i,Slam – der muslimische Poetry-Slam – findet vor allem bei Jugendlichen immer mehr an Gefallen. Bewegende Texte, aufrührende Reime und vor allem starke Persönlichkeiten und Emotionen sind die Markenzeichen. In einer kleinen Reihe präsentiert IslamiQ Poetry-Slam-Texte von jungen i,Slammern. Heute von Nemi El-Hassan.
Nemi El-Hassan ist 20 Jahre alt und studiert Humanmedizin im sechsten Semester an der Charité in Berlin. Bei i,Slam ist sie das erste Mal im April 2012 aufgetreten. Ihre Texte sind oft persönlich und beschäftigen sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Für i,Slam ist sie außerdem im Ressort Öffentlichkeitsarbeit aktiv. Nemi engagiert sich zusätzlich in anderen Projekten und Vereinen.
Ich will nicht mehr nachdenken über dich und mich.
Ich will nicht mehr nachdenken über dich und mich, über ‚Was wäre wenn‘, über verpasste Gelegenheiten,
über Floskeln, die dann und wann wie eine Priese von einem geheimnisvollen Gewürz deine Neugier hätten
wecken und dein Bildnis von mir hätten bauen können.
Ich will nicht mehr nachdenken darüber, ob ich einen Fehler gemacht habe, der am Ende wie eine meterhohe
Welle über mir zusammenbricht und mich unter Wasser drückt bis an den Grund, an den Meeresboden presst,
meine Lungenflügel kollabieren, nur damit ich mich im letzten Moment und mit letzter Kraft an die Oberfläche stoße,
einatme und ausatme und mich nach Hilfe umblicke… aber feststellen muss, dass da nichts ist. Kein Boot und kein Land,
nur Wasser, salziges Wasser. Ich will nicht mehr nachdenken über eine gemeinsame Zukunft, denn es gibt
keine gemeinsame Vergangenheit, keine gemeinsame Gegenwart. Ich will nicht mehr, dass meine ersten
und meine letzten Gedanken des Tages von deinem Namen erpresst werden, sodass ihre ganz eigenen Gestalten unkenntlich
werden und ihre Prägungen verschwinden, als hätte man Geldmünzen durch zu viele Hände gereicht. Ich will nicht mehr in
fremde Gesichter blicken und dabei nur deins suchen, dich in ihren Augen und Mündern, in ihren Worten und Gesten
verzweifelt suchen. Ich will nicht mehr an einem sonnenverwöhnten Tag Verabredungen ausmachen und bis zum letzten
Moment hoffen, sie canceln zu können, für dich. Mich dann aber in Gegenwart der Anderen für diesen absurden Gedankengang,
ganz im Stillen, ganz für mich, schämen.
Du willst wissen, was hätte ich alles getan, was alles gegeben? Meinen Stolz und
meinen Egoismus, meine Diskussionswut,
meine Geradlinigkeit und jede Weltreise. Denn ich hätte ja dich gehabt. Wir hätten uns
gehabt. Es hätte gereicht.
Und so nimmt der Monolog in meinem Kopf seinen Lauf, ich merke, wie ich die Kontrolle verliere und
schließlich steht ER wieder vor mir: der verhasste – Konjunktiv.
Stopp.
Das kalte Wasser läuft über mein Gesicht, ich blicke in den Spiegel und denke daran, wer ich eigentlich für dich war?
Eine Namenlose, deren Namen du dir doch irgendwann hast merken können, dessen Bedeutung du aber nie erfahren hast. Eine
Gestalt ganz unscharf und ohne Konturen, ein Schatten, der über dein Gesicht fuhr ohne Spuren, ohne Narben zu hinterlassen.
Ein leeres Blatt, das seinen Inhalt verborgen hält und jenem keinen Einblick gewährt, der denkt, dass es keinen Inhalt gäbe. Du
nanntest mich einmal bewundernswert, smart. Geschmacklose Worthülsen. Dabei reicht mir ein einfaches: Wann kann ich dich
sehen?
Und dann kommt es wieder. Dieses Wir-Gefühl. Aber gab es jemals ein Wir, ein Du und Ich? Habe ich dich nicht immer nur durch
meine Augen gesehen, durch meinen Mund beschrieben und durch meinen begrenzten Verstand versucht einzuordnen? Habe ich dir
jemals die Gelegenheit gegeben mich daran zu hindern dich zu dem zu machen, das ich sehen wollte? Hattest du Zeit und Raum
Fehler zu machen, damit diese perfekte Fassade endlich einmal Risse bekommt? Rhetorische Fragen, denn ich werde nie
die Antwort hören.
Und nachdem ich versucht habe dich zu vergessen, deinen Namen von mir zu waschen, deine Nachrichten zu vernichten und deine Andenken
zu zerstören, kreisen meine Gedanken immer noch wie kleine Planeten um dich, du Sonne.
Und ich suche im salzigen Wasser nach Land. Nach Land und nach Ruhe und nach Frieden. Ich merke, wie sich Hände auf meine Hände legen
und mich Arme, viele Arme aus dem kalten Wasser ziehen, auf dieses Boot, das sich Hoffnung nennt. Ich blicke in ihre Gesichter… und ich sehe nicht
länger dich. Ich sehe all die Anderen, so wie sie sind.