Schweiz

Ein „Islam der Mitte“

Die Geschichte der Muslime und des Islam in der Schweiz ist älter als man denkt. Hisham Maizar, Vorsitzender des Schweizer Rates der Religionen, gibt einen kurzen Überblick, macht aber in seinem Gastbeitrag auch auf die Herausforderungen für Muslime in der Zukunft aufmerksam.

09
04
2014
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Ein Blick in die helvetische Geschichte erzählt von einem Volksstamm arabischer Muslime, der im Jahre 906 n.Chr. über Nordafrika bis in den Südwesten der gegenwärtigen Schweiz vordrängte und sich eine gewisse Epoche sogar ansiedelte. Die Anhänger dieses Volksstammes nannte man     „die Sarazenen“. Daraus kann gefolgert werden, dass die Geschichte des Islams, hierzulande, älter ist, als die der eidgenossischen Schweiz selbst, deren Gründung auf das Jahr 1292 n.Chr. zurückgeht.

Analysiert man die Lage des Islams in der Schweiz aus neuerer Zeit, so stellen wir fest, dass der Islam in der Schweiz, vorwiegend eine Migrationsreligion ist. Ende des II- Weltkrieges und Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa waren für den Islam und die Muslime in dieser Region besonders ausschlaggebend. Zu dieser Zeit wurden mehrheitlich Arbeitkräfte als Fremd- resp. Gastarbeiter aus der Türkei, später aus dem balkanischen Ex-Jugoslawien. Hierzu sagte der berühmte Schweizer Schriftsteller Max Frisch im Jahre 1965:

„Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind  Menschen sind gekommen“                                                 

Diese I-Generation von Arbeitern war vorwiegend aus ländlichen Gebieten und sie dachten nur eine unbestimmte Zeit hier bleiben zu dürfen. Eine Art “Kleinheimat“ fanden sie in islamischen Vereinen und Kulturzentren. Dort konnten sie sich abseits der Gesellschaft treffen, ihre Freuden und Leiden mit einander teilen und ihren Glauben gemeinsam nachgehen. Dieses Verhalten machte sie nicht auffallend sichtbar und daher war der Islam und mit ihm die Muslime kein grosses Thema.

Als die II- islamische Generation jedoch heran wuchs, wuchsen mit ihr das Bewusstsein und damit das Bedürfnis nach eigener religiöser Identität und heimatlicher Traditionen. Nach und nach wurde der Islam in der Gesellschaft sicht- und wahrnehmbarer und begann für Staat, Gesellschaft und für die etablierten Landeskirchen eine eher zunehmende Herausforderung darzustellen. Der Islam stiess vermehrt auf Interesse. Durch sukzessive Zunahme der Anzahl der Muslime jedoch, besonders nach dem Balkankrieg der neunziger Jahre kam es zu immer stärkerer Bildung gesellschaftlicher Strukturen und Interdependenzen.

Eine Zäsur stellten die Ereignisse vom 11.09.2001 dar. Praktisch wurden die Muslime weltweit unter Generalverdacht gestellt. Dies veranlasste die heterogenen islamischen Gemeinschaften hierzulande, sich gesellschaftlich klarer zu positionieren und zu integrieren. In der Ostschweiz als Beispiel entstand am 01.03.2003 der Dachverband islamischer Gemeinden der Ostschweiz und Fürstentum Liechtenstein, Kurz DIGO genannt. Im April des  Jahres 2006 folgte dann die Bildung der schweizweiten Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz, kurz FIDS genannt. In ihr sind zwölf kantonale islamische Dachorganisationen vereint. FIDS stellt mit ihren über 170 islamischen Zentren die grösste islamische Dachorganisation, welche auf Bundesebene agiert.

Neben ihr befindet sich eine kleinere Koordination einiger islamischer Organisationen in der Schweiz mit etwa 5o Zentren, welche unter der Kurzbezeichnung KIOS bekannt ist.

Neben diesen Organisationen gibt es eine weitere Zahl von Splittergruppierungen, welche leider ein Handicap für Muslime darstellen. Aber Gesetze der Schweiz erlauben Derartiges!

Im Mai 2006 wurde der “Schweizer Rat der Religionen“, kurz SCR ausgerufen, bei dem die Spitzenvertreter der Gottehrenden Religionsgemeinschaften repräsentiert sind. Auf islamischer Seite  sind die Präsidenten von FIDS und KIOS Mitglieder dieses, auf  Schweizer Bundesebene, wichtigen Gremiums.

Seit Ende des Jahres 2010 arbeiten  FIDS und KIOS eng mit einander zusammen. Ziel dieses Schulterschlusses sollten u. a.  sein, der einheitliche Auftritt gegenüber Politik und Gesellschaft sowie die Anstrebung der rechtlichen Anerkennung des Islams in der Schweiz. Damit zusammenhängend ist auch die Förderung des offenen und konstruktiven Dialogs mit den religiösen und (a)religiösen Gemeinschaften, mit der zivilen Gesellschaft der Schweiz und mit dem Staat selbst beinhaltet..

Im Namen der klaren Mehrheit der in der Schweiz lebenden Muslime soll der “Islam der Mitte“ gefördert werden, Jener Islam also, der fern ab jeglichen Extremismus/Terrorismus steht und argumentiert und die rechtstaatlichen und demokratischen Strukturen der Schweiz respektiert. Dadurch soll bewiesen werden,  dass “Schweizer-Sein“ mit dem Islam als Glauben in keinem Widerspruch stehen muss und umgekehrt.

Den Spannungsfeldern wie jenen zwischen Traditionsvermittlung und den Trends zur Individualisierung in der säkularen Gesellschaft begegnen:

In der Koransure 5, Vers 53 steht zu lesen“ Und so Allah es wollte, wahrlich er machte euch zu einer einzigen Gemeinde(Nation) doch will Er euch prüfen in dem, was Er euch gegeben hat. Der meist Bevorzugte von euch bei Allah ist der, der sich zum Tun des Guten anstrengt. Zu Allah ist eure Heimkehr allzumal; und Er wird euch über alles berichten“.

Und in der Koransure 49, Verse 13 wird aufgerufen:

“ O Ihr Menschen, wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und    Stämmen gemacht, damit ihr euch näher kennenlernet. Der bevorzugte von euch bei Allah sei der, der am meisten Gottesfürchtig ist. Allah ist allwissend und kennt das Verborgene“

Im praktischen Alltag erwiesen sich die Muslime in der Schweiz anfangs als erschwert zugänglich. Die praktizierenden Muslime waren in kleinen, meist ethnisch geprägten kommunalen Vereinen und Kulturzentren organisiert und erst nach den Ereignissen vom Sept. 2001 damit begonnen, die heterogenen Muslimverbände in kantonalen und nationalen Vereinigungen aufgehen zu lassen. Damit ist die Frage nach dem Gesprächs- und Diskussionspartner nicht mehr länger offen geblieben.

In den kommenden Jahren dürfte die Gewährleistung des Dialogs durch die weitere Professionalisierung der islamischen Verbände, die zunehmende gesellschaftliche Integration der Generationen kaum gefährdet sein.

Die muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz, sehen sich seit den letzten zwei bis drei Dekaden erheblichen Herausforderungen gegenüber gestellt, auf der einen Seite die Moderne/Post Moderne mit dem rasanten wissenschaftlichen Fortschritt, der Individualisierung und Privatisierung, auf der anderen Seite die Krisen der moralischen Werte und  des Glaubens. Der Islam selbst fordert Staat und Gesellschaft durch seine Ansässigkeit und durch die Art und Weise wie er mit dieser Ansässigkeit umgeht.

In Europa nimmt die Schweiz einen besonderen Platz ein. Sie gehört nicht zu der EU und weist in ihrer Verfassung das auf, was hierzulande als die direkte Demokratie bezeichnet wird. D.h. dass das Schweizervolk das Souverän ist der Gesetzgebung ist. Mit anderen Worten, wenn ein Teil des Volkes oder eine politische Partei findet, dass ein Begehren wie das von Minarettenbau vom Jahre 2009, dann haben sie das Recht dagegen mit einer Initiative zu opponieren. Nimmt die Mehrheit des Volkes und die der Kantone solche an, dann hat der Staat den Volkswillen zu akzeptieren und sofort umzusetzen, auch wenn es nicht dem Sinne der Regierung entspricht. So lobenswert eine solche direkte Demokratie ist, sosehr muss man wissen, dass sie für manche andere eine weitere Hürde darstellen kann.

Als Muslime in der Schweiz haben wir allgemeine Probleme mit unserem „Moslemsein“ wie im übrigen Europa auch. Zu solchen Problemen gehören die Dauerbrenner- Debatten über das Tragen vom Kopftuch in öffentlichen Schulen, die Weigerung mancher Muslimas an Schullagern teil zu nehmen, die allgemeine Angst der Einheimischen vor einer sog. schleichenden Islamisierung der Gesellschaft und vor Fragen der Gewaltanwendung und des Terrors.

Der Religionsneutrale säkulare Rechtsstaat der Schweiz garantiert in seiner Verfassung die Grundfreiheiten und die Menschenrechte. In der Schweiz ist der Islam zwar noch nicht öffentlich rechtlich anerkannt wie die Landeskirchen. Durch die von uns erstrebte Anerkennung würde uns Türen zum Islamunterricht an öffentlichen Schulen und Steuererhebung von Muslimen zu transparenter Finanzierung unserer Organisationen. Unsere islamischen Probleme liegen hier nur zu ca. 10%  auf der Staatsbundesebene. Die übrigen 90% liegen auf den 26 Kantons- und der vielzähligen Gemeindeebenen. Die Autonomie der  26 Kantonen, und jener der Gemeinden ist ein weiteres Spezifikum des Schweizer Systems.

Zurzeit wird das Kopftuch der Muslimas heftig diskutiert in den Medien und in der Gesellschaft. Fragen der Halalprodukte und der Schächtung sind noch ungelöst. In Fragen der muslimischen Grabfelderbestellung zeichnen wir hingegen einen positiven Lösungstrend.

Umgang der Muslime mit den Herausforderungen?

Die muslimischen Gemeinschaften sehen in dem, hier angesiedelten Islam,  eine historische Begegnungschance mit den Weltreligionen eng zusammen zukommen-  und zusammen zuarbeiten. Unsere multiethnität und multikulturallität stellt kein markantes Problem dar, da ein Grundkonsens über den hier praktizierten Islam unter den Muslimen mehrheitlich besteht. Der Islam in der Schweiz, ist ein “ Islam der Mitte“,   der  die Vielfalt anerkennt und die gesellschaftlichen Entwicklungen unterstützt unter Beibehaltung der eigenen Glaubensidentität. Dieser Islam sieht sich in erster Linie  nicht als Bedrohung an, sondern als Gewinn und Chance für alle.