In den letzten Jahren konnten rechtsradikale Parteien in verschiedenen europäischen Nationalstaaten große wahlpolitische Erfolge erzielen. Gerade bei Europawahlen scheint der Andrang im rechten Spektrum hoch zu sein. Worin die Ursachen dieser Erfolge liegen und wie die Entwicklungen dieser Parteien einzuschätzen sind erörtert Mathew Goodwin.
Vor dreißig Jahren wurde ein relativ unbekannter Politiker in Frankreich, namens Jean-Marie Le Pen, in die beliebte TV-Sendung „Die Stunde der Wahrheit“ eingeladen. Diese Veranstaltung, welche Le Pen die Möglichkeit gab seine Ansichten der französischen Wählerschaft darzulegen, wurde zu einem Schlüsselmoment in der Geschichte seiner Partei, der Front National (FN). Kurz darauf erzielte die französische FN einen Erfolg bei den Wahlen zum Europäischen Parlament mit mehr als zwei Millionen Stimmen. Damit wurde eine neue rechtsradikale Partei geboren.
Ab 1980 avancierten rechtsradikale Parteien in einigen europäischen Staaten, beispielsweise in Frankreich zu einer großen politischen Kraft. Zuletzt erholte sich die Freiheitliche Partei in Österreich (FPÖ) von einem zeitweiligen Stimmenverlust und erhielt 2013 bei den nationalen Wahlen 20 Prozent der Stimmen. In der Schweiz stieg die Schweizerische Volkspartei (SVP) mit fast 27 Prozent bei den letzten Wahlen zur stärksten Kraft auf und setzte sich maßgeblich für die Einführung strikter Quoten für Immigranten aus den Staaten der Europäischen Union ein. Bereits vorher konnte die ehemals neo-nationalsozialistische Partei der Schwedendemokraten (SD) zum ersten Mal in das Parlament einziehen, während kurz darauf die Wahren Finnen (PS) einen Rekordwert von 19 Prozent der Stimmenanteile bei den nationalen Wahlen in Finnland erzielten und damit die Anzahl ihrer Sitze auf 39 fast verachtfachten. Sogar in Großbritannien – das historisch gesehen geringe Erfolge rechtsradikaler Parteien verzeichnet– wird die sehr euroskeptische und migrantenkritische Britische Unabhängigkeitspartei (UKIP) nach Meinungsumfragen von einem Zehntel der Wählerschaft befürwortet.
Die zunehmende Forderung nach ausgrenzender Politik in Europa, begünstigt zwei Thesen über Rechtsradikale in Europa. Die erste impliziert, dass diese Parteien bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahrscheinlich sehr stark abschneiden und anschließend einen großen Einfluss auf die Politik und die Entscheidungen der EU ausüben werden. Auch wenn es sicherlich stimmt, dass rechtsradikale und EU-kritische Parteien bei Europawahlen, die durch geringe Wahlbeteiligung und Protestcharakter gegenüber den nationalen Regierungen gekennzeichnet sind und daher häufig als „zweitrangig“ klassifiziert werden, häufig stärker abschneiden, bedeutet dies nicht, dass diese Parteien im gesamten Kontinent flächendeckend Zunahmen verzeichnen. Fundierte Wahlanalysen und Prognosen der Wissenschaftler Cas Mudde, deuten an, dass die Rechtsradikalen „nur“ in zwölf EU-Ländern in das Europäische Parlament einziehen werden und dass diese Parteien ungefähr 30 bis 35 Sitze, oder in etwa 4 bis 6 Prozent aller verfügbaren Sitze, einnehmen werden.
Auch wenn unsere Definition von rechtsradikalen Parteien so weit gefasst ist, dass populistische und EU-kritische Bewegungen, wie die Alternative für Deutschland (AfD) oder Beppe Grillos Fünf Sterne Bewegung in Italien auch einbezogen werden, sagt Mudde voraus, dass diese Parteien wahrscheinlich trotzdem nicht mehr als 20 Prozent aller verfügbaren Sitze für sich gewinnen werden. Während Parteien wie die Front National von Marine Le Pen oder Geert Wilders Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden wahrscheinlich starke Ergebnisse erzielen werden, bleiben Rechtsradikale in gesamteuropäischen Kontext eine höchst zerrissene Kraft, die sehr stark anfällig ist für Zerwürfnisse und interne Machtkämpfe.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die UKIP zum Beispiel mit Le Pen oder Wilders eine Allianz eingehen wird oder dass Rechtsradikale aus Österreich, den Niederlanden und Frankreich auf ähnliche Weise eine Allianz mit noch konfrontativen und extremistischeren Bewegungen, wie der neonationalsozialistischen Goldenen Morgenröte in Griechenland oder der Jobbik in Ungarn, eingehen werden. Eine der größten Herausforderungen, die sich den Rechtsradikalen in Europa stellt, ist es, wie bereits aufgezeigt, eine organisatorische Einheit auf paneuropäischer Ebene zu schmieden und aufrechtzuerhalten, was notwendig ist, um finanzielle Unterstützung und einen Gruppenstatus im Europäischen Parlament zu erhalten. Dieses Ziel zu erreichen ist nicht unmöglich, aber die Aufrechterhaltung dieser Art von einheitlicher Präsenz über einen langen Zeitraum scheint unwahrscheinlich zu sein.
Auf dem Weg zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 kann eine zweite These über Europas Rechtsradikale aufgestellt werden, und zwar dass der Wahlerfolg dieser hauptsächlich auf den Umständen der Wirtschaftskrise 2008 beruht, und dass als Folge diese Parteien höchstwahrscheinlich verschwinden werden, wenn die prekäre wirtschaftliche Lage sich bessert. Es ist sicherlich wahr, dass die wirtschaftliche Stagnation das Wahlpotenzial der rechtsradikalen Parteien, die eine wirksame Kombination aus protektionistischen, wohlfahrtschauvinistischen, fremdenfeindlichen und populistischen Aufrufen tätigt, erhöht. Außerdem wird die Krise die Ängste unter jenen Gruppen in der Gesellschaft zugespitzt haben, die schon am stärksten von sozialen und wirtschaftlichen Problemen betroffen sind, die auf hohe Migrantenzahlen zurückgeführt werden, und deshalb besonders empfänglich sind für rechtsradikales Gedankengut. Dies betrifft hauptsächlich Arbeiter, Selbstständige und Bürger, die sich vor dem Hintergrund der rapiden wirtschaftlichen und ethnischen Veränderung der letzten dreißig Jahre „allein gelassen“ fühlen.
Eine wichtige Facette dieses erhöhten Potenzials für Rechtsradikale war der Vertrauensverlust gegenüber den etablierten politischen Eliten. Zum Beispiel ist seit 2007 der prozentuale Anteil der Bürger in allen EU Mitgliedsstaaten, die behaupten der EU zu vertrauen, von fast 60 Prozent auf kaum 30 Prozent gesunken. Während die Eurozone mit dem Ringen um das schwache Wachstum und der Arbeitslosigkeit beschäftigt ist, behauptet nur einer von vier Bürgern, dass er den nationalen Regierungschefs vertraut.
Obwohl die Krise die Anzahl der potenziellen Wähler der Rechtsradikalen erhöht hat, ist dies keinesfalls der Hauptgrund für ihren Erfolg. Wie bereits im Eingang dieses Artikels angemerkt, hat der Aufstieg dieser ungebundenen und unterschiedlichen Parteienfamilie lange vor dem Kollaps von Lehmann Brothers 2008 begonnen und wurzelt in den großen strukturellen Veränderungen, welche die europäischen Staaten mindestens seit den 1970er Jahren beeinträchtigt haben. Die Wahlerfolge dieser Parteien dauerten über sehr verschiedene wirtschaftliche Zyklen an und blieben auch während des wirtschaftlichen Wachstums, der Perioden der Stabilität, der Krise und schließlich der Stagnation auf Dauer beständig. Während die rechtsradikalen Parteien in Staaten, welche durch die Krise am härtesten getroffen wurden, insbesondere Griechenland, einen Anstieg der Wählerstimmen verzeichneten, haben sie auch weiterhin Unterstützung in Staaten erhalten, die von den schlimmsten Auswirkungen der Krise nicht betroffen waren, wie zum Beispiel Österreich und die Schweiz, die eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit und positive makroökonomische Erfolge erzielen.
Wenn der Aufstieg der Rechtsradikalen durch die Krise angetrieben wurde, ist zudem zu fragen, warum es keine erfolgreichen Bewegungen in Ländern, wie Irland, Portugal und Spanien gibt, die alle unter der Krise und der hohen Arbeitslosigkeit litten? Warum haben währenddessen andere rechtsradikale Parteien, wie die Lega Nord (LN) in Italien, die Britischen Nationalpartei (BNP), die Vlaams Belang (VB) in Belgien oder die nicht parteigebundene Englische Verteidigungsliga (EDL) entweder an Wählerstimmen verloren oder sind komplett zusammengebrochen? Diese Beispiele unterminieren das Argument, dass die Erfolge der Rechtsradikalen durch die Präsenz der Wirtschaftskrise sehr beeinflusst wurden. Stattdessen können die Wurzeln dieses rechtsradikalen Aufstandes in Europa zu sozialen Gruppen zurückverfolgt werden, die sich durch die wirtschaftliche Umformung ihrer Staaten „allein gelassen“, aus den politischen Diskussionen ausgeschlossen fühlen und über die wahrgenommenen kulturellen Bedrohungen gegen ihre Nation und ihre nationale Identität intensiv besorgt sind.
Zusammenfassend zeigen die Entwicklungen, dass rechtsradikale Parteien wesentlich beständigere politische Kräfte sind, als anfangs in den 1980er und 1990er Jahren angenommen, und dass sie auch weiterhin die politischen Schlagzeilen bestimmen werden. Tatsächlich wird das Interesse an Rechtsradikalen neben den europäischen Wahlen durch die nationalen Wahlen in Ungarn und Schweden befördert.
Beispiel: Die Partei Jobbik zog 2010 zum ersten Mal in das ungarische Parlament ein, nachdem sie mehr als 800.000 bzw. 16 Prozent der Stimmen gewann. Seitdem erhielt Jobbik konstant durchschnittlich 13 Prozent der Wählerstimmen, weshalb es durchaus möglich ist, dass diese Bewegung, die zu paramilitärischen Gruppen in Verbindung steht, ihre Position als signifikante Kraft in der ungarischen Politik weiter etablieren wird.
Danach werden im September die Schwedendemokraten – eine Partei, die dem Spektrum des Neo-Nationalsozialismus zuzuordnen ist – versuchen bei den schwedischen Nationalwahlen ihre Ergebnisse von 2010, bei denen sie 5,7 Prozent der Stimmen gewannen und das erste Mal mit 20 Sitzen ins Parlament einzogen, zu halten oder sogar auszubauen. Nach aktuellen Wahlprognosen kommt die Partei auf ungefähr 10 Prozent, was 30 Parlamentssitze ausmacht. Wahlen wie diese stellen sicher, dass Rechtsradikale in den Schlagzeilen bleiben.
Dennoch ist es wichtig festzustellen, dass das nächste Jahr zwar für einige Bewegungen das vielversprechend scheint, andere jedoch außen vor bleiben werden – und das trotz der Krise. Wenn die letzten Jahre uns etwas über Rechtsradikale in Europa gelehrt haben, dann Folgendes: Während wirtschaftliche Not bestimmten Parteien zu bestimmten Zeiten nützt, ist das keinesfalls die ganze Wahrheit darüber, warum einige Rechtsradikale auf ihrem Weg zum Mainstream sind, während andere nur kurzweilige Erfolge erzielen.