In Baden-Württemberg soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, in der Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften als Ansprechpartner für die Landesregierung den bisher geführten Dialog in konkrete Projekte und Handlungen überführen. Ein Staatsvertrag scheint derzeit jedoch kein Thema mehr zu sein.
Nach Auffassung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) würde die formelle Aufnahme von Verhandlungen über einen Staatsvertrag mit den muslimischen Religionsgemeinschaften noch nicht zum Ziel führen, sondern zu Enttäuschungen. „Mit dem Status anerkannter Religionsgemeinschaften verbindet unser Religionsverfassungsrecht in Baden-Württemberg ganz andere Rechte und Pflichten als beispielsweise Hamburg oder Bremen“, sagte Kretschmann am Freitag bei der Abschlussveranstaltung der fünfjährigen Mitträgerschaft des Landes des Projektes „Gesellschaft gemeinsam gestalten“, in dem die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart einen Dialog zwischen den islamischen Verbänden, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und dem Land Baden-Württemberg moderiert hatte.
Zuvor hatten Erdinç Altuntaş von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Baden-Württemberg, Yavuz Kazanç vom Landesverband der Islamischen Kulturzentren (LVIKZ) und Muhittin Soylu von der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) den Wunsch geäußert, dass man „Staatsverträge“ wie in Hamburg und Bremen schließen könnte, die die „Handlungssicherheit für Muslime und Verwaltungsmitarbeitende wesentlich erhöht“ hätten. Kretschmann erklärte jedoch, die Staatsverträge mit den Kirchen und jüdischen Gemeinden hätte man in Baden-Württemberg immer mit Körperschaften des öffentlichen Rechts geschlossen, weil diese das erforderliche Maß an organisatorischer Geschlossenheit gewährleistet hätten.
Die muslimischen Religionsgemeinschaften hatten erklärt, dass sie „mit Stolz auf die gemeinsamen Errungenschaften wie etwa die Gründung des ersten Zentrums für Islamische Theologie in Deutschland an der Universität Tübingen, die Einrichtung des Runden Tisches Islam des Integrationsministeriums, die Abschaffung der Sargpflicht und die Repräsentanz von Muslimen im Rundfunkrat blicken.“ Dies alles seien bedeutsame Schritte zu einer gleichberechtigten Teilhabe. Allerdings wünschten sich die islamischen Religionsgemeinschaften, dass aus Provisorien und Modellversuchen bald Regellösungen entstehen können.
Landesregierung und islamische Religionsgemeinschaften kamen darin überein, dass es nun darum gehen müsse, die Ergebnisse des fünfjährigen Dialogs in praktisches Handeln umzusetzen und gemeinsame Lösungen zu gestalten. „Ich kann mir einen Staatsvertrag am Ende des Prozesses gut vorstellen. Zunächst kommt es aber darauf an, für die Menschen schnell greifbare Ergebnisse zu erzielen“, so Kretschmann.
Der Ministerpräsident schlug den muslimischen Gesprächspartnern vor, bis Ende des Jahres ein Gremium aus Verbandsvertretern, Theologen und wichtigen Einzelpersonen zu bilden, das der Landesregierung als fixer Ansprechpartner vorgeschlagen werden kann. „Die Landesregierung wird ihrerseits eine Arbeitsgruppe beim Staatsministerium bilden, die zu den einzelnen Themen die jeweils betroffenen Ministerien einbezieht. Gemeinsam wollen wir konkrete Fortschritte in Sachfragen erzielen und erst einmal eine Vereinbarung unterhalb eines Staatsvertrages unterzeichnen.“
Die muslimischen Gesprächspartner begrüßten den Vorschlag des Ministerpräsidenten und sagten zu, „bis zum Jahresende“ den gemeinsamen Ansprechpartner auf die Beine zu stellen. „Wir begrüßen die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den islamischen Verbänden. Auch unsere Studierenden brauchen klare berufliche Zukunftsperspektiven und wünschen sich Fortschritte im Verhältnis von Islam und Staat“, unterstrich Professor Erdal Toprakyaran, Direktor des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Tübingen.
Zum Abschluss des Projektes hatte Kretschmann erklärt: „Sie alle haben sich in den letzten Jahren im Rahmen von ,Gesellschaft gemeinsam gestalten‘ an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart miteinander und mit Vertretern des Staates, von Wissenschaft und Zivilgesellschaft intensiv ausgetauscht. Für dieses überwiegend ehrenamtliche Engagement möchte ich Ihnen danken. Der Akademie und der Robert Bosch Stiftung möchte ich meine Hochachtung dafür aussprechen, dass sie über Jahre hinweg die Bedingungen geschaffen haben, dass vertrauensvolle Begegnungen stattfinden konnten.“
Neben einer Vielzahl einzelner Gespräche und Veranstaltungen wurde jährlich eine zweitägige Konferenz mit Vertretern der Landesregierung ausgerichtet. Die Projektreihe fand inhaltlich große Resonanz und beförderte eine Öffnung von Verwaltungen und islamischen Verbänden. Kultusminister Andreas Stoch: „Insbesondere der islamische Religionsunterricht wurde in der Veranstaltungsreihe breit diskutiert und hat viele Impulse erhalten.“
In der Tagungsreihe wie im daran anknüpfenden aktuellen Projekt zur Jugendarbeit wurden modellhafte Erfahrungen vor allem auf kommunaler Ebene ausgewertet und öffentlich gemacht, so Projektleiter Hansjörg Schmid von der Akademie. „Auf diese Weise wurde sichtbar, dass Muslime Akteure der Zivilgesellschaft sind und schon heute etwa durch praktizierte Ehrenamtlichkeit in Moscheevereinen, Jugendgruppen oder in der Hausaufgabenhilfe zum Gemeinwohl beitragen.“