Die SPD hat jetzt einen Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokraten (AKMS). Nach der Gründung wurde im Willy-Brandt-Haus über die Frage: „Wie viel Religion braucht eine Gesellschaft?“ diskutiert – mit Interessanten Einblicken. Ein Bericht von Akif Şahin.
In Berlin wurde am Freitag (14.02.2014) der neue „Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ (AKMS) gegründet. In einer nicht öffentlichen Sitzung, zu der auch keine Presse zugelassen war, wurden durch die Teilnehmer der konstituierenden Sitzung fünf gleichberechtigte Sprecher des Arbeitskreises gewählt.
Die Gründung fand nach Angaben verschiedener Teilnehmer unter kontroversen Debatten und Diskussionen statt. Mit einem zwinkernden Auge erklärte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoğuz, dass sie selten eine „so friedliche“ Gründung eines Arbeitskreises erlebt habe. Özoğuz sprach das Grußwort bei der öffentlichen Veranstaltung mit dem Thema „Wie viel Religion braucht eine Gesellschaft?“ im Anschluss an die Gründung des AKMS.
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende beglückwünschte den AKMS zur Konstituierung. Özoğuz stellte die neuen Sprecher Tuba Işık (Religionspädagogin), Atilla Ülger (SPD-Politiker in Duisburg), Lydia Nofal (Mitwirkende am juma-Projekt), Mohammed Ibrahim und Selma Yılmaz-İlkhan erstmals öffentlich vor. Sie sprach den Sprechern Mut für die auf sie kommende Arbeit zu, machte aber auch klar, dass es nicht immer so schöne Berichte und Aufmerksamkeit für die Arbeit des AKMS geben dürfte.
„Seit Godesberg begreift sich die SPD als eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen, und auf der Grundlage gemeinsamer Werte und gemeinsamer Tugend, nämlich Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sozialdemokratische Politik gestalten“, erklärte Özoğuz. Gerade weil die Partei nicht vorschreibe, wie diese Begriffe zu begründen seien, habe die SPD großen Respekt vor den Überzeugungen ihrer Mitglieder und Unterstützer.
Özoğuz bekräftigte, dass Religion eine gestaltende Kraft sein könne. „Sie kann die Menschen dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, für ihre Mitmenschen, für die Gestaltung der Umwelt, für das Gelingen des Miteinanders.“ Religion könne zum Gelingen des Zusammenlebens beitragen und die SPD-Bundesvizin betonte: „Menschen muslimischen Glaubens haben auch in der SPD eine politische Heimat.“
Gleichzeitig betonte die SPD-Politikerin, dass es auch eines stärkeren Engagements für das gegenseitige Kennenlernen bedürfe. „Ich glaube, wir müssen uns manchmal auch einfach sehen und miteinander sprechen, bevor wir überhaupt nun in allen möglichen Diskussionen und Themen kommen, um erst mal zu merken, wir sind alle normale Menschen, die miteinander zu tun haben“, sagte Özoğuz.
Der Islamwissenschaftler und Jurist Prof. Mathias Rohe (Universität Erlangen-Nürnberg) hielt einen Vortrag zur Frage, wie viel Religion eine Gesellschaft braucht. Religion könne laut Rohe friedensfördernd und auch stabilisierend sein. Sie könne neutral, aber auch feindselig sein. Religion sei ambivalent. „Die Menschenrechte wurden mit der Religion und gegen die Religion durchgesetzt“, sagte Rohe als Beispiel.
„Gesellschaftlich förderlich, denke ich, kann Religion vor allem dann sein, wenn sie Menschen zu Bescheidenheit anhält. Zu einer gewissen Demut, auch gegenüber anderen Menschen. Nach dem Motto: Wir dürfen nicht alles tun, was wir tun dürfen“, sagte der Jurist.
Rohe betonte, der Islam sei, wie andere Weltreligionen auch, durch eine große Vielfalt gekennzeichnet. „Deswegen ist es sehr wichtig, und das sollte auch die Gesellschaft insgesamt sehen, dass man auf die Meinungen und auf die Taten der konkreten Personen achtet.“ Man müsse hinschauen, was die Menschen aus ihren Bezugsschriften machten.
Am Ende müsse die Gesellschaft selbst entscheiden, wie viel Religion sie braucht. Säkularität sei keine Religionsfeindlichkeit. Rohe positionierte sich in seinem Vortrag auch gegen den Laizismus, der sich in einer starken Religionsfeindlichkeit ausdrücke. Er befürworte das System der Säkularität in Deutschland, die zwar eine Trennung von Staat und Religion vorsehe, aber keine Trennung von Politik und Religion.
Der Journalist und Autor Eren Güvercin antwortete den Ausführungen von Prof. Rohe mit einer Replik bzw. einem eigenen Vortrag. Güvercin erklärte: „Die deutschen Muslime müssen die sozialen Komponenten ihrer Religion in den Mittelpunkt rücken, um eine aktivere Rolle in der Gesellschaft einzunehmen.“ Statt sich angesichts der deprimierenden Debatten der Vergangenheit in eine Opferhaltung zu begeben oder künstlich das Migrantendasein aufrecht zu erhalten, müssten Muslime mit positiven Beiträgen sozialer, kultureller und zivilgesellschaftlicher Art auffallen und aktiv werden.“
Scharf kritisierte Güvercin in seinem Vortrag die muslimischen Organisationen: „Die aktuellen politischen Organisationsformen der Muslime sind bisher weniger Teil der Lösung, als Teil des Problems. Die national und zentralistisch ausgerichteten Organisationen waren bisher nicht in der Lage ihre Einrichtungen weniger als politische Sammelstellen, sondern als soziale Dienstleister für alle Bürgerinnen und Bürger erscheinen zu lassen. Die Infrastruktur der Muslime in Deutschland ist gelinde gesagt mehr als bescheiden.“
Er forderte ein stärkeres Engagement von Muslimen und Kommunen zur Zusammenarbeit. Gelänge es Vertrauen zu schaffen, wären ganz neue Beiträge von Muslimen für die Gesellschaft denkbar, so der Autor. Stiftungen könnten soziale und kulturelle Beiträge leisten und die öffentlichen Haushalte entlasten. Muslime könnten mit Unterstützung der Kommunen helfen, die soziale Not in Deutschland zu lindern.
Güvercin kündigte zum Schluss eine eigene Initiative an. Es werde noch im Jahr 2014 ein Projekt mit mehreren Kollegen und dem Schriftsteller Feridun Zaimoğlu geben. Man wolle ein Forum für islamische Zivilgesellschaften gründen, an der sowohl die organisierten Muslime in den Religionsgemeinschaften und die nichtorganisierten Muslime zusammenkommen sollen.
In der anschließenden Diskussionsrunde, die von Fernsehmoderator Ali Aslan geführt wurde, nahmen Aydan Özoğuz, Prof. Rohe und Eren Güvercin mit Tuba Işık vom AKMS teil. In der Runde ging es meist um die Rolle des Arbeitskreises und seine künftigen Aufgaben. Der Arbeitskreis will sich nach Aussagen von Aydan Özoğuz und der Sprecherin Tuba Işık nicht allein auf Migrantenthemen konzentrieren, sondern vielmehr die Debattenkultur mit den verschiedenen Meinungen der Muslime zu aktuellen gesellschaftlichen Themen bereichern.
Die Agenda des AKMS sei jedoch noch nicht gesetzt. Alle Themen, die Muslime interessieren und betreffen sollen aufgenommen werden. Der AKMS soll dazu beitragen, dass Muslime sich in die politischen Debatten und in die politische Teilhabe einbringen können. Der Arbeitskreis wolle nicht nur exklusiv zu politischen Themen sprechen.
Güvercin glaubt daran, dass die muslimischen Organisationen die Gründung des AKMS begrüßen und positiv aufnehmen werden. Er schob jedoch ein, dass es halbstaatliche bzw. staatliche Projekte gebe, die zu einem Braindrain bei den Organisationen führten. Jugendliche, die man in den Gemeinden bräuchte, würden zu Projekten abwandern. Dies helfe jedoch nicht weiter.
Hochrangige Vertreter muslimischer Religionsgemeinschaften und Organisationen waren weder bei der Gründung noch in der Anschluss-Veranstaltung zugegen. Einzelne lokale Vertreter und Dialogbeauftragte verschiedener muslimischer Organisationen in Berlin waren als SPD-Mitglieder erschienen. Das Interesse der Organisationen an der Gründund eines ersten Arbeitskreises dieser Art scheint nicht vorhanden gewesen zu sein.
Die erwartete und angekündigte Begrüßungsrede von Partei-Chef Sigmar Gabriel fiel zudem auch aus. Über die Hintergründe seines Fernbleibens wurde nichts bekannt. Angeblich sollen für die Gründung des AKMS über 1.500 Einladungen an SPD-Mitglieder in ganz Deutschland verschickt worden sein. Angesichts dieser Zahl wirkte die Veranstaltung jedoch wenig besucht. Einige Sitzplätze blieben leer.