Die neue qualitative Studie „Junge Muslime als Partner“ der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart beklagt die mangelnde gesellschaftliche Unterstützung und Anerkennung muslimischer Jugendarbeit. Kernaussage der Studie: Muslime stehen unter ständigem Rechtfertigungsdruck.
In zahlreichen islamischen Religionsgemeinschaften entstehen unabhängige Jugendgruppen und -organisationen, die an den bestehenden Strukturen der Jugendhilfe partizipieren wollen. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Robert Bosch Stiftung geförderte Studie der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Im Gegensatz zu nicht-muslimischen Jugendgruppen fehle es ihnen aber an Unterstützung von anderen Gruppen und Institutionen. Laut den Autoren beginne dies für viele islamische Jugendgruppen bereits bei der Suche nach passenden Räumlichkeiten. Während christliche Jugendgruppen als unverdächtig gelten, sind islamische Organisationen häufig mit dem Vorwurf des Extremismus konfrontiert. Sie stehen unter ständigem Rechtfertigungsdruck – selbst wenn sie einfach nur Nachhilfeunterricht anbieten wollen.
Öney: Wir brauchen alle jungen Menschen
Die Autoren der Studie, der Islamwissenschaftler Hussein Hamdan und der katholische Islam-Fachmann Hansjörg Schmid, stellten die Ergebnisse der Studie heute im Rahmen der Tagung „Gesellschaft gemeinsam gestalten. Junge Muslime als Partner“ in Stuttgart vor. Aus diesem Anlass sagte die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney: „Im Kern geht es darum, dass Muslime und Nichtmuslime zusammenleben und unsere gemeinsame Zukunft gestalten müssen. Der Projekttitel ‚Junge Muslime als Partner‘ bringt es deutlich zum Ausdruck – junge Muslime gehören dazu und sollen Verantwortung für eine friedliche gemeinsame Zukunft übernehmen. Wir brauchen für die künftige Gestaltung unseres Landes alle jungen Menschen.“
Die Studie „Junge Muslime als Partner“ analysiert erstmals den aktuellen Stand der Jugendarbeit in einem breiten Spektrum von neun islamischen Organisationen mit Fokus auf Baden Württemberg und wertet zudem deutschlandweit acht Kooperationsprojekte mit jungen Muslimen aus. Rund 100 Experteninterviews sowie die Auswertung von Literatur und Internetseiten bilden die Grundlage der qualitativen Studie.
Ehrenamt überwiegt, Anerkennung und feste Stellen fehlen
Die Autoren weisen auf einige Schwachstellen hin, bei denen die Jugendlichen dringend Hilfe benötigen: „Jugendarbeit islamischer Verbände findet fast ausschließlich ehrenamtlich statt. Es wären aber feste Stellen zum Aufbau professioneller Strukturen nötig. Außerdem werden vorhandene Förderstrukturen der Vielfalt islamischer Organisationen nicht gerecht. In der Praxis werden einzelne Organisationen bevorzugt.“ Außerdem werde die in islamischen Organisationen geleistete ehrenamtliche Arbeit von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Hier fehle eine Anerkennungskultur.
Angesichts der Vielfalt an Organisationen und des Abstimmungsbedarfs mit staatlichen Stellen sehen sich auch Muslime herausgefordert, stärker in einen innerislamischen Dialog einzutreten. Verwaltungen und Jugendringe sind ebenfalls zu einer Öffnung gegenüber neuen Akteuren im Bereich der Jugendhilfe herausgefordert. Bei der Zusammenarbeit sollte berücksichtigt werden, dass auch religiöse Themen der Integration und Kommunikationsfähigkeit innerhalb der Gesellschaft dienen können – so die Studie weiter.
Religionsgemeinschaften im Wandel
Die Studie zeigt auf, dass in unterschiedlichen islamischen Religionsgemeinschaften derzeit weitreichende Veränderungen stattfinden: Der Anfang des Jahres gegründete DITIB-Bundesjugendverband „Bund der Muslimischen Jugend“ (BDMJ) kann als Schritt einer wachsenden Deutschlandorientierung des größten Dachverbandes gewertet werden. Im Rahmen der noch in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) zeigen sich auf lokaler Ebene Prozesse einer Öffnung für aktuelle gesellschaftliche Fragen und den Dialog mit Jugendringen. Vereine der Hizmet-Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen sind mit Bildungseinrichtungen und Dialogveranstaltungen aktiv, werden aber von anderen Einrichtungen als nicht ausreichend transparent wahrgenommen.
Neben religiösen Themen, die den Schwerpunkt islamischer Jugendarbeit bilden, spielen Bildung, berufliche Orientierung und gesellschaftspolitische Themen wie Umweltschutz eine zentrale Rolle in der islamischen Jugendarbeit. In mehreren Religionsgemeinschaften treten junge Frauen verstärkt öffentlich in Erscheinung und bekleiden Vorstandsposten. Dennoch spielen geschlechtsspezifische Angebote weiterhin eine wichtige Rolle.
Eine wichtige Rolle in der Zukunft
Die aktuelle demografische Situation in Deutschland macht deutlich, dass die muslimische Bevölkerung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sehr jung ist. Daher ist davon auszugehen, dass junge Muslime bei der Gestaltung der deutschen Gesellschaft in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen werden.