Die Geschichte der jüdischen Theologie in Deutschland sollte nicht getrennt von der Geschichte der Etablierung islamischer Theologie an Universitäten betrachtet werden. Gerade für die jüdische Theologie war es ein schwieriger und langer Weg bis zur Gleichberechtigung.
Unsere Reihe zur islamischen Theologie in Deutschland blickt heute über den Tellerrand hinaus auf die Geschichte der jüdischen Theologie und Judaistik in Deutschland. Wir sprachen mit Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka über die historische Entwicklung, die Rückschläge aber auch den Erfolg aus dem Jahr 2013 für die jüdische Theologie.
iQ: An deutschen Universitäten gibt es Studienfächer wie „Judaistik“ und „Jüdische Studien“. Der Begriff „Theologie“ wird nicht verwendet. Wieso?
Walter Homolka: Islamwissenschaften oder Orientalistik sind ja auch etwas anderes als Islamische Theologie. Die Judaistik dient der eher philologisch orientierten Beschäftigung mit dem Judentum, die Jüdischen Studien haben eine eher kulturhistorische Ausrichtung. Beide analysieren und erforschen die 3000jährige Geschichte und Gegenwart des Judentums in seinen vielfältigen religiösen, kulturellen, intellektuellen, wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen. Judaistik und Jüdische Studien sind säkulare Disziplinen und werden in Deutschland zumeist von Nichtjuden unterrichtet, teilweise sogar in einem christlich-theologischen Kontext.
Jüdische Theologie dagegen ist konfessionell gebunden, wird von jüdischen Hochschullehrern unterrichtet mit dem Berufsziel des geistlichen Amtes: Rabbiner(-in) bzw. Kantor(-in). Deshalb ist bei der Jüdischen Theologie auch die Mitwirkung der Religionsgemeinschaft erforderlich. In Kontinentaleuropa wird die „School for Jewish Theology“ der Universität Potsdam einzigartig sein. In Großbritannien gibt es noch das Leo Baeck College, das mit der University of Winchester kooperiert. Weltweit gehören zu den akkreditierten akademischen Rabbinerausbildungsstätten unter anderem das Hebrew Union College-Jewish Institute of Religion mit Sitz in Cincinnati, New York, Los Angeles und Jerusalem, das Jewish Theological Seminary New York und die Ziegler School for Rabbinic Studies der American Jewish University Los Angeles. Eine Vielzahl von Talmudschulen (Yeschiwot) bietet zudem eine nichtakademische Ausbildung zum Rabbiner der orthodoxen Richtung an.
iQ: Wann und vor welchem historischen Hintergrund haben sich Jüdische Studien bzw. die Judaistik an deutschen Universitäten etabliert? Gibt es parallele Entwicklungen in anderen europäischen Staaten?
Walter Homolka: In der Weimarer Republik war die Etablierung der Wissenschaft des Judentums an einer staatlichen Universität unmöglich. Sie wurde insbesondere von christlichen Theologen vereitelt. Die deutsche Judaistik ist eine Einrichtung der 1960er Jahre und bildete sich nicht zuletzt in Reaktion auf die Schoa heraus. Den Anstoß gaben die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und die Frage nach dem deutsch-jüdischen Verhältnis. In Wien wurde 1959 ein Lehrstuhl für Judaistik eingerichtet, in der Schweiz wurde die Judaistik 1971 zum universitären Fach. Vielerorts gab und gibt es auch eine bewusst christliche Prägung des Faches, etwa in Form von Lehrstühlen für Neues Testament und Judentumskunde.
iQ: Sehen Sie Parallelen zwischen den Diskussionen um die Etablierung islamischer Studien bzw. islamischer Theologie in Deutschland?
Walter Homolka: Der Wissenschaftsrat hat in den Jahren 2008 bis 2010 „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ erarbeitet und sich im Zuge dessen auch mit dem generellen Verhältnis der staatlichen Hochschulen zu theologischen Studien beschäftigt. Wenn aber die Theologie einen Platz an öffentlichen Universitäten hat, dann nicht allein die christliche, lautete die Schlussfolgerung. So konnten 2013 die ersten islamisch-theologischen Zentren an deutschen Universitäten ins Leben gerufen werden. Mit der Eröffnung der „School for Jewish Theology“ in der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam im Wintersemester 2013 hat sich eine beinahe zweihundert Jahre alte Forderung nach der Gleichstellung der jüdischen Theologie mit den christlichen Theologien erfüllt. Somit sind wir Nutznießer der Integration Islamischer Theologie in den Fächerkanon der deutschen Universität.
iQ: Welche Rolle haben jüdische Religionsgemeinschaften bei der Etablierung Jüdischer Studien gespielt und welche Funktion erfüllen sie heute?
Walter Homolka: Judaistik und Jüdische Studien an deutschen Universitäten sind wie gesagt säkulare Fächer. 1979 wurde deshalb in Trägerschaft des Zentralrats der Juden in Deutschland die „Hochschule für Jüdische Studien“ in Heidelberg eingerichtet. Dort findet neben jüdischen Studien für Juden und Nichtjuden mit einem gemischt-religiösen Lehrkörper u.a. auch die Religionslehrerausbildung statt. Für die Jüdische Theologie in Potsdam ist die Mitbestimmung der liberalen und konservativen Strömung durch einen Vertrag geregelt. Danach bedürfen die Studienordnungen und die Berufungen der jüdischen Hochschullehrer der Zustimmung einer „Studienkommission“, in der die Bekenntnisverbände, die Rabbinerseminare und die Allgemeine Rabbinerkonferenz des Zentralrats der Juden in Deutschland Sitz und Stimme haben.
iQ: Wie gehen die Universitäten mit der Tatsache um, dass es in Deutschland verschiedene jüdische Gemeinschaften gibt?
Walter Homolka: Das Judentum ist seit jeher plural angelegt. Das spiegelt sich auch in der Existenz zweier gleichberechtigter Rabbinerkonferenzen unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland wider. In Potsdam erfolgt die akademische Ausbildung von Rabbinern und Kantoren für die nichtorthodoxen Denominationen, also für das konservative und das liberale Judentum. Die Ausbildung orthodoxer Rabbiner findet nichtakademisch am Hildesheimer-Rabbinerseminar in Berlin statt, das mit dem Bachelor-Studiengang „Jüdische Sozialarbeit“ der Fachhochschule Erfurt kooperiert. Die heterogene jüdische Gemeinschaft in Deutschland verfügt mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland über eine staatliche anerkannte bundesweite politische Vertretung. Der Zentralrat ist Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Das Interview führte Ali Mete.
Erstveröffentlichung in der Ausgabe 222 der Zeitschrift Perspektif.