Weil sie ihre Tochter wegen eines Kopftuchverbots an der Schule nicht zum Unterricht schickten, wurden die Eltern einer muslimischen Schülerin durch die Staatsanwaltschaft im schweizer Kanton St. Gallen vor Gericht gezerrt. Jetzt entschied das Gericht, dass die Eltern richtig gehandelt haben, und sprach sie frei.
Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt. Eine junge muslimische Schülerin war wegen eines bestehenden Kopftuchverbots im Kanton St. Gallen vom Unterricht ausgeschlossen worden. Die Eltern klagten vor Gericht gegen das Kopftuchverbot, das betroffene Mädchen arbeitete in dieser Zeit den Schulstoff Zuhause nach. Im Oktober 2013 fing die Staatsanwaltschaft von St. Gallen überraschend an, gegen beide Eltern des Kindes zu ermitteln und erließ Strafbefehle. Vorwurf: Sie würden absichtlich ihr Kind vom Unterricht fernhalten. Die Eltern hätten die „Erziehungs- und Fürsorgepflicht“ verletzt sowie gegen amtliche Verfügungen und das kantonale Schulgesetz verstoßen.
Sturheit und ideologische Verblendung
Im November 2013 entschied ein Verwaltungsgericht, dass das Mädchen bis zum Abschluss des Klageverfahrens gegen das Kopftuchverbot an ihrer Schule auch weiterhin das Kopftuch tragen darf. Die Schülerin nahm daraufhin wieder regulär am Unterricht teil. Die Staatsanwaltschaft stellte jedoch die Ermittlungen gegen die Eltern nicht ein und brachte diese jetzt vor Gericht. Man wollte eine Haftstrafe für die Eltern erreichen.
Am gestrigen Mittwoch sprach ein Richter an einem Kreisgericht in Rheintal, die Eltern des Mädchens von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft frei. Sie hätten sich zu Recht auf die Religionsfreiheit berufen. Die Eltern gaben vor Gericht an, ihr Kind zwar religiös erzogen zu haben, das Mädchen wolle aber selber Kopftuch tragen. Der Verteidiger der Familie forderte einen Freispruch für beide Elternteile. Er warf den Schulbehörden „Sturheit“ und „ideologische Verblendung“ vor. Die Staatsanwaltschaft wiederum sah den Fall anders. Sie warf den Eltern fehlende Integrationsbereitschaft vor.
Freispruch – nur in diesem Fall
Das Gericht hingegen führte aus, dass es grundsätzlich nicht zulässig sei, ein Kind vom Schulunterricht fernzuhalten, allerdings rechtfertige im aktuellen Fall die Religionsfreiheit das Verhalten der Eltern. Zur Glaubens- und Religionsfreiheit gehöre auch das Recht, ein Kopftuch zu tragen. Entscheidend war es für den Richter, dass die Eltern sich gegen das Kopftuchverbot gerichtlich gewehrt haben. Sollte das Verbot gerichtlich bestätigt werden, würde die Sache anders aussehen, so der Richter.
Hintergrund
Im Kanton St. Gallen empfiehlt das von der rechtspopulistischen und islamfeindlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) geführte Bildungsdepartement Schulen ein generelles Kopfbedeckungsverbot. Die Schulen und Schulbehörden gehen allerdings unterschiedlich mit den Verbotsempfehlungen um.
In einem ähnlichen Fall im Juli dieses Jahres hatte das schweizerische Bundesgericht zugunsten von zwei mazedonischen Mädchen entschieden, die im Kanton Thurgau ein Kopftuch im Unterricht tragen wollten. Der im Juli verhandelte Fall brachte zwar keine Grundsatzentscheidung, wird jedoch als wegweisendes Urteil angesehen. Weitere Verfahren in ähnlichen Fällen sind anhängig. Ein Grundsatzurteil steht jedoch noch aus.