Vermitteln Gemälde und Skulpturen seit dem Mittelalter anti-islamische Botschaften? Claudio Lange ist freischaffender Künstler und Religionswissenschaftler und hatte bereits 2004 diese These anhand zahlreicher Beispiele belegt. Mit ihm sprachen wir über anti-islamische Kunst in Gegenwart und Vergangenheit.
Mit seiner Ausstellung „Islam in Kathedralen. Bilder des Anti-Christen in der islamischen Kunst“ sowie dem dazugehörigen Bildband „Der nackte Feind. Anti-Islam in der romanischen Kunst (2004)“ hat Claudio Lange aufgezeigt, wie bereits im Mittelalter anti-islamische Bilder und Skulpturen genutzt wurden, um die Kreuzzüge zu rechtfertigen. Eine These besagte: Islamfeindliche Karikaturen und Skulpturen wurden damals wie heute politisch benutzt, um Vorurteile gegenüber Muslimen zu schüren. Darüber sprachen wir mit dem freischaffenden Künstler und Religionswissenschaftler.
IslamiQ: Herr Lange, Sie sagen, dass viele Gemälde eine anti-islamische Botschaft vermitteln. Was sind die Kennzeichen dieser Botschaften, wie werden die Menschen dargestellt?
Claudio Lange: Im 11. Jahrhundert erscheinen in Westeuropa, vor allem in Frankreich und Spanien, Millionen von seltsamen, höchst spannendenSkulpturen an Kirchen, der Kirchenbau boomt. Diese Skulpturenbilder habe ich als Propaganda, die den Aggressionskrieg im Namen des christlichen Gottes gegen den Islam und die Befreiung des, von Muslimen regierten, Jerusalem befördern sollten, gedeutet.
Kreuzzüge sind heilige Kriege. Das monotheistische Urbild jedes heiligen Krieges ist der Krieg des einzigen, totalen Gottes gegen die aufständischen Engel Satans. Da gibt es überhaupt kein Pardon, weder Frauen noch Kinder oder Alte dürfen da verschont werden. Jeder Heilige Krieg löscht gottesunwürdige Geschöpfe aus.
So ist hier das Monströse der Grundcharakter des Feindes. Die Skulptur, die den muslimischen Feind damals darstellte, kannte in ihrer agitatorischen Mission keinerlei darstellerische Grenzen: die Figuren wirkten pornographisch, witzig, bestialisch, grausam.
Ab dem 14. Und 15. Jahrhundert werden dann auch gemalte Bilder solche Kriegspropaganda transportieren.
Religionen, die dem biblischen Bilderverbot gehorchen, wissen naturgemäß wenig von der Rolle, die die Bilder in der Geschichte der Menschheit gespielt haben. Im Westen operieren heute die Bilderfeinde doppelt: einerseits protestantische Parteien und Evangelikale, und andererseits eine Flut entkernter Pseudobilder.
IslamiQ: Wollte man mit dieser Darstellung die Kreuzzüge rechtfertigen?
Claudio Lange: Die Rechtfertigung der Kreuzzüge lieferte Papst Urban II. im Jahr 1095 in Clermont-Ferrand. Sie lautete in etwa: Elend und Gewalt herrschen unter den Christen, das muss aufhören. Die Kreuzzüge kanalisierten die Aggression, indem sie auf den reichen, zivilisatorisch höher stehenden Muslim als Feind Gottes Nr. 1 zielten.
Man kann sich wundern, welch scheinbar geringe Rolle anfangs der Antijudaismus in der Kreuzzugsidee spielte. Es gab im Westen ja Synagogen, Moscheen und praktizierende Muslime nicht – im Gegensatz zu Konstantinopel. Juden – christlich-fundamentalistisch gesprochen die `Gottesmörder´ − verrichteten gesellschaftlich notwendige Arbeit innerhalb christlicher Gemeinwesen, etwa Zinsgeschäfte und Sklavenhandel, die den Christen von ihrer Kirche verboten waren, ihren Herrschern aber ein hohes Steuereinkommen einbrachten. Juden standen daher damals unter Kirchenschutz.
Doch als sich die ersten Kreuzzügler auf den Weg nach Jerusalem machten, brach überraschend der Antisemitismus aus und vermischte sich mit dem Antiislamismus. Die Kreuzzügler haben noch in Frankreich und Deutschland Synagogen angezündet und Pogrome unter den Juden veranstaltet.
Nachdem 1187 der christliche Gott seinen eigensten Krieg samt Jerusalem wieder an die Muslime verlor, reagierte man im Westen auf vielen Ebenen, es entstand die Gotik, sozusagen eine Epoche der heiligen inneren Kriege: Überfall 1204 aufs christliche Byzanz im 4. Kreuzzug, bald überall mörderische (geheiligte) antisemitische Pogrome; die als Kreuzzug geheiligten Slavenkriege des Deutschordens; die grausamen (ebenfalls geheiligten) Ketzerverfolgungen wie die Massaker der Albigenser in Südfrankreich.
Der starke Zusammenhang von inneren Bürgerkriegen und äußeren Kriegen wird, − was ich für fatal halte −, gern übersehen. Dabei fällt doch auf, dass Bürgerkriege d.h. Bruderkriege ebenso geheiligt werden wie Kriege, etwa als geheiligte Revolution („Vaterland oder Tod“). Geheiligt war auch der Bürgerkrieg, den einst Stalin gegen die Bourgeoisie, Trotzkisten oder Kulaken führte, der in den USA die Aryan Brotherhood gegen Afroamerikaner führt oder der uralte geheiligte Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten.
IslamiQ: Heute leben viele Muslime gemeinsam mit Christen Tür an Tür. Was waren aber damals die Gründe für die Anfeindungen, kannten man die Muslime nur aus Erzählungen oder Kriegen?
Claudio Lange: In Süditalien und vor allem auch Spanien kannte man sich, sonst kaum. Doch jeder existierende Friedenswille kam nicht gegen die hohen Beschlüsse von Cluny an, dem damaligen französischen Zentrum der Kirchenmacht, das auch Papst Urban II. stellte (und das ich einmal mit dem Pentagon verglich).
Auslöser der Kreuzzüge war der innere Unfrieden und das Elend im Westen (damals 3. Welt, Islam 2., Byzanz 1. Welt). In den Augen der Kirche bestand das einzige Mittel, etwas zu ändern darin, den permanenten Bürgerkrieg im Inneren der Westchristenheit mit allen propagandistischen Mitteln nach außen, ins Lager der Muslime zu tragen.
IslamiQ: Was können wir für heute aus dieser Haltung lernen? Auch heute gibt es eine Islam-Propaganda, die sich in zahlreichen Medien zeigt.
Claudio Lange: Sie meinen Anti-Islam-Propaganda.
Vor allem sollte man sich klarmachen, dass die Kreuzzüge anfangs die Verzweiflungskämpfe von Verelendeten waren. Die Arroganz der Macht lag damals eher in Byzanz und Bagdad, die den Nordwesten Europas gern als dumm und degeneriert hinstellten, schon aus Mangel an Sonne.
Die Muslime haben ihre damalige bildliche Verunglimpfung bis heute nicht wahrgenommen. Und der Westen hat seine Geschichte verfälscht, da der christliche Gott samt Jungfrau und Kriegsheiligen um Jerusalem eindeutig eine Niederlage erlitt. Diese Stelle ist bis heute empfindlich. Das führte im Westen zu dem Riesenumbau, den wir heute unter dem Namen `Gotik´ meinen. Aber der Kampf zwischen Christentum und Islam schwelt bis ins 20., wenn nicht bis in das 21. Jahrhundert weiter.
Ein echter Kampf um die historische Wahrheit und um die Entstehung der Westidentität − durch Heiligen Krieg und Niederlage des christlichen Gottes 1187 − hätte angesichts des heutigen Antiislamismus auf der Agenda zu figurieren. Das wäre im Sinne der besten freiheitlichen Traditionen Europas gedacht.
IslamiQ: Wo ist Ihrer Meinung nach die Linie zwischen Kritik und Anti-Propaganda. Wird sie heutzutage viel zu oft überschritten?
Claudio Lange: Es ist nicht sehr lange her, da wusste man, dass Kritik und Selbstkritik zusammen gehören. Das Verhältnis zwischen Islam und Westen kann sich erst ändern, wenn ein anderes, akkurateres Bild der europäisch-amerikanischen Geschichte und des Islam und seiner Vorvergangenheit gezeichnet würde. Dafür sind diese Millionen von Skulpturen gute Hinweise. Die arrogante Schwäche und Falschheit westlicher akademischer Diskurse und die tyrannische Sattheit der bequemen islamischen Vorurteile ergeben den heutigen Zustand der Desorientierung.
Ich komme aus Lateinamerika. Aushöhler der demokratischen Bewegungen im Lateinamerika des 19. Jahrhunderts waren nicht Monarchien oder Tyranneien, sondern die alten reichen Demokratien. Die meist kommerziell erfolgreichen Demokratien haben bürgerkriegsmäßig nicht wenig Dreck am Stecken.
IslamiQ: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Forschung, vor allem auf ihr Buch „Der nackte Feind“ und Ihre Ausstellung?
Claudio Lange: Die Ausstellung muss im Zusammenhang mit der Weigerung der damaligen Bundesregierung, (angeblich) nicht am Irak-Krieg teilzunehmen, gesehen werden. Das Pergamon-Museum hat sich über einen riesigen Publikumsandrang freuen dürfen und hat sie von drei auf eine Dauer von neun Monaten verlängert. Ich wurde international zur Kenntnis genommen, sozusagen `weltberühmt´ als Kunstwissenschaftler.
Über die Inhalte und Ausblicke meiner Arbeiten argumentiert Politik allgemein heute: meine neuen Erkenntnisse, die Erinnerung an die Bedeutung der antiislamischen Kirchenskulpturen sind nicht unwahr, aber doch Öl ins Feuer des Religionshasses – die gleiche falsche Position wie immer. Bei Galileo war es die Kirche, heute kujonieren die Staaten die freie Publizistik und die freie Wissenschaft, wie aktuell bei Snowden oder Assange zu sehen.
Einladungen an mich ergingen damals aus Deutschland und den USA, wurden aber bald wie durch Zauberei zu Ausladungen, mehrere Stunden Filmaufnahmen über mein Thema sind beim NDR „verschwunden worden“. Es gab auch so fruchtlose wie penetrante Versuche seitens hochrangiger akademischer Spezialisten, mir die Urheberschaft der antiislamischen Deutung streitig zu machen. Die Wissenschaft ist heute so sauber und fair wie fast jede Sportart.
Die letzten Jahre hatte mein Film, meine Veröffentlichungen ein einziges öffentliches Forum − eine jährliche Veranstaltung in Bosnien, in Sarajewo und Mostar. Als ich dort letztens Rolle und Figur der Magdalena und der Maria in der Kirchengeschichte öffentlich vorführte, wurde ich auch aus diesem wissenschaftlichen Kreis verbannt.
IslamiQ: Sie leben in Spanien, Andalusien stand jahrelang unter muslimischer Herrschaft. Wie ist das Bild der Muslime dort?
Claudio Lange: Heute noch ist der Nationalheilige Spaniens Santiago, Jakob der Ältere, der Jünger Christi, der im 1. Jahrhundert ermordet wurde. Nachdem man seine Legende fabriziert hatte, um im 9. Jahrhundert den sensationellen Anspruch der Stadt Santiago de Compostela auf den Papstsitz zu stützen, blieb er Kriegsheiliger während der 700 Jahre innerspanischer antiislamischer Kriege (Mata-moros= `Muslim-Töter´) bis heute. Zu seinem erfundenen Grab in Santiago de Compostela pilgern heute Leute aus Europa und der Welt, erfinden sich dabei eine mittelalterliche Wellnes- oder Disneylandidentität und haben von nichts eine Ahnung.
Kein Bild des Imperialismus und Totalitarismus europäischer oder anderweitiger Herkunft stimmt oder hat je gestimmt – es sei denn, es wäre innerhalb der Kräftefelder der freien Kunst entstanden.
Die Geschichte ist verfälscht, ihre Wahrheiten vernebelt, zerstört. Es stimmt nicht, was Politiker jeder Couleur sagen, Wissenschaftler und religiöse Autoritäten sind nicht weniger opportunistisch und käuflich als sie. Das Bild der Wirtschaft stimmt nicht, das Wirtschaftsfachleute zeichnen, Soziologie ist eine moderne Wissenschaft, die dazu diente, die wahren, aber nicht gewählten Machthaber, zu verdecken. Warum sollte da das europäische Bild der Muslime stimmen? Oder warum sollte das Selbstbild bzw. die Selbstbilder der Muslime über sich selbst stimmen?
Man sollte daher, glaube ich, Begeisterung für säkulare, irdische Wahrheiten bei Gläubigen, Andersgläubigen und Ungläubigen befördern. Loyalität mit der Wahrheit und der Freiheit ist überall mühsam und riskant.
Das Gespräch führte Fatma Çamur