„Ständiger Terror“

Welthungerhilfe-Vorstand Mogge zur Lage in Syrien

Im Gespräch mit Joachim Heinz zur aktuellen Lage in Syrien zieht Mathias Mogge eine düstere Bilanz. Diplomatische Initiativen zur Lösung des Syrien-Konflikts seien nicht in Sicht – das Leid der Menschen gehe unterdessen weiter.

11
04
2014
0

In den deutschen Medien ist es um Syrien ruhiger geworden. In dem Bürgerkriegsland jedoch regieren weiter Angst und Schrecken – und das nun schon seit drei Jahren. Mathias Mogge, Vorstand Programme der Welthungerhilfe, ist am Freitag von einem viertägigen Türkei-Aufenthalt zurückgekehrt. Unmittelbar an der Grenze zu Syrien, in der Stadt Gaziantep, unterhält die Welthungerhilfe ein Büro. Von dort aus wird die Betreuung der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge in beiden Ländern koordiniert. Im Interview zieht Mogge eine düstere Bilanz.

Herr Mogge, worauf konzentriert sich die Welthungerhilfe in Syrien selbst?

Mogge: Ganz klar auf die Verteilung von Nahrungsmitteln. Die Ressourcen in Syrien sind aufgebraucht. Die Landwirtschaft steht vor dem Zusammenbruch. Bauern bekommen keinen Diesel mehr für ihre Traktoren, das Saatgut ist knapp, und die Bewässerungssysteme sind zerstört. Mangelnde Niederschläge haben die Lage weiter verschärft. Das alles hat dazu geführt, dass sich die Preise für Grundnahrungsmittel dramatisch erhöht haben.

 

Der Gründer der Organisation «Grünhelme», Rupert Neudeck, hat unlängst die Einrichtung einer Luftbrücke vorgeschlagen, um die Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Wie realistisch ist dieser Ansatz?

Mogge: Ich halte die Idee für gar nicht so abwegig, wenn es darum geht, möglichst viele Menschen zu erreichen. Allerdings funktionieren derzeit noch die Lieferungen per LKW. Nicht nur wir selbst, auch andere Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen bringen große Mengen an Lebensmitteln aus den Nachbarländern nach Syrien – sozusagen als Luftbrücke auf dem Landweg.

 

Welche Auswirkungen haben die Kämpfe im Land auf die Arbeit der Helfer?

Mogge: Es sind in unseren Projektgebieten weniger die Kämpfe, die Bomben, die vom Himmel fallen, die uns und den Menschen vor Ort zu schaffen machen. Es ist der ständige Terror der wechselnden Besatzer. Unser Projektkoordinator in Syrien sitzt in Manbij, etwa 100 Kilometer südöstlich von Gaziantep. Er hat uns erzählt, dass derzeit dort radikale Islamisten das Sagen haben – die können in zwei Wochen aber wieder fort sein und durch Regierungstruppen oder andere Gruppierungen ersetzt werden, die ihr Regime der Bevölkerung aufzwingen. Man weiß es schlicht nicht.

 

Lässt sich mit islamistischen Besatzern Hilfe überhaupt sinnvoll planen?

Mogge: Wenn man geschickt verhandelt, dann schon. Aber es ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Das geht nur mit einheimischen Mitarbeitern und zusammen mit lokalen Hilfsorganisationen. Diese Leute sind enorm engagiert und  – anders als in vielen anderen Krisengebieten – sehr gut ausgebildet. Aber auch sie leben in ständiger Angst vor Folter und Entführungen. Unser Koordinator etwa war Lehrer in Aleppo. In die Stadt traut er sich nicht mehr, auch wenn er dort sein Salär abholen könnte. Er sagte mir: «Wir waren ganz normale Menschen und jetzt leben wir in Leid und Schrecken.»

 

Was ist mit ausländischen Helfern?

Mogge: Die können derzeit nicht nach Syrien. Direkt für uns arbeiten außer dem Koordinator zehn weitere Einheimische. Ihnen gelingt es immer wieder, die grüne Grenze zur Türkei zu überqueren und Kontakt zu unserem Büro in Gaziantep zu halten. Aber auch das ist äußerst gefährlich.

 

Wie sieht die Lage in der Türkei aus – was erwartet die syrischen Flüchtlinge dort?

Mogge: Die Türkei bemüht sich sehr um eine professionelle Betreuung, hat inzwischen 25 Zeltstädte in der Grenzregion errichtet. Diese Behelfsbehausungen sind gigantisch groß – und immer noch reißt der Strom der Flüchtlinge nicht ab. Viele Neuankömmlinge werden deswegen auch auf die umliegenden Ortschaften verteilt.

 

Das klingt nach Stoff für neue Konflikte.

Mogge: Leider steht das zu befürchten. Mancherorts ist bereits eine gewisse Fremdenfeindlichkeit zu spüren, weil dort so viele Flüchtlinge untergekommen sind, dass besonders in kleineren Dörfern die Flüchtlinge in der Mehrheit sind. Solche kleinen Beobachtungen am Rande zeigen, dass die Aufnahmefähigkeit der Türkei allmählich an ihre Grenzen stößt.

 

Umso wichtiger wären diplomatische Initiativen zur Lösung des Konflikts…

Mogge: Aber die sind nirgends in Sicht. Russland, das in dem Konflikt eine Schlüsselrolle spielte, ist durch die Krimkrise quasi aus dem Spiel. Ich wüsste deswegen nicht, wo auf politischer Ebene ein baldiger Frieden für Syrien herkommen sollte. Die Lage ist verfahren und extrem frustrierend.

 

Was sind die Konsequenzen für die Welthungerhilfe?

Mogge: Wir richten uns wie andere Helfer auch auf ein längerfristiges Engagement ein, planen beispielsweise Schulen und Ausbildungsmaßnahmen für die Kinder und Jugendlichen, die in den Lagern leben.

 

Sollte Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Mogge: Angesichts Hunderttausender Menschen, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben – ganz zu schweigen von Ländern wie Irak, Jordanien oder Libanon – sollte Deutschland mehr Verantwortung übernehmen.

Das Gespräch führte Joachim Heinz (KNA)