Der frühere Bundespräsident Christian Wulff mahnte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Prozess gegen ihn in der türkischen Stadt Tarsus zu einem stärkeren Miteinander der Religionen. Ihm wurde die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen. Erneut gelang es ihm, Sympathiepunkte zu sammeln.
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff wünscht sich ein stärkeres Miteinander der Religionen in Deutschland. Die drei monotheistischen Weltreligionen müssten ein „ernsthaftes Interesse aneinander entwickeln“, welches über reine Toleranz hinausgehe, sagte Wulff bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Prozess gegen ihn am Dienstag in der türkischen Stadt Tarsus. Wulff nahm an der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Schlacht von Gallipoli (Çanakkale Savaşı) teil, die sich in diesem Jahr zum 99. Mal jährte.
In einer Rede würdigte er das Opfer der türkischen Kämpfer für die Freiheit der Republik. Er mahnte jedoch auch dazu, die Opfer der Alliierten Kräfte zu achten. Viele der Soldaten, die damals gegen die türkischen Truppen gekämpft hätten, hätten nicht einmal verstanden, warum sie in diesen Kampf gezogen seien. Zuvor hatte sich Wulff vor einer Büste des Staatsgründers Mustafa Kemal verneigt und damit den Applaus der Bürger gesichert.
Ehrenbürgerschaft für Wulff
Nach der Gedenkveranstaltung wurde Christian Wulff in einer eigenen Zeremonie die Ehrenbürgerschaft der Stadt Tarsus verliehen. Bürgermeister Burhanettin Kocamaz erklärte Christian Wulff habe bereits ab dem ersten Tag in seinem Amt als Bundespräsident der türkischen Community ein besonderes Interesse zu teil werden lassen. Man habe seinen Dialog mit den Muslimen nicht vergessen, betonte Kocamaz. Wulff wurden ein Zertifikat, ein Armband und der Schlüssel zur Stadt überreicht.
Während des Ersten Weltkrieges kam es auf der türkischen Halbinsel Gallipoli zu einem entscheidenden Kampf zwischen alliierten und türkischen Kämpfern. Mehr als 100.000 Menschen verloren bei der Schlacht ihr Leben. Der 18. März wird in der Türkei seitdem jedes Jahr als Nationalfeiertag begangen. Man erinnert an das Opfer für die Staatsgründung.
Christian Wulff bedankte sich für die Ehre und erklärte, für ihn seien die Menschen in Tarsus ein positives Beispiel. Sie würden den Christen Paulus als „heiligen religiösen Führer und Weisen“ ansehen, auch wenn sie selbst einer anderen Religion angehörten. Gleichzeitig machte Wulff darauf aufmerksam, dass in Tarsus auch der Prophetengefährte Bilāl ibn Rabāh al-Habaschī und der bei Juden als wichtig angesehen Prophet Daniel begraben sein sollen. Dies mache Tarsus zu einer weltweit wichtigen Stadt.
Islam gehört zu Deutschland
In seiner Rede nahm Wulff auch Bezug auf seine Reise als Bundespräsident nach Tarsus im Oktober 2010. Er formulierte bei seiner damaligen Türkeireise den Satz: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“ Damit variierte er seine Aussage aus der Rede zum 3. Oktober, in der er formuliert hatte, der Islam gehöre zu Deutschland. Wulff beklagte nun, die jeweiligen Sätze hätten jeweils in dem anderen Land eine positive Resonanz erfahren.
„Wir neigen wohl immer dazu, zuerst unsere eigenen Ansprüche zu sehen und erst einmal von anderen zu fordern, bevor wir selbst uns bewegen“, erklärte Wulff. Seine Schlussfolgerung daraus laute: „Seien wir bereit, den ersten Schritt zu gehen“. Dadurch ließen sich auch andere zu mehr Dialog und Austausch bewegen.