Die Studie „Junge Muslime als Partner“ zeigt, dass in Deutschland immer mehr islamische Jugendorganisationen entstehen. Co-Autor ist der Islamexperte Hansjörg Schmid von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Im Gespräch mit Michael Jacquemain (KNA) erläutert er, welche Konsequenzen diese Entwicklung hat.
Der Islamexperte Hansjörg Schmid von der Diözese Rottenburg-Stuttgart fordert im Gespräch zur Studie „Junge Muslime als Partner“ mehr Hilfen für muslimische Jugendgruppen und -verbände. Schmid erklärte am Sonntag in Stuttgart, der muslimischen Jugendarbeit mangele es an Geld und Strukturen. Die Muslime wollten aber einen Schritt weiter kommen.
Daher rief Schmied Kommunen und Jugendringe auf, den innerislamischen Pluralismus zu akzeptieren. Als Aufgabe von Städten und Gemeinden sieht es der Akademie-Referent des Bistums Rottenburg-Stuttgart, „sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, die vor Ort leben. Es geht nicht, nur mit einer Moscheegemeinde zusammenzuarbeiten und die fünf anderen zu ignorieren.“
Die erst kürzlich vorgelegte Studie „Junge Muslime als Partner“ analysiert erstmals den Stand der Jugendarbeit in neun Religionsgemeinschaften und Verbänden in Deutschland. Bereits vorhandene Förderstrukturen werden laut Untersuchung der Vielfalt muslimischer Organisationen nicht gerecht. Einzelne Organisationen würden bevorzugt: Während es alevitische Verbände vergleichsweise einfach hätten, gebe es zum Beispiel für Jugendliche Probleme, die der von staatlichen Stellen teilweise beobachteten Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) nahe ständen.
Herr Schmid, was war für Sie der Anlass, eine Studie über muslimische Jugendgruppen zu machen?
Schmid: Die aktuelle Entwicklung islamischer Jugendarbeit findet immer mehr Aufmerksamkeit. Es gibt immer mehr Anfragen an Jugendämter und Jugendringe – und gleichzeitig eine große Unsicherheit bei der Einschätzung der Zusammenschlüsse. Die Muslime ihrerseits suchen die staatliche Anerkennung und Hilfen beim Aufbau unabhängiger Strukturen.
Was haben Sie konkret untersucht?
Schmid: Wir haben zunächst das vorhandene Material und die Literatur ausgewertet. Exemplarisch für Deutschland haben wir dann Kontakt zu den neun wichtigsten und größten muslimischen Organisationen in Baden-Württemberg aufgenommen, mit Ämtern, Jugendringen und Experten auf kommunaler und Landesebene gesprochen und bundesweit beispielhafte Projekte untersucht. Wir haben uns auch freie Angebote und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden angeschaut.
Am Ende stehen Handlungsempfehlungen.
Schmid: Ja. Der muslimischen Jugendarbeit mangelt es an Geld und Strukturen. Zwar wird durch ehrenamtliche Eigeninitiative viel geleistet, aber auf Landesebene ist eine rein ehrenamtliche Vertretung mit einer vernünftigen Qualität nicht möglich. Die Muslime wollen aber einen Schritt weiter kommen.
Da soll der Staat helfen, …
Schmid: … weil unser System durch einen Trägerpluralismus gekennzeichnet ist: Der Staat soll sich zugunsten freier Träger zurückhalten. Damit wird die Jugendhilfestruktur noch einmal vielfältiger und komplexer. Ein Beispiel: Unterstützung wird heute immer projektförmiger. Das benachteiligt aber gerade diejenigen, die große Schwierigkeiten haben, solche Anträge zu stellen, weil sie keine große Organisation hinter sich haben. Das schafft Frustration.
Sie sprechen sich dafür aus, dass Kommunen und Jugendringe den innerislamischen Pluralismus akzeptieren und überall genau hinschauen müssen. Überfordern sie damit nicht die Mitarbeiter vor Ort?
Schmid: Mit den islamischen Verbänden kommen auch religiöse Profile wieder neu in den Blick. Gesetzlich dürfen aber religiöse Aktivitäten nicht gefördert werden. Es muss also darum gehen, Schnittmengen zu suchen: Beispiele sind Wertefragen oder auch Umweltschutz. Es ist nun einmal Aufgabe der Kommune, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, die vor Ort leben. Es geht nicht, nur mit einer Moscheegemeinde zusammenzuarbeiten und die fünf anderen zu ignorieren.
Keine Institution möchte sich aber dem Vorwurf aussetzen, die Dschihadisten von morgen zu unterstützen. Wie kann der Einzelne zwischen förderungswürdig und förderungsunwürdig unterscheiden?
Schmid: Eine Kommune kann sich beispielsweise daran orientieren, ob eine Gruppe in der Islamkonferenz vertreten ist. Junge Muslime haben Fragen, und die werden meistens nicht beantwortet. Es fehlt zum Beispiel muslimischer Religionsunterricht. Und das Internet birgt die Gefahr, dass man etwa der Ideologie eines Pierre Vogel erliegt. Es ist deshalb begrüßenswert, wenn es jugendgerechte Angebote in den Moscheegemeinden gibt. Radikalen Dschihadisten sind auch nicht in den Moscheen der großen Verbände zu finden.
Sie sehen Jugendarbeit also auch als Gewaltprävention?
Schmid: Ja. Doch darf dabei der Staat nicht von Außen die Deutungshoheit über den Islam haben wollen. Es ist ja nur eine kleine Minderheit, die gefährlich ist und den ganzen Islam in Verruf bringt.
Sie halten sogar eine Zusammenarbeit mit Gruppen für möglich, die von Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden.
Schmid: Was ist daran revolutionär? Auch die Linkspartei wurde überwacht und saß gleichzeitig in Parlamenten. Millî Görüş zum Beispiel ist in sich plural. Einige Strömungen halten am islamistischen Ideal fest. Andere sehen das als Vorstellung ihrer Väter und Großväter an. Es muss immer der Einzelfall betrachtet werden. Ähnliches gilt für die Gülen-Bewegung. Natürlich ist es auch notwendig, dass auf muslimischer Seite die Transparenz erhöht wird.
Was wäre ein KO-Kriterium für kommunale Hilfe?
Schmid: Wir dürfen nicht mit denen zusammenarbeiten, die die Sicherheit gefährden oder sich einem Dialogprozess verweigern. Zudem muss jeder die gesetzlichen Vorgaben akzeptieren. Wir müssen sehen: Es geht hier um längere Prozesse, und für die muslimischen Gemeinden sind die Fragestellungen neu. Aber es ist gut, dass bisher Verstecktes jetzt erstmals ein Stück in die Öffentlichkeit kommt. Es ist immer eine große Chance, wenn etwas sichtbar und hinterfragbar wird und nicht mehr nur in einer Binnenwelt existiert. (KNA)