Der Weg zu einem islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen gestaltete sich schwierig, und viele Hürden mussten erst überwunden werden. Meryam Saidi-Abdessadki gibt einen Überblick über die Entwicklung und den heutigen Stand.
Seit vielen Jahren schon wünschen sich muslimische Eltern einen adäquaten islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Und damit stehen sie nicht alleine da. Alle muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland, von den türkischen Organisationen Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) und Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) bis hin zu den arabisch dominierten und ethnisch neutralen Verbänden wie dem Islamrat und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), setzen sich schon seit fast zwei Jahrzehnten mit dieser Forderung auseinander und rücken diese zunehmend in den Fokus ihrer religionspolitischen Agenda, so auch im Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Diese Forderung geht eng einher, mit ihrem Bestreben verfassungsrechtlich als ordentliche „Religionsgemeinschaft“ anerkannt zu werden. Denn „im Wesentlichen geht es bei der Forderung muslimischer Organisationen nach Anerkennung als Religionsgemeinschaften um zwei vorrangige Ziele: Zum einen um die Einführung eines ordentlichen islamischen Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen sowie die Ausbildung geeigneter Lehrkräfte an deutschen Universitäten, und zum Anderen um den Aufbau einer religiösen Infrastruktur, die es möglich macht, seelsorgerische Angebote, etwa in Krankenhäusern und Gefängnissen zur Verfügung zu stellen.“, stellt Mounir Azzaoui, Politikwissenschaftler und religionspolitischer Experte fest.
In Nordrhein-Westfalen lassen sich rückblickend verschiedene vereinzelte Versuche verzeichnen islamischen Religionsunterricht an Schulen einzuführen. Ein Beispiel hierfür stellt das Pilotprojekt „Islamische Unterweisung“ dar, an dem sich einige Schulen in NRW beteiligten oder auch das Modell „Islamkunde“, welches als Übergangslösung konzipiert wurde. Wirklich befriedigend waren diese Versuche jedoch nicht. Der Forderung nach einem bekenntnisorientierten Islamunterricht, dessen Inhalte mit den Glaubensgrundsätzen der muslimischen Religionsgemeinschaften übereinstimmen, wurde damit nicht gerecht. In Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist festgelegt, dass ein ordentliches Lehrfach Religionsunterricht keine bloße vergleichende Religionskunde darstellt, sondern in konfessioneller Gebundenheit unterrichtet werden soll. Nach Art. 7 Abs.3 Satz 2 GG wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt. Dies traf auf diese Projekte nicht zu. Der Lehrplan wurde nicht von ausgebildeten islamischen Theologenkonzipiert und die Umsetzung wurde nicht gesetzlich flächendeckend durchgesetzt, sondern war vom Wohlwollen der jeweiligen Schulleitung oder der Kommune abhängig.
Einen tatsächlichen Meilenstein in dieser langjährigen religionspolitischen sowie rechtlichen Debatte stellt jedoch der religionspolitische Kompromiss zwischen der nordrheinwestfälischen Landesregierung und dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) dar.
Am 21. Dezember 2011 wurde im Landtag eine Schulgesetzänderung mit der Unterstützung der Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen verabschiedet, die die Grundlage für die Einführung von islamischem Religionsunterricht schafft. Das Gesetz basiert auf dem besagten Kompromiss zwischen der Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) im Februar 2011, der auf die Formel gebracht werden kann: Das Land Nordrhein- Westfalen arbeitet mit dem KRM wie mit einer Religionsgemeinschaft zusammen, ohne dass der KRM diesen Status inne hat.
Dies bedeutet, dass bei dem geplanten bekenntnisorientierten Religionsunterricht für muslimische Schüler, mit dem KRM nicht wie mit den christlichen Kirchen üblich, die religiösen Inhalte des Unterrichts direkt abgestimmt werden. Stattdessen übernimmt ein achtköpfiger Beirat diese Aufgabe. Der Beirat setzt sich zum einen aus vier theologisch, religionspädagogisch oder islamwissenschaftlich qualifizierten Vertretern der organisierten Muslime und zum anderen aus vier entsprechend qualifizierten Vertretern, die von der Landesregierung mit Einverständnis des KRM ernannt werden, zusammen. Die Aufgaben des Beirates bestehen darin, dafür Sorge zu tragen, dass die vermittelten Unterrichtsinhalte mit dem Selbstverständnis der Muslime übereinstimmen und ist darüber hinaus dafür zuständig Lehrerlaubnisse zu erteilen. Die Einführung des Faches sei “nicht nur eine Frage der Religionsfreiheit, sondern auch eine Anerkennung und Wertschätzung der 1,5 Millionen Muslime in Nordrhein-Westfalen“, erklärte NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann stolz. Obwohl es sich bekanntlich hierbei nur um ein Provisorium mit begrenzter Gültigkeit bis zum Jahre 2019 handelt, da die Muslime noch immer nicht als „Religionsgemeinschaft“ im Sinne des GG anerkannt sind, wird diese Entwicklung dennoch vom KRM begrüsst. Der ehemalige Sprecher des KRM, Erol Pürlü äußerte sich wie folgt dazu: “Ich hoffe und wünsche, dass aus diesem gemeinsamen Kommunikee richtungweisende Impulse in die breiteÖffentlichkeit ausgehen. Ich hoffe, dass unsere Bemühungen und Anstrengungen für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts von gegenseitiger Unterstützung und breiter Zustimmung getragen werden und unsere Kinder endlich in den Schulen islamischen Religionsunterricht angeboten bekommen.” Die erfolgreiche Implementierung des islamischen Religionsunterrichts kann schließlich als Bewährungsprobe angesehen werden, an dessen Ende auch eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes in Aussicht steht. Im Zuge dieser Schulgesetzesänderung gibt es also erstmalig seit dem Schuljahr 2012/2013 islamischen Bekenntnisunterricht nach §7 Abs. 3 GG. Nach Angaben des Schulministeriums sollen in diesem Schuljahr landesweit rund 4500 Schüler an 36 Grundschulen sowie an 25 weiterführenden Schulen islamischen Religionsunterricht erhalten. Dies stellt für die muslimische Glaubensgemeinschaft in NRW in der Tat einen deutlichen Fortschritt zu den vorherigen Entwicklungen dar.
Dennoch muss festgehalten werden, dass der eingeführte islamische Religionsunterricht derzeit in etwa einer Bedarfsabdeckung von 2 % der muslimischen Schüler entspricht. Für eine flächendeckende Einführung von islamischem Religionsunterricht in NRW bedarf es wesentlich größerer Anstrengungen, und vor allem wesentlich größerer Kapazitäten z. B. in Form von Erhöhungen des Bildungshaushaltes oder der stärkeren Fokussierung auf die Ausbildung von Lehrkräften. Dies bedeutet konkret, dass der bisher einzige Studienort für islamische Theologie in NRW, nämlich das Zentrum für islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms- Universität in Münster, das im Oktober 2011 eingerichtet wurde, weiter ausgebaut werden muss. „Die größte Herausforderung wird es sein, so schnell wie möglich Lehrer auszubilden, die sowohl den pädagogischen als auch inhaltlichen Anforderungen eines Unterrichts an staatlichen Schulen genügen. Hierbei muss natürlich der Qualität eindeutig der Vorrang eingeräumt werden.“, äußerte sich Prof. Dr. Bülent Ucar in einem Interview zu diesem Thema.
Die ersten wichtigen Schritte auf dem Weg zu der Etablierung eines regulären bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichtes sind also getan, aber bis zu einem flächendeckenden Angebot ist es noch ein weiter Weg.