Aktionstag der Muslime

„Kommt bitte wieder!“ – Eindrücke von der Mevlana Moschee

„Den Brandanschlag hat die Gemeinde mit großem Herz aus meiner Kindheit sicher nicht verdient. Niemand hat so etwas jemals verdient“, schreibt Betül Ulusoy. Sie berichtet von ihren Eindrücken aus ihrer Kinderheit und der gestrigen Veranstaltung an der Berliner Mevlana Moschee.

20
09
2014
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Ein paar Jahre meiner Kindheit habe ich in Kreuzberg verbracht, gleich in der Nähe der Mevlana Moschee.

Ich weiß noch genau, wie es damals im Ramadan geschneit hat. Wir hatten die ganze Familie zum Fastenbrechen zu Besuch und am Abend ging es in großer Mannschaft Schneebälle werfend die Straße hinauf zur Mevlana Moschee, wo ich ordentlich aufgedreht und mit roten Backen ankam. In der Moschee konnte ich mich nicht akklimatisieren, so viel war klar, denn dort war es, wie immer, rappelvoll und wie immer gab es schwere Luft. Wir mussten alle ganz eng beieinander stehen, während des Gebets.

Wer sich beklagt, er spüre das Gemeinschaftsgefühl unter Muslimen nicht, der muss im Ramadan mal in diese Moschee gehen. Bei so wenig Platz und so viel Gemeinde, kommt man um das Gefühl nicht herum. Jeder gibt hier aufeinander Acht, lächelt, auch wenn jemand auf einen Rockzipfel tritt, steht auf, wenn jemand Älteres einen Platz benötigt, eilt, um Wasser zu holen, wenn jemand durstig ist, bringt Süßes von zu Hause mit und verteilt es unter den Anwesenden und wenn jemand beim Gebet keinen Platz für seinen Kopf bei der Niederwerfung findet, landet er eben auf dem Rücken des Vordermanns. Die Herzen sind groß in diesen kleinen Räumen. Der Ramadan in dieser Moschee war einer der schönsten, den ich je hatte.

Irgendwann hatte ich es versäumt, ordentlich Koran lesen zu lernen. Über die Sommerferien sollte alles aufgeholt werden. Natürlich ging es dazu in die Mevlana Moschee. Ich weiß noch, wie stolz meine Hoca war, als ich schnell voran kam und ich war so glücklich und motiviert, dass nicht nur die Ferien dahin flossen, sondern auch ich mit Schulbeginn den Koran fließend lesen konnte.

Es sind schöne Erinnerungen an diese Moschee. Kindheitserinnerungen.

Niemand hat so etwas verdient

Gestern bin ich als Erwachsene hierhin zurückgekehrt. Dieses Mal sind die Erinnerungen leider nicht erfreulich. Vor einigen Wochen hat es hier gebrannt. Brandstiftung, wie in dutzenden Moscheen in Deutschland. Die drastischste Äußerung von Islamhass, wenn man Gewalt gegenüber Muslimen selbst einmal ausklammert. Moscheen erhalten aber oft auch lange Drohbriefe, die gern mit Asche befüllt sind, wahrscheinlich, um der Drohung Nachdruck zu verleihen. Manchmal landen auch blutige Schweinsköpfe im Moscheehof oder Hakenkreuze werden an die Mauern geschmiert.

Den Brandanschlag hat die Gemeinde mit großem Herz aus meiner Kindheit sicher nicht verdient. Niemand hat so etwas jemals verdient.

Gemeinsames Gebet auf der Straße

Der KRM hat gestern einen Aktionstag „Muslime gegen Hass und Gewalt“ ausgerufen, an dem 2.000 Moscheen deutschlandweit teilnahmen. Weil aufgrund des Brandes in der Moschee nicht mehr gebetet werden kann, beteten alle auf der Skalitzer Straße.

Es ist wieder rappelvoll. Ich muss schmunzeln. Diese Gemeinde schafft es immer, dass es rappelvoll wird. Ob in den engen Räumen, wie damals oder mitten auf der Straße, wie heute – rappelvoll bleibt die Konstante.

Es sind auch ein paar Gesichter aus der Politik anwesend. Keine Bundeskanzlerin zwar, aber immerhin.

Muslime lernen früh, dankbar zu sein, finde ich. Einer der ersten Worte, die man beigebracht bekommt, ist „alhamdulillah“ (Gott sei Dank) zu sagen, „buna da şükür“ (auch dem (Wenigen) sei Dank).

Auch die Presse ist da. Ich sehe alte Bekannte von der taz und dem Tagesspiegel, die Deutsche Welle hält ihre Mikrofone in die Menge und das ZDF zwingt mehr oder minder muslimische Teilnehmer des Aktionstags zu Statements. Sie haben alle die gleichen Fragen: Ob man sich nicht auch vorstellen könne, einen Aktionstag gemeinsam mit der jüdischem Gemeinde zu machen. Was man von der Mahnwache erwarte und ob man zufrieden sei mit dem Signal.

Nachhaltigkeit?

Natürlich kommt auch die Frage nach der Nachhaltigkeit. Das ist mein Wunder Punkt.

Ich halte nicht viel von hochgestochenen Kundgebungen, einem Aufgebot von Politikern und Presse für einen Tag. Wenn Politiker und Presse nur in unsere Gemeinden kommen, wenn es unbedingt notwendig ist, so wie gestern oder aber der nächste Wahlkampf bevorsteht, dann ist die Frage nach der Nachhaltigkeit absolut berechtigt. Die harte, mühselige Gemeindearbeit bekommen sie schließlich nicht mit. Vielleicht interessiert sie das auch nicht: Für die Presse ist das langweilig, für Politiker würde das Arbeit bedeuten.

Aber es gibt sie, die Distanzierungen, die nicht immer laut hinaus posaunt werden (müssen), die Vorträge und Hutbas zum Thema Extremismus, Referenten, die in den Moscheen und auch in Schulen präventiv Workshops zum Thema Salafismus anbieten. Nicht erst seit gestern übrigens, sondern seit Jahren. Muslime haben die Gefahr längst erkannt und wollen mit allen Mitteln gern dagegen angehen, suchen überall händeringend nach Unterstützung. Vor allem auch von staatlicher Seite. Sie tun das bisher alles ehrenamtlich, versteht sich. Generell ein großes Problem muslimischer Gemeinden, wenn man zwischen all dem, was man sonst leisten soll, auch diese wichtige Aufgabe durch Ehrenamt stemmen muss.

Das ist mit ein Grund, warum ich wenig Verständnis für Distanzierungs-Forderungen und daraus resultierenden Kundgebungen übrig habe – Ja, sie können wichtig sein, ein notwendiges Zeichen. Aber sie sind im Grunde eben auch so wahnsinnig oberflächlich, eher ein Schaulaufen, um ab und an die Gemüter wieder ein wenig zu beruhigen. Wer wirklich ein Zeichen von Muslimen sehen möchte, Nachhaltigkeit und nicht lediglich ein Lippenbekenntnis, wer es also ernst meint, der muss eben jene Moscheegemeinden unterstützen, die wirklich wichtige Arbeit an der Basis leisten.

Allein gelassen

Die Kundgebung auf der Skalitzer Straße löst sich schnell auf, die Politiker eilen wieder zu ihren Fahrzeugen, die Presse muss bald ihr Material verarbeiten. Ich blicke ihnen einerseits dankbar, andererseits traurig hinterher und schaue mich um.

Zurück geblieben sind nur die Muslime vor ihrer Moschee voller Ruß. Außerhalb solcher Aktionstage werden sie doch ziemlich allein gelassen mit ihren Bestrebungen gegen Gewalt im Namen des Islam, aber auch allein gelassen mit der Gewalt und dem Rassismus, der Muslimen selbst und auch ihren Gotteshäusern in Deutschland widerfährt.

Bei mir bleibt darum trotz des schönen Zeichens ein mulmiges Gefühl zurück. „Kommt bitte wieder!“, möchte ich den eilenden Pressevertretern und Politikern am liebsten hinterher rufen. Kommt auch dann, wenn der ganze Trubel hier wieder vorüber ist.