Burka-Verbot

Symbolpolitik auf dem Rücken muslimischer Frauen

Khola Maryam Hübsch kritisiert die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Burka-Verbot in Frankreich. Weder erleichtere das Burka-Verbot die Integration in die Gesellschaft, noch führe es zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Das Gegenteil sei der Fall.

10
07
2014

Was soll das Burka-Verbot anderes sein, als Symbolpolitik? Entstanden in einem Klima von Islamfeindlichkeit diente das Gesetz vor allem dazu, Klientelpolitik zu betreiben und antimuslimische Ressentiments zu schüren. Denn auch wenn die große Mehrheit der Muslime die Burka ablehnt und es keine theologische Grundlage für diese Form der Totalverschleierung im Koran gibt, steht die Burka für die böse Form des Islam.

Sie steht für das Fremde, das einhellig abgelehnt wird und in die Schranken gewiesen werden muss – ein Verbot wird dann zur Machtdemonstration im Kampf um die Leitkultur, das der Reviermarkierung dient: Mit uns nicht, soll es sagen, wir bestimmen, wo es lang geht.

Auch wenn die Burka von jedem vernünftigem und aufgeklärtem Menschen abgelehnt werden muss – soviel ist Konsens – stellt sich doch die Frage, was ein Verbot bewirkt. Es ist nicht, was es vorgibt zu sein: Weder erleichtert das Burka-Verbot die Integration in die Gesellschaft noch führt es zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Das Gegenteil ist der Fall.

Letzte Chancen auf Kontakt mit der Außenwelt genommen

Denn unter den überschaubar wenigen Fällen von Frauen, die das Verbot tangiert, gibt es eine Reihe von überzeugten Gesichtsschleierträgerinnen, darunter auch die Klägerin. Sie tragen keine Burka, sondern den sogenannten Nikab, einen Schleier, der nur die Augen frei lässt, und konnten glaubwürdig darlegen, dass sie ihr Nikab freiwillig tragen.

Es mag sein, dass dies schwer nachzuvollziehen ist, doch Aufklärung und Säkularisierung bedeutet nun einmal das Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie, das nicht beschnitten werden darf, solange die Rechte anderer nicht verletzt werden. Es gibt kein Grundrecht, das Gesicht seiner Mitbürger zu sehen – für Sicherheitskontrollen müssen Ausnahmen gelten. Doch das so schwer erkämpfte Recht auf Selbstbestimmung und Gewissensfreiheit ist ein derart hohes Gut, dass seine grundsätzliche Verletzung aufgrund einer Randerscheinung unverhältnismäßig ist.

Die Angst, dass das Burka-Verbot zu einem Einfallstor für die Beschneidung weiterer religiöser Rechte wird, erklärt die empfindlichen Reaktionen seitens mancher Muslime in Frankreich.  Zumal ein Verbot den wirklich unterdrückten Frauen nicht weiterhilft. Denjenigen Frauen, die dazu gezwungen werden, eine Burka zu tragen, sind nun vermutlich die letzten Chancen auf ein Ausbrechen durch Kontakt mit der Außenwelt genommen.

Tyrannei der Mehrheit

Was also soll ein Burka-Verbot? Und wem nützt es? Ist eine pluralistische, liberale Gesellschaft nicht in der Lage die wenigen Grenzfälle auszuhalten, die am Rande auftauchen? Ob es der ganzkörpertätowierte Punk ist oder der Freak mit 100 Piercings – es gehört zu einer freiheitlichen Kultur dazu, das zu ertragen, auch wenn es nicht gefällt. Ja, ein Gesichtsschleier wirkt auf die meisten Menschen (in Europa) befremdlich.

Der Hauptgrund das Burka-Verbot Frankreichs zu akzeptieren ist, so das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der Umstand, dass geltende Normen des Zusammenlebens verletzt werden. Dieser Logik zufolge bestimmt die Mehrheit, wie sich eine Minderheit zu kleiden hat. Der Politikwissenschaftler Rainer Forst fragt daher zu Recht: „Leben wir in einer politischen Gemeinschaft, in der die „Hausordnung“ der Konvention oder der Mehrheit gilt, oder leben wir in einer Gesellschaft, die sich den in den Grundrechten manifestierten Gerechtigkeitsprinzipien so verpflichtet weiß, dass sie Minderheiten als Gleiche respektiert und sie zugleich verschieden sein lässt?“

Die Denkweise, die dem Burka-Verbot zugrunde liegt, führt letztlich zu einer Tyrannei der Mehrheitsnormen, die die muslimische Minderheit tatsächlich diskriminiert. Ganz konkret äußert sich dies in Deutschland darin, dass Frauen mit Kopftüchern in einigen Bundesländern nicht unterrichten dürfen, während die Nonne mit der Haube nicht vom Kopftuchverbot betroffen ist, weil es für sie Sonderklauseln gibt.

Scheindebatten signalisieren Ausgrenzung

Verträgt es sich etwa mit einem universalistischen Rechtsverständnis, Sondergesetze für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu erlassen? Wie diese offensichtliche Ungleichbehandlung begründet wird? Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sieht im muslimischen Kopftuch ein politisches Symbol für die Unterdrückung der Frau, obwohl es empirische Studien gibt, die belegen, dass kopftuchtragende Frauen in Deutschland sich aus religiösen Gründen verschleiern und darin keinen Widerspruch zur Gleichstellung der Geschlechter sehen.

Doch die Fremdwahrnehmung der Mehrheit reicht, um die nicht belegbare Behauptung aufzustellen, das Kopftuch verletzte demokratische Prinzipien. Gehört es nicht gerade zu jeder guten demokratischen Erziehung, den Mainstream kritisch zu hinterfragen? Ja, es erfordert auch Selbstbewusstsein und Mut sich selbstbestimmt gegen herrschende Normen für ein Kleidungsstück zu entscheiden, das von der Majorität derart stereotyp wahrgenommen wird.

Wird das Kopftuch aus Liebe zu Gott getragen, erklärt das, woher die Freiheit kommt, seiner Überzeugung trotz Diskriminierungsgefahr treu zu bleiben. Symbolpolitische Scheindebatten dagegen, die in Hau-Ruck Mentalität Verbote als Lösung präsentieren, erkennen dies nicht an, sondern signalisieren Ausgrenzung. Was wirklich helfen würde? Die Einsicht, dass unsere religionspolitische Ordnung sich angesichts der Pluralisierung unseres Landes verändern muss.

Kopftuchverbot ist ein Hindernis

Wenn es islamischen Religionsunterricht und eine Islamlehrer-Ausbildung gibt, hilft das ein Islambild jenseits der Scharfmacherversion mit Burka zu vermitteln. Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen verhindert dies. Es gibt derzeit zu wenige muslimische Lehrer, die mit einem qualifizierten (Islam)unterricht dazu beitragen könnten, dass die Identitätsbildung und Integration junger Muslime gelingt und Extremisten keine Aussicht auf Erfolg haben.

90 Prozent der Studentinnen des Studiengangs, der Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet, tragen ein Kopftuch und können anschließend nicht in das Berufsleben einsteigen. Gerade sie könnten eine Brücke bilden, werden aber seitens des Staates durch Verbote ausgegrenzt und werden nicht nur im öffentlichen Dienst sondern auch in der Privatwirtschaft benachteiligt, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes beklagt.

Diese Frauen sind ein Sinnbild für die Konsequenzen der Islamdebatten: Ressourcen bleiben ungenutzt und werden vergeudet, weil das Fremde als störend empfunden wird. Verbote verschärfen das Problem, sie lösen es nicht. Es ist nicht die Burka, die den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet –  es ist das Burka-Verbot in dem sich machtpolitisch die Zurückweisung  einer Mehrheitsgesellschaft manifestiert, die sich ihrer Überlegenheit über die Stigmatisierung der vermeintlich rückständigen Minderheit versichert.

Diese paternalistisch-herablassende Grundeinstellung gefährdet das gesellschaftliche Miteinander tatsächlich, denn sie gibt Extremisten beider Lager neuen Auftrieb.

Leserkommentare

Abdallah Steven Pfahl sagt:
Wir sehen eine Frau, die eine Burka, also eine Vollverschleierung trägt. Das ist das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und jeder, der die gleichen Sinne hat, wird dem zustimmen. Nach Paul Watzlawicks Theorie wäre diese Aussage in der Kategorie „Wirklichkeit erster Ordnung“ einzuordnen, da jeder mit Sehvermögen diese Tatsache bestätigen kann. Unter der Kategorie „Wirklichkeit zweiter Ordnung“ wäre einzuordnen, dass wir dieser Wahrnehmung einen womöglich unterschiedlichen und kulturspezifischen Sinn geben. Wir vergessen allzu oft, dass unsere kulturspezifischen Standards nichts weiter sind als ungeschriebene Spielregeln. Und zu oft halten wir unsere Kulturstandards für selbstverständlich und für die absolute Wirklichkeit. Wir orientieren uns an den eigenen Werten, Normen und Beurteilungsmaßstäben. Genau deshalb, weil wir unsere Kulturstandards an den „Fremden“ anwenden, kommt es zu einer Fehlinterpretation. Das Burka-Verbot ist ein Beispiel dafür, dass selbst Richter ihre eigenen kulturspezifischen Standards an Personen anwenden, die nicht aus demselben Kulturraum kommen. Die Urteilsbegründung ist Beweis genug, dass eine Fehlinterpretation vorliegt. Wenn wir nun erkennen, dass wir unsere kulturellen Standards selbst geschaffen haben und dass wir der Konstrukteur unserer Wirklichkeit sind, dann müssen wir mit aller Konsequenz dieses Recht auch anderen Personen zugestehen. Dies sollte in uns ein inniges Gefühl der Toleranz endfachen.
10.07.14
13:56