Mit seinem neuen Buch „Der islamische Faschismus“ eckt der Publizist und Autor Hamed Abdel-Samad an. Ali Ghandour hat das Buch gelesen und spricht in seiner kritischen Rezension über die gefeierte „intellektuelle Leere“ des deutsch-ägyptischen Publizisten.
Der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad will mit seinem neuen Buch Der islamische Faschismus der Wurzel des Faschismus in der Religion des Islams und dessen Geschichte auf den Grund gehen. Seine Grundthese, welche er in den 11 Kapiteln seines Buches gebetsmühlenartig wiederholt, lautet: Die faschistoiden Züge des Islamismus sind eigentlich nichts anderes als die logische Konsequenz der politischen und rechtlichen Aspekte des Islams selbst.
Das Buch liefert aber keine Belege für diese schwerwiegende Behauptung, vielmehr werden die Inhalte des Buches durch persönliche Erfahrungen des Autors, ein verzerrtes und vereinfachtes Weltbild sowie Unkenntnis der Geschichte und der Erkenntnisse der Islamwissenschaft gespeist. Skandalöse Aussagen wie: „Fast die Hälfte der Kriege, die Mohamed auf der arabischen Halbinsel führte, richteten sich gegen jüdische Stämme, die sich ihm nicht unterwerfen wollten.“ ((Abdel-Samad, Hamed: Der islamische Faschismus. Eine Analyse (Ebook), München 2014, Kap. 3.1.)) oder Pauschalisierungen wie „Die Attentäter des 11. September stehen stellvertretend für eine ganze Generation, die an der Schizophrenie zwischen westlichem Lebensstil einerseits und hermetischer Abschottung andererseits zerbrochen ist.“ sind nur ein Beispiel von dem, was die LeserInnen dieser – wie es auf dem Titel steht – „Analyse“ erwartet.
Besonders auf seine bewussten oder aus Unwissenheit getroffenen falschen Angaben zum Islam und seiner Geschichte kann man in der Kürze dieses Beitrags nicht eingehen. (Eine entsprechende Arbeit ist in Vorbereitung)
Für Abdel-Samad sind Faschismus und Islamismus Konterrevolutionen und Reaktionen auf die Moderne und die Aufklärung. Hier liegt schon das erste Problem, denn sowohl Faschismus als auch Islamismus, so erstaunlich es klingen mag, sind keine Reaktionen auf die Moderne, vielmehr sind sie Ergebnisse der Moderne selbst und stellen manchen ihrer Gedankengänge zu Ende gedacht und in die Realität umgesetzt dar. Der Münsteraner Professor Thomas Bauer brachte es auf den Punkt, als er in „Die Kultur der Ambiguität“ schrieb: „Daß es sich beim Islamismus unserer Tage um keine restaurative, geschweige denn traditionalistische Bewegung handelt, ist in der Fachwissenschaft unumstritten. Vielmehr ist der Islamismus ein Phänomen der Modernisierung des Islams, der sich selbst in seine epistemologischen Grundlagen nicht auf den klassischen Islam (der nach Ansicht der Islamisten ein verfälschter, dekadenter Islam war) berufen kann und will, sondern auf epistemologische Grundlagen der Aufklärung und der Moderne“ ((Bauer, Thomas: Die Kultur der Ambiguität: eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011, S. 387.)) Diese Selbstverständlichkeiten der zeitgenössischen Islamforschung kennt Abdel-Samad offensichtlich nicht oder ignoriert sie beflissentlich. Das, was für den Islamismus gilt, gilt auch für den Faschismus. Dass die faschistischen Ideologien und die von ihnen verursachten Genozide nichts anderes als ein möglicher Weg der Aufklärung sind, haben Philosophen der Kritischen Theorie, wie Horkheimer und Adorno sowie postmoderne Denker wie der jüdische Soziologe Zygmunt Baumann hinreichend nachgewiesen. ((Siehe dazu: Baumann, Zygmunt: Dialektik der Ordnung: die Moderne und der Holocaust, Hamburg 2002. Vgl. Kapitel 4: S. 98-132.)) Abdel-Samad hätte gut daran getan einmal zu lesen, was die wichtigsten deutschen Denker des vergangenen Jahrhunderts zur Moderne und Aufklärung gesagt haben, bevor er sich auf den Islam stürzt. Dann würde er nicht in die intellektuelle Leere stolpern.
Das Problem vieler arabischer Polemiker wie Abdel-Samad, aber auch ernst zu nehmender Reformdenker ist, dass sie bei einem Verständnis der Moderne hängen geblieben sind, welches längst überholt ist. Es ist durch die Suche nach Eindeutigkeit, den Anspruch auf Universalität, Zweckrationalität und Materialismus gekennzeichnet. Während die westliche Philosophie spätestens seit Nietzsche angefangen hat, die universellen Ansprüche der Vernunft kritisch zu betrachten – was die muslimischen Theologen nebenbei gesagt bereits seit dem 9. Jh. tun -, werden noch heute Rationalität und Zweckrationalität von zahlreichen neuzeitlichen arabischen Denkern gefeiert und die westeuropäische Aufklärung sowie ihre Ideen unhinterfragt als Ideal dargestellt. Und während die westliche Philosophie schon über Postsäkularismus, Postmoderne und Post-Postmoderne debattiert, feiern Autoren wie Abdel-Samad Aufklärung und Säkularismus als unantastbare Prämissen des „gesunden“ Denkens. Abdel-Samad tanzt um ein goldenes Kalb, das längst nicht mehr glänzt.
Bereits vor Jahren haben zwei prominente Denker vorgemacht, wie Aufklärung im postmodernen Zeitalter zu denken ist. Der damalige Kardinal und spätere Papst Josef Ratzinger sowie der deutsche Philosoph Jürgen Habermas zeigen in ihren Ausführungen zur Säkularisierung der Aufklärung, dass nichtreligiöse und religiöse Menschen einander nicht das Recht aberkennen dürfen, ihre Wahrheiten zu vertreten. Es geht dabei nicht um die bloße Akzeptanz des Anderen, sondern um dessen Wertschätzung. Das ist aufgeklärtes Denken heute: den Anderen als Bereicherung wertschätzen, solange er nicht gegen die Regeln des Zusammenlebens verstößt. Abdel-Samad hält sich nicht daran, sondern fällt in überkommene Denkschablonen zurück. Indem er „den Muslim“ als Anhänger einer faschistoiden Ideologie präsentiert, entlarvt er sich selbst als modernistischen Ideologen. Sein Buch ist keine Kritik an kritikwürdigen Zuständen in der arabischen Welt, sondern Religionsfeindlichkeit par Excellence. Und die hat im deutschen Diskurs nichts mehr verloren. Bei Abdel-Samad ist die Aufklärung, und damit ist die europäische Aufklärung gemeint, ein Dogma, welches man durchsetzen soll, wenn es sein muss auch mit Gewalt. ((Vgl. Abdel-Samad, Der islamische Faschismus, Kap. 2.4. Für ihn war der Putsch gegen die Islamisten in Ägypten eine Notwendigkeit. Die Gewalt der Armee gegen die Zivilisten lässt er aber ganz außer Acht.)) Das Problem seiner Vorstellung von Moderne ist die Angst vor dem Anderen und der Hass ihm gegenüber. Zwischen den Zeilen seines Buches liest man, dass für ihn der Muslim, der seine Religion ernst nimmt, der Andere schlechthin ist. Der Andere, der Fremde, der Andersdenkende, der zu beseitigen ist, weil er eben anders ist und sich wagt, anders zu sein. Somit passt er nicht ins Bild einer zweckrationalisierten Welt, weil er eben das, was Abdel-Samad als absolut vernünftig sieht, in seiner Vernünftigkeit infrage stellt. Ich sage mit Absicht „Muslim“ und nicht „Islamist“, denn bei Abdel-Samad ist eine scharfe Trennung zwischen Islam und Islamismus nicht auszumachen. ((Zu der Gleichsetzung zwischen den Anfängen des Islams und dem „Urfaschismus“ siehe: Ebd., Kap. 3. Zu den „klaren“ Absichten aller Islamisten ohne Differenzierung siehe: Ebd., Kap. 2.))
Der Islam als Ganzes beinhaltet Teile, so Abdel-Samad, die zwangsläufig zum Islamismus und somit zum Faschismus führen. Damit singt er ein altbekanntes Lied; Das Gleiche erlebte das Judentum im 19. und 20. Jh. in Europa. Die Religion der Juden war eine Zielscheibe vieler „aufgeklärter“ Denker und christlicher Theologen. „Der Jude“ war damals zum Symbol für Aberglauben, Fremdheit und Irrationalität geworden. Dazu zitiert Baumann in seinem Buch Moderne und Ambivalenz den Historiker der neuzeitlichen jüdischen Geschichte Michael A. Meyer: „Den meisten Autoren des 18. Jahrhunderts, besonders auf dem Kontinent, erschien der Jude aus Fleisch und Blut mit seinem Bart, seinen seltsamen Gewändern und dem gänzlich irrationalen zeremoniellen Gesetz als etwas Geringeres als ein menschliches Wesen“. ((Bauman, Zygmunt: Moderne und Ambivalenz: das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg, 2005, S. 179)) Der Jude war einfach anders, und Anderssein oder eine andere Vernünftigkeit zu behaupten ist eine Todsünde für die Aufgeklärten, die eine rationale und universelle Eindeutigkeit behaupten. Dieses Othering kann sich immer wiederholen, denn dem Anderen, der sein Anderssein behalten will und die Universalität mancher als universell erklärter Gedanken infrage stellt, wird seine Rationalität, und somit seine Gleichheit abgesprochen. Er wird zum Feind, dessen Beseitigung eine Gnade für die Menschheit ist.
In Abdel-Samads Buch gibt es keine Grauzonen. Die Protagonisten sind klar getrennt und eindeutig definiert. Er spricht oft von „dem Islam“, „den Muslimen“, „den Islamisten“ und versäumt, zwischen den zahlreichen Verständnissen des Islams sowie den verschiedenen Strömungen innerhalb des Islamismus, der keinesfalls eine homogene Bewegung ist, zu differenzieren. Seine vereinfachten Darstellungen komplexer sozio-politischer und religiöser Phänomene begleiten den Leser durch das gesamte Buch. Abdel-Samads Weltbild unterscheidet sich kaum von eben jenen radikalen Islamisten, die er kritisiert. Gute und Böse, Aufgeklärte und Unaufgeklärte, Rationale und Irrationale sind für ihn klare erkennbare Kategorien. In der Moderne ist die Eindeutigkeit ein Synonym für Sicherheit geworden. Man sucht Obhut durch die Klarheit, die durch das Inkludieren und das Ausgrenzen geschaffen wird.
Der Versuch Abdel-Samads, die Wurzel des islamistischen Faschismus in der Religion des Islams zu suchen, erinnert mich an das Buch Le petit livre bleu des französischen Autors Antoine Buéno, der darin die Gemeinde der Schlümpfe soziologisch untersucht und am Ende zum Schluss kommt, dass die Gesellschaft der Schlümpfe in Wahrheit eine stalinistische und nationalsozialistische Struktur hat. Liest man das Buch des französischen Autors mit der Brille von Abdel-Samad, dann lässt sich sagen, dass jemand, der an die Schlümpfe glaubt und sie als Vorbilder nimmt, in sich das Potenzial trägt, ein Radikaler zu werden, denn die Geschichte und das Leben der Schlümpfe liefern genug Stoff für eine Radikalisierung. Die Behauptung, dass der Islam faschistoide Züge trägt, ist genauso wahr wie die Behauptung, Papa Schlumpf wäre in Wahrheit ein Hitler mit weißem Bart.
„Der islamische Faschismus: Eine Analyse“
Autor: Hamed Abdel-Samad
Verlag: Droemer HC
ISBN: 978-3426276273
Preis: 18 €