Mölln

21 Jahre nach dem Mordanschlag

Es war der erste Mordanschlag von Rechtsextremisten nach der Wiedervereinigung. Mölln sitzt tief im Gedächtnis der türkischstämmigen Bevölkerung – auch weil es nie eine echte Aufarbeitung gegeben hat.

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2013
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„Heil Hitler“, grölt die Stimme in den Hörer. Der Mann bekennt sich zum Anschlag auf Türken in Schleswig-Holstein. Die Polizei kann ihn nicht mit der Fangschaltung beim Notruf identifizieren und aufspüren. Der rechtsextreme Hintergrund der Tat ist aber eindeutig – und wird dennoch in Zweifel gezogen. Zwei Familienhäuser werden in der Nacht zum 23. November 1992 von Neonazis mit Molotowcocktails angegriffen und mit rassistischen Parolen beschmiert.

Bei beiden Angriffen werden die Häuser von türkischen Familien in Brand gesetzt. Beim zweiten Haus sterben drei Frauen im Feuer. Die Großmutter Bahide Arslan (51), die zehnjährige Yeliz Arslan und die 14 Jahre alte Ayşe Yılmaz. Weitere Personen werden z. T. schwer verletzt. Die Täter, zwei bekannte Neonazis, werden später wegen dreifachen Mordes und 39-fachem Mordversuch angeklagt.

Erster Anschlag nach der Wiedervereinigung

Gewalt und Hass auf Türken – in Mölln zeigte sich die grässliche Fratze der Fremdenfeindlichkeit. Es war der erste rechtsextremistisch motivierte Anschlag in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Die Ermittlungen wurden erstmals vom Generalbundesanwalt geführt. Die Tat hatte Deutschland erschreckt und wurde als „Angriff auf die innere Sicherheit“ gewertet.

„Politiker versprachen, alles zu tun, damit so etwas nie wieder passiert“, sagt Oğuz Üçüncü, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş. „Heute stellen wir fest: Das Versprechen wurde nicht eingelöst, ganz im Gegenteil. Heute wissen wir, dass der NSU über viele Jahre mordend durch Deutschland ziehen konnte. Heute wissen wir auch, dass Politiker nach jeder Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund voreilig ausgeschlossen haben. Wir wurden sogar Zeugen, wie Akten vernichtet und V-Männer im Umkreis der Mörder gedeckt wurden. Und wir wissen heute auch, dass sich trotz dieser Skandale nicht viel ändern wird.“

Trauer und Wut

Die türkische Gemeinde in Deutschland war entsetzt und schockiert angesichts der unfassbaren Tat. In Hamburg versammelten sich aus ganz Deutschland Menschen, die den verstorbenen und der Tat gedenken wollten. Die Särge der Verstorbenen wurden in der Innenstadt aufgebahrt. Die Nation trauerte nicht, aber ihre türkischstämmige Bevölkerung trauerte erneut um ihre Opfer. Es war nicht der erste Anschlag auf Türken und sollte auch nicht der letzte Anschlag gewesen sein.

Wut brach über die Ermittlungen aus, Wut brach über die Politik aus. Diese nahm die Kritik kaum wahr. Denn die Wiedervereinigung wurde von vielen Türken, auch von Familienangehörigen der Opfer für den Mordanschlag verantwortlich gemacht. Weil Kohls Politik gescheitert sei und die Hoffnungen der Menschen auf eine bessere Zeit in einem wiedervereinigten Deutschland nicht erfüllt wurden, waren die Türken zum Opfer von Fremdenfeindlichkeit geworden.

Keine Aufarbeitung

Neun Tage nach der Tat werden die mutmaßlichen Täter festgenommen. Für den Bürgermeister der Stadt ist die Sache damit beendet. Er hoffe, dass wieder „Normalität einkehrt“, erklärt Joachim Dörfler damals. Und die neonazistische Szene in Mölln? Soll es nie gegeben haben.

Die Stadt tut sich schwer mit der Tat. Schlimmer noch, sie macht die Familienangehörigen für das schlechte Image der Stadt verantwortlich. Menschen, die ihre Liebsten in den Flammen von Rechtsextremisten verloren haben, sollen dafür gesorgt haben, dass Mölln nicht mehr für Till Eulenspiegel, sondern für den Brandanschlag bekannt sei. Die Opfer werden zu Tätern gemacht.

Familie gibt nicht auf

Trotz dieser Schikane lässt sich die Familie Arslan nicht erniedrigen. Sie bleibt in Mölln. Sie kehrt nicht in die Türkei zurück. Sie tut den Rechtsextremisten diesen Gefallen nicht. Sie erinnert und mahnt an die Tat. Sie versucht das Andenken ihrer Angehörigen zu wahren und jedes Jahr veranstaltet sie eine Gedenkveranstaltung und erinnert Mölln und ganz Deutschland an die schreckliche Tat. Sie lässt Deutschland nicht vergessen.