IslamiQ im Gespräch mit Dr. Abdullatif Hussein über die Islamische Theologie in Deutschland und ein ambitioniertes Projekt von Muslimen in Frankfurt. Am „Europäischen Institut für Humanwissenschaften“ soll der Islam von Muslimen in privater Trägerschaft gelehrt werden.
Private Initiativen und Projekte von Muslimen werden in Deutschland nur selten durch die Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. So auch das „Europäische Institut für Humanwissenschaften“, dass im Oktober 2013 in Frankfurt am Main seinen Lehrbetrieb aufgenommen hat. Die private Einrichtung versteht sich als Hochschule für ein Islam-Studium und als Alternative zu universitären und staatlichen Zentren für Islamische Theologie. An der privaten Hochschule soll nach den klassischen Quellen durch Muslime unterrichtet werden.
Noch steht das Projekt am Anfang, doch am Institut sollen neben islamischer Theologie auch Islam- und Sozialwissenschaften angeboten werden. IslamiQ sprach mit dem Leiter und Direktor des Instituts, Herrn Dr. Abdullatif Hussein, über die Islamische Theologie in Deutschland und das ambitionierte Projekt.
Herr Dr. Hussein, in Deutschland gibt es mittlerweile an fünf Universitäten Zentren für Islamische Theologie. Warum haben Sie eine eigene private Hochschule gegründet?
Ich muss sagen, wir sind mit dem Zeitpunkt der Institutsgründung etwas in die öffentliche Diskussion um die theologischen Zentren hineingerutscht. Als wir die Planung angefangen haben, hat es weder die Diskussion noch die theologischen Zentren gegeben. Unterschiedliche Dinge haben zu der Verzögerung der Gründung geführt und wir sind froh, dass dieser Schritt jetzt endlich gemacht ist. Außerdem sehen wir uns keineswegs als Konkurrenz, eher als Ergänzung zu den bereits existierenden Zentren. Des Weiteren wünschen wir uns, dass noch mehr Institute gegründet werden. Der Bedarf in Deutschland ist auf jeden Fall vorhanden.
Der Grund, warum wir das Institut gegründet haben, ist die hohe Nachfrage vieler junger Leute und Imame in Deutschland, islamische Wissenschaften mit Bezug zum Hier und Heute zu erlernen. Die Fragen, die von Muslimen in Deutschland und Europa beantwortet werden müssen, sind zum einen andere und brauchen zum anderen eine andere Denkweise, Prioritäten und Schwerpunkte, als dies in Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung der Fall ist. Bis jetzt haben jedoch die meisten Imame und Religionsgelehrten, die bei den Religionsgemeinschaften angestellt sind, in der Regel in genau jenen Ländern ihre Ausbildung erhalten. Daher begrüßen wir die Entstehung der theologischen Zentren an den Universitäten in Deutschland und hoffen auf einen fruchtbaren Austausch mit ihnen. Um Zugang zu den Primärquellen zu erhalten, bieten wir in unserem Institut zusätzlich das Erlernen der arabischen Sprache, sowie Koranrezitation und -auswendiglernen an.
In der öffentlichen Wahrnehmung streitet man um die Theologie in Deutschland. Oft wird dabei zwischen „liberal“ oder „konservativ“ unterschieden. Welche Form und Richtung des Islams soll am Institut gelehrt werden?
Wir mögen diese Unterteilung nicht, weil sie vermeintlich Inhalte transportieren sollen, das aber nicht wirklich tun. Wir wollen einen Islam lehren, der sich auf die Ursprungsquellen, dem Koran und der Sunna (Tradition des Propheten Muhammad) stützt, aktuelle Fragen beantwortet und dabei die über 1400 Jahre alte Rechtswissenschaft des Islams nicht außer Acht lässt. Die wenigsten wissen, welchen reichhaltigen Schatz an Erfahrungen wir Muslime haben, aus dem wir schöpfen können. Antworten auf aktuelle Fragen beispielsweise in der Medizin, der Umwelt-, Finanz- und Gesellschaftswissenschaften müssen jedoch hier und jetzt herausgearbeitet werden. Des Weiteren gilt es Dinge, die zu einem anderen Zeit- und Ortskontext relevant waren, zu hinterfragen und wenn notwendig, im Lichte unserer Lebenswirklichkeit neu zu bewerten.
In Deutschland ansässige Zentren für Islamische Theologie arbeiten auch mit ausländischen Universitäten zusammen. An den wichtigsten Zentren wird betont, man lehre den klassischen Islam. Wie bewerten Sie diese Bekundung?
Nun, alle Zentren sind ziemlich jung und haben noch nicht viel produziert. Daher haben wir uns noch keine nachhaltige Meinung bilden können. Was wir schade finden, ist, dass zum Teil fachfremde Wissenschaftler Inhalte aufarbeiten und weiterentwickeln sollen, die nicht Teil ihrer wissenschaftlichen Laufbahn waren. Jedoch ist nicht alles in Stein gemeißelt und auch noch nicht alle Stellen besetzt. Daher haben wir Hoffnung, dass die muslimischen Religionsgemeinschaften in Zukunft hierauf ein größeres Augenmerk haben werden. Unser Anspruch an uns selber ist, dass alle Dozenten Fächer lehren, in denen sie publiziert oder promoviert haben. Diesbezüglich sind wir nicht ganz durchgängig, aber auf gutem Weg. Schließlich entscheidet die Qualität der Lehre und Absolventen über die Zukunft eines Instituts.
Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe der theologischen Institute, seien sie nun privat oder staatlich finanziert?
Wir denken, dass diese Institutionen eine Schlüsselfunktion bei der Entwicklung des muslimischen Lebens als Teil der deutschen Gesellschaft einnehmen. Natürlich geht es um die Ausbildung von Religionsgelehrten, Imamen und Islamlehrern. Des Weiteren müssen Muslime, wie bereits gesagt, die aktuellen Fragen des täglichen Lebens beantworten und dies wissenschaftlich reflektiert und fundiert tun. Es geht hierbei um Identitätsbildung der europäischen Muslime. Natürlich leben die Muslime nicht in einem luftleeren Raum, und deswegen sehen wir diesen Prozess als Diskurs mit der Mehrheitsgesellschaft. Das bedeutet weder, dass Muslime ihren Glauben aufweichen, noch dass Muslime Fundamentalopposition gegenüber dem „bösen und morallosen“ Westen einnehmen sollen. Es geht darum einen selbstbewussten Weg zusammen mit der Mehrheitsgesellschaft zu bestreiten, der ein winwin darstellt und allen Menschen in Deutschland von Nutzen ist.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass über „Scheikh Google“ viel Gutes, aber auch viel Unsinn verbreitet wird, der insbesondere junge Menschen anzieht. Diesen zum Teil extremen Positionen, wenn sie überhaupt als Randpositionen innerhalb des muslimischen Spektrums bezeichnet werden können, müssen wir den Boden unter den Füßen entziehen. Die jungen Muslime müssen über die Fehler in diesen Denkmustern aufgeklärt werden. Auch sind wir davon überzeugt, dass nur eine intellektuelle Auseinandersetzung mit extremem Gedankengut dieses eindämmt, dafür müssen einem aber auch die Wortführer zuhören.
Des Weiteren brauchen wir ausgebildete Wissenschaftler, mit einem tiefgründigen Verständnis des Islams. Manche benutzen den Begriff „Islam der Mitte“, wodurch ein wissenschaftlicher Dialog und Diskurs mit anderen Religionen und Lebensphilosophien geführt werden kann und soll. Dieser Dialog hat bis jetzt zu wenig Tiefgang und muss unseres Erachtens viel intensiver geführt werden. Dabei darf nicht an der Landesgrenze Deutschlands oder Europas Halt gemacht werden, schließlich sind wir alle Teil des globalen Dorfs und wären töricht, uns nicht kritisch mit den Erfahrungen und dem Wissen anderer auseinander zu setzen. Zu all dem wollen wir mit unserem Institut einen Beitrag leisten.
Es gibt Unklarheiten welche Organisation bzw. welche Muslime hinter dem Projekt in Frankfurt stehen. Können Sie uns etwas mehr über die Hintergründe und auch die Menschen hinter dem Institut erzählen?
Wir wissen nicht, von welchen Unklarheiten sie sprechen. Die Gründer wie beispielsweise die Herren Mustafa Hadzic, Muhammet Cağlayan, Asanoski Sevgani oder meine Person sind bekannt und kommen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Ethnien. Wir haben Geschwister aus Religionsgemeinschaften mit mehrheitlich türkisch-, albanisch-, bosnisch- und arabischstämmigen Muslimen in unserem Vorstand bzw. wissenschaftlichen Beirat. Diese Informationen sind öffentlich und in den Gründungsunterlagen festgehalten. Außerdem werden sie, sobald unsere Internetseite online ist, auch auf unserer Webseite einsehbar sein.
Auch stellt sich die Frage, wie sich das Institut finanziert?
Wir arbeiten an einem „Wakf“ (Stiftung), das das Institut finanzieren soll. Bis dahin finanzieren wir uns ausschließlich durch Studiengebühren und Spenden, in erster Linie von Muslimen aus Deutschland. Die meisten Dozenten arbeiten auf Stundenbasis, zum Teil sogar ehrenamtlich, was hoffentlich kein Dauerzustand ist. So können wir aktuell die Kosten überschaubar halten.
Islamische Religionsgemeinschaften wie die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş nutzen auch die Ausbildungsstätte für Imame im französischen Château-Chinon. Kennen Sie dieses Projekt? Wird es von Seiten des Instituts in Frankfurt auch Bestrebungen für eine Zusammenarbeit mit anderen Projekten geben?
Natürlich, dass Institut in Château-Chinon und wir sind in einem europäischen Institutsverbund mit noch anderen Partnern aus Frankreich und England. Wir streben außerdem die Zusammenarbeit mit Universitäten aus Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung an und hoffen, dass sich Möglichkeiten der Kooperationen mit den Zentren in Deutschland ergeben werden. Erste Gespräche dazu hat es auch schon gegeben. Wir sind davon überzeugt, dass Austausch und gegenseitige Befruchtung von Nutzen für alle beteiligten ist, weil insbesondere der wissenschaftliche Diskurs Forschung weitergebracht hat.
Wenn man bei Ihnen islamische Theologie studiert, und sich weiterbilden oder fortbilden lässt, wo kann man dann später arbeiten? Wie sehen die Karrieremöglichkeiten für Absolventen aus?
Wir denken, dass die Absolventen bei den Religionsgemeinschaften als Imame, Islamlehrer und islamische Rechtsberater werden arbeiten können, schließlich haben diese das Institut gegründet. Auch hoffen wir, dass unsere Studenten das gelernte Wissen mit Fächern im sozialen Bereich kombinieren können, um Seelsorge und andere soziale Dienste für die Muslime aber auch die Gesamtgesellschaft leisten zu können. Aktuell diskutieren wir mit einigen Universitäten Kooperationen, so dass unsere Studenten die Möglichkeit haben, ein Doppelzeugnis zu erlangen. Des Weiteren möchten wir in naher Zukunft unser Institut durch das hessische Bildungsministerium anerkennen lassen, damit die Absolventen direkt bei uns europäische Abschlüsse erlangen können.
Wann genau wird das Studium beginnen, Dauer und Kosten?
Das erste Semester hat bereits im Oktober begonnen, das zweite Semester wird inschallah im April anfangen. Wir orientieren uns an die Studienzeiten in Deutschland. Wir bieten bereits die arabische Sprache und islamische Rechtswissenschaften in Arabisch an und haben das Ziel, spätestens in einem Jahr islamische Rechtswissenschaften in Deutsch zu lehren. Die Dauer des Grundstudiums (Idjaza I), vom Umfang her mit einem Bachelor vergleichbar, dauert 6 Semester, später bieten wir, so Allah will, einen zweiten Studiengang (Idjaza II) an, die mit einem Master vergleichbar ist und 4 Semester umfasst. Auch an der Möglichkeit zur Promotion, um den Abschluss (Al Aalia) zu erlangen, mit dem Doktortitel vergleichbar, arbeiten wir. Die Institutsgebühren belaufen sich auf 600 € pro Semester für das reguläre Studium und 400 € für ein Fernstudium.
Das Gespräch führte Akif Sahin