Islambilder in Deutschland und Europa sind auch historisch gewachsen. Viele Vorurteile aus vergangenen Tagen haben auch ihren Einfluss auf das jetzige Islambild. Das Beispiel Martin Luther zeigt dies sehr deutlich.
Die meisten Annahmen und Bilder über den Islam und die Muslime in Europa haben eine weitreichende Vergangenheit. Um immer wieder zur Sprache gebrachte Vorbehalte besser einordnen zu können, ja ein gewisses Verständnis dafür zu entwickeln, müssen die Hintergründe und Kontexte betrachtet werden. Denn oft sind diese historisch tief verwurzelt und reichen bis in die Antike.
So war es ein ehemaliger Beschäftigter am Hofe der Umayyaden, der orthodoxe Christ Johannes von Damaskus (gest. 749), der in seinem „De Haerisibus“ (Von den Häresien) erstmalig von dem Propheten Muhammad spricht:
„Sie [die Araber, Anm. des Autors] waren bis zur Zeit des [byzantinischen Kaisers] Herakleios [reg. 610–641] Götzendiener. Da aber trat unter ihnen ein falscher Prophet auf, „Mamed“ genannt, der eine eigene Irrlehre ins Leben rief, nachdem er flüchtig Kenntnis vom Alten und Neuen Testament gewonnen hatte und zugleich offenbar mit einem arianischen Mönch zusammengetroffen war. Später ließ er durch Täuschungen das Volk glauben, er sei ein gottesfürchtiger Mann, und streute Gerüchte aus, daß ihm eine Schrift vom Himmel herabgesandt sei. Nachdem er einige Lehren in diesem seinem Buch aufgestellt hatte, über die man nur lachen kann, lehrte er sie auf diese Weise, Gott zu verehren.“ ((Zitat nach Hartmut Bobzin, Mohammed, Verlag C. H. Beck, 2000, S. 10))
Johannes formulierte somit Annahmen, die sich noch lange Zeit – teilweise bis in die Gegenwart – halten sollten: Muhammad sei ein „falscher Prophet“, der Teile der Bibel übernommen habe und sich von häretischen Irrlehren habe verleiten lassen. Die anschließende christliche Polemik gegen den Propheten kann als Versuch verstanden werden, angesichts eines erstarkenden Islams, die Wahrheit des Christentums herauszustellen. In diesem Sinne verfassten Theologen wie Thomas von Aquin (gest. 1274) und Ramon Llull (gest. 1316) Werke, in denen sie sich theologisch mit den Lehren Muhammads auseinandersetzten. ((Gustav E. Grunebaum, Der Islam im Mittelalter, Artemis & Winkler Verlag, 1963, S. 68ff.))
Martin Luther in der Tradition christlicher Polemik
Wenn der Name Martin Luther fällt, denkt man in der Regel an die Reformation, zu dessen Symbolfigur Luther durch seine Kritiken an der Kirche und Frömmigkeit geworden ist. Ferner assoziiert man mit diesem Namen die Teilung der Kirche in eine katholische und eine protestantische Konfession, die in sich wiederum gespalten sind, oder an den Kampf gegen den Ablasshandel, um das bekannteste – sicher nicht grundlegendste – Anliegen des Reformators zu nennen.
Weniger bekannt ist, dass Martin Luther auch eine gewisse Vorstellung vom Islam beziehungsweise dem Propheten Muhammad und dem Koran hatte, die sich. Diese Ansichten lassen aus seinen Reden und Texten herauslesen lässt. Luther äußerte sich immer wieder „islamkritisch“ bis „islamfeindlich“, um zwei aktuelle Begriffe zu verwenden. Doch der Reformator war es auch, der sich für den Druck der Baseler Koranausgabe einsetzte, um auf diesem Wege einen unmittelbaren Zugang zu diesem epochenformenden Buch zu bekommen.
Historische Zeit Luthers
Um seine zumeist historisch gewachsenen und soziopolitisch und theologisch bedingten Auffassungen nachvollziehen zu können, müssen vor allem zwei Entwicklungen berücksichtigt werden: die Reformation und die sogenannte „Türkengefahr“. Denn vor diesem Hintergrund müssen viele Vorstellungen seiner Zeit über den Islam und den Propheten Muhammad betrachtet werden. Diese können wiederrum als Fortführung spätantiker und mittelalterlicher Bilder verstanden werden, die als Projektionsfläche für zeitgenössische Diskussionen dienten. Obwohl Zuschreibungen an den Islam bzw. den Propheten aus heutiger Sicht als offene Schroffheit angesehen werden können, sind sie keine böswilligen Erfindungen Martin Luthers, auch wenn sie in ihrer sprachlichen Herbe nicht immer nachzuvollziehen sind und dem Leser seiner Texte eine gewisse Nüchternheit abverlangen.
Martin Luther hat sich während seines gesamten Lebens mit dem Islam und den Muslimen bzw. den Türken ((Luther unterschied nicht zwischen Muslimen und Türken. Deshalb ist in diesem Beitrag Muslim gemeint, wenn Türke geschrieben wird und umgekehrt.)) beschäftigt. Er hat sie als Feinde, Zerstörer der gottgewollten Ordnung und Häretiker gesehen. Der Koran war für ihn ein Buch voller Lügen und der Prophet Muhammad ein Betrüger ohnegleichen. Diese und ähnliche Zuschreibungen haben ihre Wurzeln in spätantiken und mittelalterlichen Vorstellungen über die Religion des Islams und dessen Propheten, welche sich bis in die Zeit Luthers gehalten haben. So diente der Prophet als Mittel im innerchristlichen Disput. Protestanten wurden als „Mohammedaner“ beschimpft und der Papst als „Antichrist des Westens“ bezeichnet, wobei Muhammad als „Antichrist des Ostens“ galt.
Wie man unschwer erkennen kann, hat die Beschäftigung mit dem Propheten andere Gründe und Ziele als die der Neugier und des Wissensdurstes. Das zeitgenössische Bild, welches vom Propheten konstruiert wurde, hängt stark von diesen Absichten sowie der Stimmung der historischen Zeit ab. Dies ist auch der Fall bei Martin Luther, für den die „Türkengefahr“ und seine reformatorischen Bemühungen den Kontext bildeten.
Im Angesicht der „Türkengefahr“
Zu den soziopolitischen Entwicklungen zur Zeit Luthers gehört insbesondere die sogenannte „Türkengefahr“, die einherging mit einer „Türkenfurcht“. Dies wiederum kann vor allem auf ein zentrales Ereignis zurückgeführt werden: die Eroberung Konstantinopels am 29. Mai 1453 durch Sultan Mehmet II. und damit das Ende des christlichen Byzanz. Mit diesem Sieg hatte das Osmanische Reich einen wichtigen strategischen Standpunkt eingenommen und erschien der europäischen Christenheit umso bedrohlicher. Welche Intensität und Aktualität die gefühlte Bedrohung im nördlichen Europa hatte, aber gleichzeitig die Türkenfurcht erst ermöglichte, kann etwa an der Tatsache festgemacht werden, dass eine der im Jahre 1454 ersten gedruckten Flugschriften Johannes Gutenbergs den Titel „Eyn manung der cristenheit widder die durken“ trug.
Die andere Seite der Medaille ist, dass das Osmanische Reich nicht nur eine territoriale Bedrohung darstellte, sondern auch eine gewisse Anziehungskraft besaß und somit als Gefahr für die feudale Ordnung galt. Das war auch Martin Luther bewusst: „Dazu, wie unser deutsches Volk ein wüstes, wildes Volk ist, ja schier halb Teufel, halb Menschen sind, begehren etliche der Türken Zukunft und Regiment.’ ‚Weiter höre ich sagen, daß man findet in deutschen Landen, so des Türken und seines Regiments Zukunft begehren, als lieber unter dem Türken, denn unter dem Kaiser und Fürsten sein wollen. Mit solchen Leuten sollt’ böse streiten sein wider den Türken.’“ ((Margret Spohn, Alles getürkt. 500 Jahre (Vor)Urteile der Deutschen über die Türken, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 1993, S. 21))
Die Konstruktion eines Erzfeindes unterstützen sowohl Luther als auch die katholische Kirche. Vor dem Hintergrund der innerkirchlichen Spaltung und des schwächelnden Papsttums war insbesondere der katholischen Kirche daran gelegen, die Christenheit gegen einen gemeinsamen Feind zu vereinen. „Das Türkenbild, das den verängstigten Menschen immer wieder in jedem Gottesdienst eingehämmert wurde, war ein Grausames und Bedrohliches. Die Türken erschienen als die Zerstörer aller göttlichen Ordnung und als Feinde aller Christen/innen.“ ((Spohn, Alles getürkt, S. 46))
Mehr aus theologischen als aus machtpolitischen Gründen wurden also die Türken als ein Zeichen Gottes, ja als „Rute Gotes“ gedeutet, denen eine religiöse Umkehr folgen sollte. Für den Theologen Luther waren die Türken von Gott entsandt, „denn der Türke ist der Mann, der dich lernen wird, was di izt für gute Zeit hast und wie jämerlich undankbarkich, böslich du si wider Gott, seine Diener und deine Nächsten zugebracht, versäumet und missebrauchet hast.“ Für ihn war offensichtlich, „daß er solle Gotes Rute und Peitsche sein, daß sein Eigentum, die ihn nicht annehmen wollen, durch ihn aufgeweckt und ermuntert werden.“ ((Zitat bei Richard Lind, Luthers Stellung zum Kreuz- und Türkenkrieg, Gießen, 1940, 40:57))
Im Zwist mit der katholischen Kirche
Genauso entschlossen wie Luther gegen die Türken wetterte, genauso vehement , ja erbarmungslos stellte er sich gegen das Papsttum. Es kann gesagt werden, dass es historisch betrachtet zwei ineinander übergehende und aufeinander bezogene protestantische Feindbilder gab: den Papst und die Türken. Denn auch wenn die katholische Kirche und Luther die Türken als gemeinsamen Feind hatten, waren in den Augen Martin Luthers das Papsttum als auch die Türken zwei gleichwertige Feinde.
Diese Feindschaft saß so tief, dass sie sogar Eingang in Kirchenlieder fand. Eine Stelle des heutigen evangelischen Kirchengesangbuchs (EG 193) lautet:
„Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
und steure deiner Feinde Mord,
die Jesus Christus deinen Sohn,
wollen stürzen von deinem Thron.“
Im Original „Ein Kinderlied, zu singen wider die zween Erzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Papst und Türcken“ aus dem Jahre 1541 lautet die erste Strophe so:
„Erhalt vns Herr, bei deinem Wort
vnd steur das Bapsts vnd Türcken Mord.
Die Jhesum Christum deinen son
wollten stürtzen von deinem Thron.“ ((Spohn, Alles getürkt. S. 68))
Somit behandeln die zu dieser Zeit verbreiteten Schriften kein innergesellschaftliches Problem. Muslime, gegen die sich diese Polemik richten könnte, gab es weit und breit nicht. Vielmehr handelte es sich hierbei um ein innerkirchliches Anliegen, mit weitreichenden Folgen für die öffentliche Meinung über die Türken und den Islam.
Sicherlich haben Martin Luthers Äußerungen das heutige Islambild beeinflusst, auch wenn im Einzelnen untersucht werden müsste, welche konkreten Vorstellungen auf ihn zurückgehen bzw. durch ihn in die Vorstellungswelt der gegenwärtigen Öffentlichkeit Eingang gefunden haben. Jedoch dürfte es nicht fernliegen, aufgrund der Bedeutung Luthers insbesondere für das Christentum im deutschsprachigen Raum eine nachhaltige Wirkung anzunehmen.
Weiterführende Literatur
Johannes Ehmann, Luther, Türken und Islam. Eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515-1546), Gütersloher Verl.-Haus, 2008
Almut Höfert, Den Feind beschreiben: »Türkengefahr« und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600, Frankfurt/New York, 2003
Wahrnehmung des Islam zwischen Reformation und Aufklärung, Dietrich Klein, Fink, 2008
Thomas Kaufmann, „Türckenbüchlein“. Zur christlichen Wahrnehmung „türkischer Religion“ in Spätmittelalter und Reformation, Vandenhoeck & Ruprecht, 2008
Hans Medick, Peer Schmidt (Hg.), Luther zwischen den Kulturen: Zeitgenossenschaft – Weltwirkung, Vandenhoeck & Ruprecht, 2004
Margret Spohn, Alles getürkt. 500 Jahre (Vor)Urteile der Deutschen über die Türken, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 1993