Der bald beginnende Fastenmonat Ramadan betrifft auch Teilnehmer der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Die extremen Bedingungen stellen muslimische Spieler vor eine Herausforderung. Ein Bericht von Burkhard Jürgens.
Wenn am Wochenende die schmale Neumondsichel über dem Abendhorizont erscheint, beginnt für Millionen Muslime eine heilige und harte Zeit: der Fastenmonat Ramadan. Just dann geht die WM in Brasilien ins Achtelfinale, den heißen Kampf um den Pokal. Und der „Fußballgott“ kennt keinen Koran.
Die islamische Glaubenslehre erwartet, dass ein Muslim während des Ramadan von Morgendämmerung bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex verzichtet. Während die Enthaltsamkeit von letzteren beiden Tätigkeiten auch bei nichtmuslimischen Athleten meist die Regel ist, sorgt das Nüchternheitsgebot für ein echtes Handicap.
Von Samstag an sind die Spiele jeweils auf 13.00 und 17.00 Uhr terminiert. Dann sagt der Wetterdienst in Fortaleza, Austragungsort für zwei Partien, Temperaturen um die 30 Grad, strahlenden Himmel und eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent voraus. Weil die Sonne in Nordbrasilien gegen 5.40 Uhr aufgeht, müsste ein muslimischer Spieler seine letzte Stärkung bis zu zwölf Stunden vor dem Match zu sich nehmen.
Betroffen sind, vorbehaltlich eines baldigen Ausscheidens der DFB-Mannschaft, auch Mesut Özil und Sami Khedira in der deutschen Auswahl. Sie können sich freilich vom Ramadangebot dispensieren. Dafür hätten sie auch die Rückendeckung vom Vorsitzenden der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Deutschland, Izzet Er: Nach dem Religionsrecht, so erklärt der Professor für islamische Theologie, sind die muslimischen Nationalspieler derzeit auf Reisen; damit dürfen sie „nach eigenem Ermessen entscheiden, ob sie das Fasten auf sich nehmen möchten“.
Manchen gläubigen Fußballern sagt das eigene Ermessen: Ramadan ist auch auf dem Rasen. Kolo Touré, Mitglied des Teams Elfenbeinküste, bekannte sich so als observanter Muslim. „Es ist definitiv hart, aber wenn du an Gott glaubst, ist nichts unmöglich“, sagte er einmal in einem Interview. Sein Bruder Yaya fand Lob bei Glaubensbrüdern, als er, zum besten Spieler von Manchester City gekürt, eine Champagnerflasche höflich zurückwies. Den Beweis ihrer Frömmigkeit brauchen die Gebrüder Touré in Brasilien nicht mehr anzutreten; ihre Mannschaft ist bereits ausgeschieden.
Religiöser Eifer in Ehren – aber Trainer und Mannschaftsärzte dürften ihn mit zwiespältigen Gefühlen sehen. Vor allem die fehlende Flüssigkeitszufuhr belastet den Organismus erheblich. Medizinische Studien beobachteten bei fastenden Probanden Herzrasen, Migräne, Benommenheit, Erbrechen und Kreislaufkollapse. In den Stammlanden des Islam auf der Arabischen Halbinsel müssen Beschäftigte, die schwere körperliche Tätigkeiten ausüben, während des Ramadan teils Zwangspausen einlegen. Viele Baufirmen in Saudi-Arabien kündigten gleich Betriebsferien an – zu groß wäre sonst die Gefahr von Gesundheitsschäden.
Gefürchtet sind auch die sprichwörtlichen Ramadan-Unfälle wegen Übermüdung, Konzentrationsschwäche und fastenbedingter Aggression. In Saudi-Arabien versucht die Polizei mit einer Verdopplung ihrer Streifen Unglücke zu verhindern, in den Emiraten verteilten Beamte vergangenes Jahr bei Sonnenuntergang an Kreuzungen Snacks, um ausgezehrte Fahrer wieder zu Kräften und Sinnen zu bringen. Gegenüber einer übersehenen Vorfahrt verursacht ein verpasster Pass auf dem Spielfeld in der Regel keine Personenschäden – ärgerlich ist er trotzdem.
Ob der Ramadan sich bei dieser WM als Wettbewerbsnachteil erweist, werden die kommenden Tage zeigen. Einige Teams mit einem relativ hohen muslimischen Anteil, etwa Iran, Ghana oder Bosnien-Herzegowina, haben den Einzug ins Achtelfinale verpasst, aber zumindest Algerien und Nigeria sind noch im Rennen.
Bleibt die Frage: Was macht Özil? Zum Geburtstag des Propheten Muhammad Mitte Januar postete er Glück- und Segenswünsche auf seiner Facebook-Seite. Jetzt, vor dem letzten Gruppenspiel gegen die USA in Recife mit bis zu 28 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit sagte er mit Blick auf das beginnende Ramadan-Fasten schlicht: „Ich kann leider da nicht mitmachen, weil ich halt arbeite, und deswegen kommt das auch nicht infrage.“ (KNA)