Interview mit Soleen Yusef

„Ich möchte Aufklärung, Transparenz, Gerechtigkeit.“

Wir sprachen mit Regisseurin Soleen Yusef über ihre Motivation einen Film über den NSU-Prozess zu drehen, über das gesellschaftliche Desinteresse am Prozess und generell über Rassismus und Diskriminierung in Deutschland.

15
03
2014
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Vier Schauspieler, ein karges Studio, zwei Kameras, warmes Licht. Das Set ist winzig. Die Schauspieler lesen von ihren Zetteln und Mappen die Texte ab. Es sind die Protokolle des größten Strafprozesses in Deutschland, seit der Wiedervereinigung. Eine Frau und vier Männer sitzen auf der Anklagebank. Ihnen wird vorgeworfen die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gegründet oder unterstützt zu haben. Eine rechtsextreme Organisation die zehn Menschen ermordet hat. Erst der Zufall deckte die rassistische Mordserie auf.

Der NSU-Prozess, wie ihn noch niemand zuvor gesehen hat. Verarbeitet in einem Film: Ein Projekt des Süddeutsche Zeitung Magazins, der Filmakademie Baden-Württemberg, der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg und der UFA Fiction. Regisseurin des Films ist Soleen Yusef.

Sie wurde 1987 in Duhok, im kurdischen Teil des Irak geboren. Im Alter von neun Jahren flüchtete sie zusammen mit ihrer Familie aus politischen Gründen nach Deutschland. In Berlin lernte sie singen, tanzen und schauspielern. Ab 2008 studierte sie an der Film-Akademie Baden-Württemberg szenische Regie. Soleen Yusef hat zahlreiche Werke veröffentlicht und internationale Preise gewonnen. Sie gilt als große Hoffnung für den Filmbereich, weil ihren „wachsamen Augen“, wie es Kritiker sagen, kaum Dinge entgehen.

Yusef sagte selbst über das sehr kleine Set für den Film zum NSU-Prozess: „Eine übertriebene Inszenierung würde der Realität nicht gerecht.“ Wir sprachen mit ihr über ihre Motivation, aber auch Hintergründe zum Film und über Rassismus in Deutschland.

 

IslamiQ: Frau Yusef, was war die Motivation gerade diesen Film zu drehen?

Soleen Yusef: Hauptsächlich habe ich es aus politischen Gründen gemacht, weil ich mich, selbst als außenstehende Mitbürgerin als ein Teil dieses Prozesses sehe. Ich möchte Aufklärung, Transparenz, Gerechtigkeit. Daher habe ich mich eigentlich verpflichtet gefühlt die Dokumentation zu realisieren, sodass der NSU-Prozess eine mediale Aufmerksamkeit bekommt, und zwar nicht nur in Form von Digitalen- und Printmedien, sondern auch in Form von audiovisueller Kommunikation. Diese Form der Berichterstattung ist in Deutschland sehr lasch und konservativ. Die Leute sind immer und überall auf ihren Smartphones Up to Date und zu erreichen, also sollte man sie auch über diesem Wege erreichen, am besten mit Nachrichten, die geballt sind, authentisch, ehrlich und innovativ. Deswegen wollte ich die Möglichkeit nicht versäumen bezüglich der NSU Taten eine große mediale Präsenz zu erzeugen. Das war die größte Motivation.

Eine interessante und wichtige Dokumentationsarbeit beim NSU-Prozess leistet auch das Projekt NSU-Watch: http://www.nsu-watch.info/

IslamiQ: Wie kam es dazu, dass diese Form der Darstellung der Protokolle ausgesucht wurde?

Soleen Yusef: Die Form der Dokumentation hat meiner Meinung nach am besten gepasst, weil ich den realen Protokollen gerecht werden wollte. Jegliche andere Form von filmischer Erzählung, die das Ganze künstlerisch abgewandelt hätte, wäre subjektiv geworden. Obwohl ich eine Haltung zu den Gerichtsprotokollen habe, wollte ich sie unbeschränkt und  frei von jeglicher persönlicher Meinung wiedergeben, deswegen habe ich mich für diese Form der Darstellung entschieden. Sie ist dicht, emotional, aber nicht wertend oder allzu subjektiv. Sie bietet Raum, um sich sein eigenes Urteil zu bilden.

 

IslamiQ: Wie empfinden Sie das (Des-)Interesse der Gesellschaft am NSU-Prozess? Kann dieser Film helfen, dass auch Bevölkerungsgruppen, die sich gar nicht für das Thema interessieren,

Soleen Yusef: Hauptsächlich ist es tatsächlich Desinteresse, dass ich wahrnehme. Die wenigen Leute, die sich mit dem Thema NSU schwer befassen, haben entweder einen politischen, juristischen oder eben künstlerischen Hintergrund, der meist ihre Weltansicht beeinflusst, sodass sie genauer hingucken. Aber ansonsten sind die Menschen gerade sehr stagniert. Wir alle leben in unserer kleinen sicheren Welt und befassen uns nur vom Weiten mit den tragischen und unmenschlichen Dingen der Politik und Gesellschaft. Das liegt auch teilweise an dem Überfluss an Informationen. Jeder hat Zugang zu wichtigen Informationen über Facebook, Twitter und alle möglichen Plattformen und Blogs. Diese werden auch weitergeteilt und für wichtig erachtet, aber auf die Straße gehen, machen wir anscheinend nicht mehr. Wir verstecken uns hinter unseren Laptops und teilen und streuen die Gräueltaten der Menschheit und Politik einfach übers Internet weiter, wohin? Wissen wir auch nicht. Aber zumindest werden sie festgehalten, archiviert, finden ihren Weg durch die Welt. Deshalb habe ich diesen Film auch gemacht, ob er nun alle Bevölkerungsgruppen erreicht hat, weiß ich nicht, aber zumindest habe ich einen wichtigen Teil der Zeitgeschichte festgehalten und das war mein größter Wunsch. Das ich die Geschichte des Prozesses oder des Verfahrens festhalte.

IslamiQ: Welche Reaktionen hat es auf den Film gegeben?

Soleen Yusef: Hauptsächlich positive. Aber der größte Erfolg war die Verwertung des Filmes. Er wurde mehrmals geteilt, verbreitet und weiterempfohlen. Das heißt, wir konnten das Interesse der Leute für das Thema wecken. Das war die beste Reaktion. Was mich schwer getroffen und mein Herz berührt hat ist, dass die Anwälte der Opferfamilien sich bei mir gemeldet haben und sich für die Dokumentation bedankt haben und sehr froh darüber waren, dass wir diese Arbeit auf die Beine gestellt haben. Ich glaube sie waren froh, dass dem Prozess durch den Film viel mehr Bedeutung beigemessen werden konnte. Er wurde durch die Dokumentation noch einmal angeregt diskutiert.

 

IslamiQ: Wissen Sie, wie sich die Sprecher gefühlt haben, als sie ihre Texte gelesen haben?

Soleen Yusef: Wir haben uns alle sehr betroffen gefühlt. Mehrmals mussten wir anhalten und das Gelesen reflektieren, bevor wir es weiterlesen konnten, Wir haben kurz darüber diskutiert und ausgetauscht und uns gegenseitig erzählt, wie wir gerade empfinden. Es war ein hartes Stück Arbeit für die Sprecher die Texte zu lesen. Aufgrund der Wertigkeit, der Schwere als auch der inhaltlichen Herausforderung, den Menschen gerecht zu werden.

 

IslamiQ: Was ist Ihre persönliche Meinung über Rassismus in Deutschland und den NSU-Prozess?

Soleen Yusef: Ich glaube, Rassismus entsteht immer nur da, wo Bildung, Chancengleichheit und damit eine Weitsicht fehlt. Die meisten rassistischen Menschen leben in ihrer kleinen, hasserfüllten Welt, die große Welt haben sie sich aber nie angeguckt. Ich glaube, dass sie sich dann in ihrer kleinen Welt selbst auch klein fühlen und sich mehr abschotten wollen, um sich selbst ein Gefühl zu geben, dass sie doch besonders sind oder sogar besser. Sie schotten sich ab, weil sie Angst haben. Und Angst frisst Seelen auf. Wenn ein Mensch seine Seele verliert, verliert er all seine Menschlichkeit und damit auch seinen Bezug zur Welt. Folglich heißt das, Menschen die man ausschließt oder die sich selbst ausschließen, bilden sich eine neue Sicht auf die Welt, die aber nichts mit der Realität zutun hat. So auch die rassistische Sicht auf die Welt. Rassismus ist für mich unverständlich und unreal.

Zum NSU Prozess habe ich nur eins zu sagen; Es ist klar, dass der NSU und ihre Mitglieder schuldig sind und verurteilt werden müssen, da gibt es fast gar keine Zweifel am Beweismaterial und den Zeugen. Was aber nicht klar ist, ist die Rolle des Verfassungsschutzes und diese will ich erklärt bekommen. Ich möchte, dass geklärt wird, in wieweit der Verfassungsschutz von den fünfzehn Jahren andauernden Taten der NSU-Mitglieder wusste und wieso das alles so passiert ist. Wie ist da die Verbindung? Warum habe ich so ein mulmiges Gefühl, dass mir der Rechtsstaat Informationen vorenthält und mich in die Irre führt. Das möchte ich geklärt haben. Sonst verliere ich wahrlich meinen Glauben an die deutsche Justiz aber auch an den Journalismus, der hierzulande betrieben wird.