands nach einer neuen Islamwahrnehmung sowie Islampolitik erschwert. Das, was in Deutschland zurzeit geschieht, ist die Anstrengung, den Islam neu zu definieren. Auch wenn die modernen Nationalstaaten ihren Säkularismus noch so beteuern, scheuen sie nicht davor zurück, eine Auslegung bezüglich des Islam zu betreiben. Ich denke, dass die Islam-Auslegung, welche Deutschland kurzerhand präferieren wird, in weiten Zügen derjenigen ähneln wird, welche die neue Politik der Türkei vertritt und in der islamischen Welt propagiert. Dennoch können wir in Deutschland heute nicht von einer umfassend diskutierten, von den Entscheidungsträgern und allen Akteuren der Gesellschaft akzeptierten, definierten Islampolitik sprechen. Andererseits liegt es letztendlich bei den hier lebenden einheimischen Muslimen, die endgültige Antwort auf die Frage „Welcher Islam?“ zu geben. Daher sehe ich es als unausweichlich, dass der Islam in Deutschland – wie auch in der ganzen Welt – sehr facettenreich sein wird. Auch wenn der Islam universell ist, so wird die hiesige Ausprägung sicherlich auch spezifische Töne und Eigenschaften tragen. Um es zusammenzufassen: Es liegt nicht bei den Wissenschaftlern und Islamischen Theologen, sich strikt an die Islampolitiken der Staaten zu halten, sondern diese zu hinterfragen. Als jemand, der ursprünglich aus einer Tradition kommt, in der die theologischen Fakultäten nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich an die Instanzen des Staates gebunden sind (wie Ihnen bekannt ist, werden in der Türkei die Lehrinhalte der Islamischen Theologie immer noch von den Staatsoberhäuptern bestimmt), weiß ich, dass im Kontext der Universität die politischen Erwartungen nicht allein bestimmend sein können. Dafür sind die Haltungen der Wissenschaftler selbst, welche den historisch bedeutenden Auftrag übernommen haben islamische Theologie aufzubauen, weitaus prägender. Persönlich kann ich als Wissenschaftler mit den Islamischen Theologen gegenüber den Islampolitiken der Staaten nur eine hinterfragende Rolle verbinden.
Wie bewerten Sie die Initiativen der islamischen Verbände zur Ausgestaltung einer Islamischen Theologie und zur Ausbildung von Imamen?
Weil ich weiß, mit welcher Funktion und unter welchen Umständen die muslimischen Verbände ihre Gestalt angenommen haben, möchte ich ihnen kein Unrecht tun. Im Endeffekt sind diese Organisationen Produkt der Reflexion bestimmter, für Deutschland spezifischer, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen auf die religiösen Gemeinden. Aber ich befürchte, die islamischen Gemeinden sind sich gegenüber nicht so fair wie ich. Denn soweit ich feststellen kann, streben alle unsere Organisationen, welche Moschee-Dienstleistungen erbringen, ohne Ausnahme auf die von den Kirchen seit Jahrhunderten in diesem Land übernommene Funktion der „religiösen Autorität“ hin. Formell betrachtet scheint dieses Anliegen legitim und vernünftig, denn diese Organisationen sind es, welche Moschee-Dienstleistungen anbieten und Imame unterhalten. Aus diesem Grunde versuchen auch die deutschen Staatsorgane, gemäß den Grundsätzen der Säkularität, Ansprechpartner aus den Reihen dieser islamischen Organisationen zu finden. Mein Einwand gegen diesen Zustand ist prinzipiell: Im Islam existiert keine kirchliche, institutionelle, religiöse Autorität und dies ist keine verzichtbare, kontingente Entwicklung für uns. Das hat mit der Essenz des Islam zu tun. Selbst wenn wir davon ausgingen, die religiösen Organisationen verfügten über fundierte Theologiekompetenz, wäre es nicht angebracht, wenn sie sich als religiöse Instanz ansähen, die einzig und alleine befugt wäre festzustellen, wer ein Islamischer Theologe und was islamisch sei. Im Islam verfügt keine Gesellschaftsschicht oder Institution über diese Autorität, die Theologen und Gelehrten mit inbegriffen. Weil der Islam keine Kirche in diesem Sinne innehat, konnten wir in der Geschichte eine tolerante und pluralistische Religionskultur entwickeln, im Bereich der Auslegung ebenso wie im Bereich der Auslebung. Meiner Meinung nach würde die Verkirchlichung sowohl eine Abweichung von der inneren Struktur des Islam als auch eine Verabschiedung vom innerislamischen Pluralismus bedeuten. Ich glaube doch nicht, dass die Muslime in einer Zeit, in der selbst die Kirchen infolge der Erwartungen ihrer Gemeinden sowie des gesellschaftlichen Drucks nach Möglichkeiten des Pluralismus suchen, einen solch schwerwiegenden Fehler machen werden. In der Hoffnung, dass meine Äußerungen nicht als Vorwurf gegenüber den muslimischen Organisationen aufgefasst werden, sage ich: Lassen wir uns als muslimische Organisationen und Islamische Theologen nicht auf die Diskussion der uns von außen auferlegten und der Struktur unserer Religion entgegengesetzten Rollen ein, sondern auf diejenigen Aufgabenbereiche, die es dringend gemeinsam zu meistern gilt, z. B. die Ausbildung von Imamen.
Sie sprachen vom Thema der Imamausbildung. In der Presse fanden sich manche Berichte, an deutschen Universitäten würden Imame ausgebildet…
Ich kenne die Berichterstattungen der Presse, aber ich möchte erneut ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass zurzeit keine einzige Universität in Deutschland existiert, die Imame ausbildet. Denn die Universitäten haben weder eine solche Aufgabe, noch verfügen sie über eine derartige Befugnis. Meiner Meinung nach können die Universitäten alleine auch nicht die nötigen Kompetenzen vermitteln, welche ein Religionsbeauftragter und insbesondere ein Imam haben muss. Das, was in Deutschland gemacht werden muss, ist, dass die Institutionen, die Imame beschäftigen, eigene Ausbildungsstätten aufbauen und mit den theologischen Einrichtungen der Universitäten kooperieren. Das ideale Modell wäre, wenn die Imame in theologischen Bereichen wie Koranexegese, Ḥadīṯwissenschaft, Systematische Theologie und Islamischem Recht an der Universität ausgebildet werden würden und darüber hinaus in Bereichen wie Koranrezitation, Katechismus, Moschee-Dienstleistung und religiöse Unterweisung, welche alle besonderes Geschick erfordern, ihre Kenntnisse in den Ausbildungszentren der muslimischen Gemeinden durch die Praxis erwerben würden. So wäre es auch möglich, die konfessionellen Differenzen innerhalb der Ausbildungsstätten der Gemeinden zu wahren und somit die Universitätstheologie konfessionsübergreifend zu halten.
Gibt es solche Ausbildungsstätten in Deutschland nicht?
Ich weiß, dass in Deutschland der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und Milli Görüş (IGMG) ähnliche Ausbildungsstätten haben und es schon lang andauernde Anstrengungen der DITIB zu einem Akademie-Modell gibt. Es ist eine sehr tragische Entwicklung, dass jede Gemeinde darauf aus ist, die eigenen Imame auszubilden. An dieser Stelle fällt dem Koordinationsrat der Muslime, als der größten muslimischen Dachorganisation, eine wichtige Aufgabe zu. Primär gilt es, den Aufgabenbereich eines Imams zu definieren und damit einhergehend bestimmte Standards für die Imamausbildung zu setzen. Damit alle Imame eine Ausbildung nach denselben Standards durchlaufen können, sollten die bestehenden Organisationen gemeinsame Institutionen und Programme entwickeln. Ich bin der Meinung, dass die jetzigen Beziehungen und die aktuelle Atmosphäre unter den muslimischen Organisationen für eine solche Zusammenarbeit überaus angemessen sind. Wir als Theologen sind zu jeglicher Unterstützung bereit. Andernfalls, wenn jede Organisation ihre eigenen Imame in den eigenen Ausbildungszentren unterweist, wird dies zur Vertiefung der Isolation unter den verschiedenen muslimischen Gruppierungen beitragen.
Erachten Sie die Gründung einer gemeinsamen Ausbildungsinstitution als realistisch?
Dies ist eine Frage der Mündigkeit der Muslime und ihrer Institutionen in Deutschland. Nun, wir werden es sehen, aber natürlich möchte ich diesbezüglich optimistisch sein. Daher gehe ich das Risiko ein und bekenne, dass der Staat sich aus der Aufgabe der Imamausbildung heraushalten sollte.
Die Islamische Theologie hat in Deutschland keine Geschichte, doch es ist sicher, dass sich durch diese Schritte auch hier in Zukunft eine gewisse Wissensansammlung für die Islamische Theologie herausbilden wird. Was denken Sie, welche Auswirkungen die hiesigen Anstrengungen für die Islamische Theologie auf lange Sicht auf Europa und die islamische Welt haben werden?
Es ist offensichtlich, dass eine Theologie im säkularen und pluralistischen Universitätsumfeld mitten in Europa, wo die Muslime in der Minderheit leben, anders aussehen, andere Strukturen haben und eine andere Theologiesprache entwickeln wird als jene, welche von jahrhundertealten traditionellen muslimischen Institutionen explizit für muslimische Adressaten, die in Mehrheitsgesellschaften leben, entwickelt wurde. Im Allgemeinen ist die Konfrontation der islamischen Welt und speziell der Türkei mit dieser einmaligen Erfahrung als Bereicherung für den Wissensschatz der islamischen Welt sowie der islamischen Wissenschaften anzusehen. Ich denke, dass die Islamische Theologie in Deutschland, die mit der intellektuellen Unterstützung der islamischen Welt etabliert werden kann, lang- und mittelfristig auch Rückwirkungen auf die islamische Welt haben wird. Daher sollte man einerseits in Anbetracht der angewandten Methoden und der verwendeten Sprache armselige Perspektiven peinlichst vermeiden, die dafür sorgen, dass die Islamische Theologie als eine vom Korpus des deutschen Universitätssystems inakzeptable, zweitrangige Aktivität angesehen wird. Andererseits gilt es opportunistische Perspektiven zu meiden, welche explizit an der deutschen Sicherheits- und Integrationspolitik ausgerichtet sind und weder der Tradition noch der eigenen Logik Islamischer Theologie entsprechen. Allerdings zeigen die derzeitigen Entwicklungen leider, dass beide Perspektiven den Prozess begleiten werden.
Das Interview führte Ilknur Küçük
Übersetzung ins Deutsche durch Ulvi Karagedik.
Erstveröffentlichung: Januar-Ausgabe der Zeitschrift „Perspektif“