Erneut ist ein wichtiger Zeuge bei der Aufarbeitung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf mysteriöse Weise gestorben. Die Ungereimtheiten nehmen zu. Aufklärung in der Sache rückt in weite Ferne.
Aufklärung hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Staatsakt für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) versprochen. Doch seit diesem denkwürdigen Tag hat sich nicht viel getan. Statt Aufklärung gibt es immer mehr Ungereimtheiten beim NSU – sowohl im Prozess vor dem Oberlandesgericht München als auch auf den Nebenschauplätzen. Jetzt ist ein weiterer mysteriöser Tod eines wichtigen Zeugen dazu gekommen.
Der als V-Mann des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU aktive Thomas R., besser bekannt unter seinem Decknamen „Corelli“, wurde Ende März leblos in seiner Wohnung aufgefunden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz informierte laut dem Magazin Der SPIEGEL vergangene Woche den Parlamentarischen Kontrollausschuss des Bundestags über den Fall. Thomas R. soll demnach an einer nicht diagnostizierten Zuckerkrankheit gestorben sein. Eine „Fremdeinwirkung“ werde ausgeschlossen, heißt es. Der ehemalige V-Mann stand in einem Zeugenschutzprogramm und hatte auch als Zeuge bei den Ermittlungen zum NSU ausgesagt, wurde jedoch nicht im Prozess vernommen.
R. hatte bei seinen Vernehmungen Verbindungen zur NSU bestritten. Er gab jedoch unter anderem wichtige Hinweise auf die Existenz von Strukturen des rechtsextremen Ku-Klux-Klan in Deutschland. Seine Hinweise führten auch dazu, dass herauskam, dass zwei baden-württembergische Polizeibeamte Gründer des Ku-Klux-Klan in Deutschland waren. Die Behörden konnten die Beamten jedoch nach dem Auffliegen des Skandals nicht kündigen, wie NSU-Watch schreibt. Stattdessen wurde in Baden-Württemberg ein neuer Fragebogen für angehende Polizisten entworfen, der künftig solche Fälle verhindern soll. Darin bestätigen die angehenden Beamten, dass sie kein Mitglied einer „extremistischen oder verfassungsfeindlichen“ Organisation oder Gruppe sind.
Wie es sein kann, dass Jemand, der in einem Zeugenschutzprogramm steckt, an einer nicht erkannten Zuckerkrankheit plötzlich stirb, bleibt allerdings ein Geheimnis. So ein Zufall erscheint angesichts der Tragweite sehr merkwürdig, da der Tod von „Corelli“ nicht die einzige Ungereimtheit bei der Aufklärung der NSU-Morde ist.
Bereits im September 2013 wurde ein weiterer wichtiger Zeuge verbrannt in seinem Auto aufgefunden. Die Polizei ging von einem Suizid aus, obwohl kein Abschiedsbrief gefunden wurde. Der Staatsschutz hatte geplant, Florian H. zu möglichen Komplizen der rechten Terrorgruppe NSU zu befragen. Doch der Zeuge starb nur wenige Stunden vor der Vernehmung. Die Polizei hatte erklärt, der junge Mann habe sich in seinem Wagen selbst angezündet – aus Liebeskummer.
Dem widerspricht, dass Zeugen eine Explosion beobachtet haben wollen, kurz nach dem der junge Mann in seinen Wagen gestiegen war. Erst danach sei der Wagen in Brand geraten und ausgebrannt. Vor dem Tod gab es zudem einen anonymen Hinweis, wonach Florian H. Kenntnisse über den Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter haben könnte. H. hatte Kenntnisse über den Mord bestritten aber dafür Hinweise zu einer weiteren rechtsterroristischen Gruppe gegeben. Das wurde erst kurz vor dem Tod öffentlich – durch den Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. H. hatte laut Bericht Hinweise zu einer Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) gegeben.
Die Umstände wie beide Zeugen im wohl wichtigsten Fall Deutschlands nach der Wiedervereinigung umgekommen sind, lässt viele Fragen offen. Dass das Versprechen der Bundeskanzlerin irgendwann eingelöst wird, rückt in weite Ferne.