Eine 28jährige Muslimin mit Kopftuch gewinnt einen Prozess gegen eine 60jährige Pädagogin, die sie auf offener Straße als Terroristin beschimpfte. Die Verurteilte zeigt jedoch keine Einsicht und fühlt sich in ihrer Islamfeindlichkeit bestärkt.
In seiner Donnerstagsausgabe (06.02.2014) berichtet das Hamburger Abendblatt über einen Beleidigungsprozess, bei dem am Ende eine junge Muslimin Gerechtigkeit erfuhr. Die 28jährige wurde laut Bericht in einer stark frequentierten Einkaufspassage in Hamburg von einer 60jährigen Pädagogin angepöbelt und als Terroristin beschimpft. Ein Polizeibeamter, der unmittelbar alarmiert wurde, war Zeuge weiterer Anfeindungen. Es kam zur Strafanzeige gegen die Pädagogin.
Vor Gericht bestritt die Angeklagte sowohl die Beleidigung als auch eine ausländerfeindliche Gesinnung. Sie bezeichnete das Kopftuch als „Instrument der Unterdrückung von Frauen“. Es widerspreche der Gleichbehandlung und sei nicht neutral. Gleichzeitig warf sie dem Opfer vor, diese habe sie beleidigt. Ein Vorwurf, der sich nach Anhörung von Zeugen nicht bestätigt.
Die junge Kopftuchträgerin schildert den Vorfall vor Gericht. „Seit dem Vorfall habe ich Angst rauszugehen“, äußert sie im Zeugenstand. Der Polizeibeamte erinnert sich noch, dass die Angeklagte das Opfer gefragt habe, ob sie ihr einen Flug nach Afghanistan organisieren solle, woraufhin er nach eigener Darstellung deeskalierend eingriff.
Staatsanwältin und Amtsrichter stellen sich auf die Seite des Opfers und verurteilen die Tat. Jemanden als „Terroristen“ zu bezeichnen, sei „objektiv ehrverletzend“, betont die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Dem stimmt auch der Richter am Amtsgericht zu und verurteilt die Angeklagte zu 800 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung.
Die Angeklagte habe nicht versucht, eine konstruktive Diskussion anzuregen, sondern deutlich ihre Missachtung demonstriert, erklärt der Richter. „Das zeigt, dass Sie sich radikalisiert haben. Sie schrecken nicht davor zurück, andere zu beleidigen“, stellt er fest.
Einsicht zeigt die studierte Pädagogin jedoch keine. Stattdessen kündigt sie nach der Urteilsverkündung empört und drohend an: „Ich werde ab heute jede mit einem Kopftuch ansprechen. Das wird ab heute ganz massiv!“
Verglichen mit dem tragischen Fall um das Opfer Marwa El-Sherbini stellt der Ausgang dieses Prozesses einen Erfolg dar. Parallelen dieser beiden Prozesse sind offensichtlich. In beiden Prozessen waren muslimische Frauen mit einem Kopftuch Opfer von verbalen Angriffen. Die Angeklagten wurden aufgrund des fremdenfeindlichen und islamfeindlichen Hintergrundes der Tat zu einer Geldstrafe verurteilt. Und in beiden Fällen zeigten die Täter keine Einsicht. Der einzige Erfolg scheint also darin zu bestehen, dass der Prozess in Hamburg nicht in einem grausamen Mord eskalierte.
Andererseits ist die Täterin im aktuellen Prozess keine arbeitslose junge Erwachsene aus prekären sozialen Verhältnissen, die aus Frustration agiert, sondern eine Pädagogin, die sich nach eigener Darstellung u. a. in Windkraftprojekten engagiert und bereits mit jungen Türkinnen in einer Einrichtung zusammen gearbeitet hat. Sie ist eine Frau aus der gehobenen Mitte der Gesellschaft, die es besser wissen sollte.
Spätestens aber seit der sog. Sarrazin-Debatte ist klar: Fremden- und Islamfeindlichkeit trifft man auch in gebildeten und intellektuellen Kreisen, gerade in Deutschland.
Eine repräsentative Studie zur religiösen Vielfalt in Europa, durchgeführt von dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster hat ergeben, dass Deutschland viel intoleranter ist gegenüber dem Islam und anderen nicht-christlichen Religionen als ihre westeuropäischen Nachbarn. Untersucht wurden in der Studie die Länder Deutschland, Frankreich, Dänemark, Niederlande und Portugal. „Die Unterschiede zwischen Deutschland und den anderen Ländern sind geradezu dramatisch, wenn es um die persönliche Haltung gegenüber Muslimen geht“, stellt der leitende Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack fest. Während Niederländer, Franzosen und Dänen mehrheitlich positiv über Muslime denken (zu 62 %, 56 % und 55 %) gilt das in Deutschland nur für eine Minderheit von 34 % (West) und 26 % (Ost).
Eine weitere Studie der Friedrich Ebert Stiftung unter der Leitung von Dr. Oliver Decker manifestiert die Zunahme islamfeindlicher Tendenzen in der Bevölkerung. So finden zum Beispiel 37 % der Befragten „ein Deutschland ohne Muslime besser“ und 35 Prozent der Befragten machen sich „große Sorgen, dass sich der Islam in unserer Gesellschaft zu stark ausbreitet.“