Pauschale Zuschreibungen aus dem politischen Bereich seien ungeeignet um Muslime zu definieren und rückten diese in ein negatives Licht, behauptet Ali Mete. Er sieht die Entwicklung von (jungen) Muslimen in Gefahr und kritisiert vorherrschende Automatismen, die die Vielfalt unter den Muslimen ignoriert.
Nahezu in jeder Diskussion um das Thema Islam und Muslime in Deutschland fallen Bezeichnungen wie „konservativ“, „liberal“, „gemäßigt“ oder gar „extremistisch“. Diese werden in den medial-hegemonialen Diskursen bewusst eingesetzt und von den Mediennutzern meist unbewusst übernommen, da sie dem Zeitgeist zu entsprechen scheinen. Jedoch ignorieren sie die Vielfalt unter Muslimen und bremsen die Entwicklung der islamischen Gemeinschaft.
Es ist bekannt, dass die Beschreibung der eigenen Identität bis zu einem gewissen Grad auch die Definition des Anderen erfordert. Wenn Muslime also als konservativ gesehen werden, dann im Kontrast zum liberalen, weltoffenen Selbst, das man zu sein glaubt oder sein möchte. „Selbst- und Fremdbezeichnungen gehören zum täglichen Umgang der Menschen. In ihnen artikuliert sich die Identität einer Person und ihre Beziehung zu anderen Personen. […] Eine politische oder soziale Handlungseinheit konstituiert sich erst durch Begriffe, kraft derer sie sich eingrenzt und damit andere ausgrenzt und d. h. kraft derer sie sich selbst bestimmt.“ ((Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Reinhart Koselleck, 1979, Frankfurt a. M.)) Das gilt selbstverständlich ebenso in anderen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten, auch wenn es sicherlich große Unterschiede bezüglich der Intensität und Relevanz gibt.
Zum Problem werden solche Zuschreibungen jedoch, wenn sie pauschal verwendet werden und das Beschriebene durch die Assoziationen des Wortes in ein schlechtes Licht gerückt wird. Dies ist der Fall, wenn die (!) Muslime und der (!) Islam mit Zusätzen wie „konservativ“, „am Wortlaut haftend“, „nicht anschlussfähig“, „nicht weltoffen“, ja sogar „extremistisch“ oder „islamistisch“ versehen werden. So ist kaum ein Beitrag über islamische Gemeinschaften zu lesen, in dem nicht von den „konservativen Verbänden“ bzw. „traditionellen Muslimen“ oder „verschlossenen Moscheegemeinden“ die Rede ist.
Damit tut man Unrecht und nimmt etwaigen Entwicklungen den Wind aus den Segeln. Das Unrecht besteht darin, dass die Realität in den Gemeinschaften, sei es auf lokaler Ebene als auch in den Landes- und Bundesvertretungen um einiges vielfältiger ist als angenommen. Hier agieren Muslime mit teilweise sehr verschiedenen Standpunkten und Ansichten – und zwar als Teil der muslimischen Gemeinschaft, zu der sie sich zugehörig fühlen und von der sie akzeptiert und respektiert werden. Der Lebenslauf des jungen Muslims oder der jungen Muslimin, die quasi „organisch“ in ihre Gemeinde eingebunden ist und aufgrund ihrer Sozialisation und der Beheimatung in der hiesigen Gesellschaft einen Gewinn für die Gemeinschaft darstellt, ist der Normalfall.
Auch wenn es aufgrund sprachlicher, generationsbedingter oder etwa religiöser Meinungsverschiedenheiten zu Reibereien kommt, sind diese kein Grund als „liberaler Muslim“ – so die in den Medien verwendete Bezeichnung eines „mündigen“ Muslims – von der Gemeinschaft abgelehnt zu werden. In der Regel sind die islamischen Gemeinschaften viel „flexibler“ und „offener“, um noch zwei weitere Wörter zu nennen, die auf Muslime und ihre Organisationen nicht zutreffen sollen.
Mit der pauschalen Titulierung und den damit einhergehenden meist negativen Assoziationen werden junge Muslime nicht gerade motiviert, Engagement zu zeigen und zur Entwicklung des muslimischen Gemeindelebens, ohne den der Islam nur schwer vorzustellen ist, beizutragen. Den älteren Generationen ist es weitestgehend gleichgültig, wie sie von anderen gesehen werden. Denn zum einen ist ihr Selbstverständnis gefestigt und zum anderen nehmen sie die Diskussionen nicht in der Intensität wahr, wie es die jüngeren Generationen tun.
Wer aber von Kindesbeinen an in der deutschen Gesellschaft aufwächst, der wird so oder so mit – auch unbewusst geäußerten – Zuschreibungen konfrontiert. Er oder sie muss sich rechtfertigen, muss sich entscheiden, in welche Schublade er oder sie gehören möchte – „konservativ“, „liberal“, „gemäßigt“, „weltoffen“, „rational“, „traditionell“ usw. Ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Engagement in der Gemeinde und in der Gesellschaft im Sinne eines islamisch vertretbaren Einsatzes steht vor weiteren Hürden, eine gesunde Entwicklung der Gemeindestrukturen ist nur schwer möglich. Darunter leiden dann schließlich auch die Gemeinden selbst, denen die zeitnahen Impulse fehlen und die deshalb das Potenzial des jungen Personals kaum integrieren können.
Das Fazit liegt auf der Hand: Zuschreibungen wie „konservativ“ oder „liberal“, die eher in die Sphäre der politischen Orientierung gehören, dürften kaum geeignet sein, um Muslime und ihre Organisationen zu beschreiben. Sie dienen vielmehr der Selbstdefinition einer wie auch immer verstandenen „modernen“, „säkularen“, deutschen Gesellschaft und verhindern eine zukunftsfähige Entwicklung junger Muslime, die ihr Potenzial in Deutschland entfalten können und möchten.