Ali Mete wirft in seinem Beitrag einen interessanten Blick auf die Konzeption und Arbeit von Moscheegemeinden. Moscheen in Deutschland haben seiner Meinung nach die Chance dem Vorbild der Prophetenmoschee zu folgen und sind Träger sozialer Verantwortung.
Im Gegensatz zu der in der islamischen Welt zu beobachtenden Differenzierungstendenz, zu Funktionalitäten der Moscheen, haben die Moscheen in Deutschland aufgrund des Bedarfs der hiesigen Muslime die Chance, dem Vorbild der „Masdschid an-Nabawî“ folgend, als multifunktionale Zentren zum Einsatz zu kommen.
Die Moschee in der islamischen Geschichte
In einer Broschüre über die Moschee steht, dass eine Moschee weitaus mehr als ein architektonisches Kunstwerk ist. Sie symbolisiere die Geschichte, Lebensauffassung und Weltanschauung des Islams, weshalb man bei der Moschee von einer physischen Manifestation des Islams sprechen könne. Inwieweit dies auch für die heutigen Moscheen Deutschlands zutrifft, welche Eigenschaften und Funktionen eine deutsche Moschee hat, haben kann und auf welchen historischen und theologischen Grundlagen diese basieren, soll in diesem Beitrag erörtert werden.
Das Wort „Moschee“ wurde an das ägytisch-arabische „masgid”, im Hocharabischen „masdschid”, angelehnt, das wiederum vom arabischen „sudschûd“ abgeleitet wurde und den Ort der Niederwerfung meint. Der vorwiegend im Türkischen gebräuchliche Begriff „Dschâmî“, aus dem arabischen „dscham“ (versammeln, zueinander bringen), bezeichnete früher die zentrale Moschee einer Stadt, in der das wöchentliche Freitagsgebet abgehalten wurde. Mit dem Wachstum der Städte wurde während der Herrschaft der Umajjaden die Errichtung mehrerer Freitagsmoscheen erforderlich, so dass der Unterschied zwischen „Dschâmî“ und „Masdschid“ relativiert wurde. So kommt es, dass egal ob „Dschâmî“ oder „Masdschid“ genannt, in allen Moscheen Deutschlands das Freitagsgebet stattfindet. Im Koran und den Hadîthen wird jedoch nur der Begriff „Masdschid“ verwendet.
Die erste Moschee der Welt war die Kâba und wurde von Seiten des Propheten Adam erbaut. So heißt es im Koran: „Siehe, das erste für die Menschheit errichtete Haus war das in Bakka (gemeint ist Mekka) – gesegnet und eine Leitung für alle Welt.“[3:96]
Darüber hinaus wird vom Gesandten Gottes Muhammad (saw) überliefert, dass die erste Moschee auf der Welt die „Masdschid al-Harâm“, also die Kâba in Mekka und die Zweite die „Masdschid al-Aksa“ in Kuds (Jeruslaem) sei. ((Nach Buchârî, Anbijâ 40 und Muslim, Masâdschid 1-2)) Die erste von einem Muslim zur Zeit des Gesandten Gottes errichtete Moschee ist, laut Ibni Hischâm, einem der wichtigsten Biographen Muhammads (saw), die – wenn auch private – Moschee Abû Bakrs in Mekka, die er vorwiegend für die Verrichtung der Gebete und die Rezitation des Korans benutzte. ((Ibni Hischâm, I, 367)) Obwohl sich die Bajtullâh (das Haus Gottes) in Mekka befand, mussten die ersten Muslime auf solche alternativen Räumlichkeiten ausweichen, um den Repressalien zu entgehen, denen sie vor der Auswanderung ausgeliefert waren.
Keine dieser Moscheen hatte jedoch die historische Vorbildfunktion für die nachfolgenden Moscheen weltweit, so dass die „Masdschid an-Nabawî“, die Prophetenmoschee, dessen Errichtung eine der ersten Tätigkeiten des Gesandten Gottes nach seiner Ankunft in Medina war, zum Prototyp der Moschee wurde.
Die Prophetenmoschee als Vorbild
Die „Masdschid an-Nabawî“ hatte unter vielfältige Funktionen inne. Der Grund hierfür war nicht zuletzt die Tatsache, dass Muhammad (saw), dessen Wohnstätte sich direkt bei der Moschee befand, diese Funktionen in sich vereinte, wobei es selbstverständlich ist, dass heute nicht alle Funktionsmöglichkeiten überall ausgeübt werden können und müssen.
Wie eingangs schon erwähnt, bezeichnet „Masdschid“ den Ort der Niederwerfung, womit auch die grundlegende Funktion einer Moschee genannt ist. Die Moschee ist der Ort des persönlichen oder gemeinschaftlichen Gebets, wie folgende Verse verdeutlichen:
„… In den Häusern, deren Errichtung Allah erlaubt hat, damit dort Seines Namens gedacht werde …“[24:36]
„… Und hätte Allah nicht die einen Menschen durch die anderen abgewehrt, wären (viele) Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen Allahs Name häufig gedacht wird, bestimmt zerstört worden. …“[22:40]
„Und als Wir das Haus zu einem Versammlungsort für die Menschen und einem Asyl machten und (sprachen:) »Nehmt Abrahams Stätte zum Ort des Gebets« und Wir Abraham und Ismael verpflichteten: »Reinigt mein Haus für die es Umwandelnden und darin Verweilenden und die sich Beugenden und Niederwerfenden.«“[2:125]
Vielleicht um diese ursprüngliche Eigenschaft als Ort der Niederwerfung zu unterstreichen, vielleicht aber auch, weil das gemeinsame Gebet die Versammlung notwendig macht, wird im Koran nur der Begriff „Masdschid“ benutzt. Dabei spielen neben dem fünfmaligen täglichen Gebet, die man auch allein verrichten kann, die zwingend in der Gemeinschaft in einer Moschee zu verrichtenden Gebete am Freitag und an den beiden Feiertagen eine die Gemeinschaftlichkeit fördernde Rolle.
Laut einem Hadîth stellt der Gesandte Gottes den Erwerb von Wissen vor das Gedenken Gottes. ((Ibni Mâdscha, Mukaddima, 17)) Diese und andere Aussprüche und Praktiken Muhammads (saw) waren ausschlaggebend dafür, dass die Moschee von Anfang an zur Vermittlung der Lehre des Islams diente. Während es dabei zu Anfang vorrangig um die Vermittlung von Koran und Hadîth ging, wurden später Dichtung, Sprache und sogar praktische Medizin Gegenstand der Unterweisung in der Moschee.
Man kann sagen, dass alle bedeutenden Persönlichkeiten des Islams ihre Ausbildung in den Moscheen angefangen und fortgeführt haben. Diese Tätigkeit wurde entweder in den Moscheen oder den Einrichtungen, die später an die Moschee angebaut wurden, durchgeführt. Zu diesen Einrichtungen gehören zweifelsohne die Bibliotheken, die früher nicht nur Bücher bezüglich der Lehre des Islams, sondern viele andere Fachbereiche umfassten.
Verschiedene Funktionen
Außer diesen beiden zentralen Funktionen als Ort des Gebets und der Erziehung, die in der einen oder anderen Form in jeder Moschee vorzufinden sind, hatte die Moschee je nach Zeit, Ort und Umstand verschiedene andere Funktionen inne. Zu Lebzeiten des Gesandten Gottes Zeitweise diente sie sogar als Ort der Rechtssprechung, später wurden in ihr staatliche Akte wie die Antrittsrede eines neuen Herrschers gehalten und Diplomaten empfangen. Zeitweise diente sie sogar als Schatzkammer.
Da die Moschee für immer mehr Aufgaben genutzt wurde, setzte ein Differenzierungsprozess ein, der nicht nur eine räumliche, sondern auch inhaltliche Trennung mit sich brachte. Dieser Prozess, der in verschiedenen Regionen zu verschiedenen Zeiten begann, führte dazu, dass die Moschee zum Ort der religiösen Praxis reduziert wurde. Damit wird aber die Ganzheitlichkeit der Lehre gefährdet, denn der Islam ist nicht nur auf das jenseitige Wohl, sondern auf ein Gleichgewicht zwischen Diesseits und Jenseits bedacht. Gemäß der Tatsache, dass der Islam eine Harmonie zwischen Geistigem und Weltlichem zu errichten versucht, ist auch die Moschee der Ort, an dem weltliches und geistiges/religiöses Leben stattfindet und kein sakraler Raum im Sinne einer Kirche. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Moschee Zentrum und Ausgangspunkt vielfältiger Aufgaben war und immer noch sein kann. Diese Funktionen der Moschee konnten und haben sich je nach Bedarf, Zeit und Ort verändert, da die Moschee keine Heiligkeit besitzt, sondern eher praktischen Zielen dient. Die Moschee sie jedoch immer noch die bedeutendste unter den islamischen Institutionen.
Die Moschee in der Gegenwart
Im Gegensatz zu dieser Differenzierungstendenz der Funktionalitäten der Moscheen, die in der islamischen Welt zu beobachten ist, haben die Moscheen in Deutschland aufgrund des Bedarfs der hiesigen Muslime die Chance, dem Vorbild der „Masdschid an-Nabawî“ folgend, als multifunktionale Zentren zum Einsatz zu kommen. Im Folgenden soll deshalb auf die Aufgaben und Perspektiven deutscher Moscheen eingegangen werden.
Jede Moschee in Deutschland erfüllt mindestens drei Aufgaben: Sie ist Ort des Gebets, Ort der Kultur und Ort der Erziehung.
Wie bereits erwähnt, dienen Moscheen in erster Linie zur Verrichtung der Gebete, wozu das tägliche fünfmalige Gebet, das wöchentliche Freitagsgebet und die beiden Feiertagsgebete zählen. Diese werden ausnahmslos in jeder Moschee in Deutschland verrichtet. Da der Islam auch auf das Diesseits bedacht ist, haben alle Gottesdienste einen weltlichen Nutzen. Es wird ausdrücklich empfohlen, die täglichen Gebete, die auch alleine zuhause abgehalten werden können, gemeinschaftlich in der Moschee zu verrichten. Das Freitagsgebet sowie die Festtagsgebete hingegen können nur in der Gemeinschaft abgehalten werden. Jedenfalls ist das tägliche Gebet in der Gemeinschaft zu bevorzugen, so dass manche Gefährten des Gesandten Gottes sogar der Meinung waren, dass die Vernachlässigung des gemeinschaftlichen Gebets die Vernachlässigung der Sunna des Gesandten Gottes bedeute. ((Nasâî, Imamat, 50; Abû Dâwûd, Salât, 46)) Diese Ansicht muss zwar aufgrund der Entfernung von Wohnung, Arbeitsplatz und Moschee in deutschen Städten relativiert werden, doch ist es der Bedeutung des gemeinschaftlichen Gebets zu verdanken, dass man zu allen Gebetszeiten Muslime in der Moschee antreffen kann. Aufgrund dieser Betonung der Gemeinschaft ist die Moschee Ausgangs- und Treffpunkt für alle möglichen Aktivitäten einer Gemeinde.
Migrationsgeschichte und Lebensauffassung
Dass die Moscheen in Deutschland auch kulturelle Aufgaben wahrnehmen, hat einerseits mit der Migrationsgeschichte Deutschlands und andererseits mit der Lebensauffassung des Islams zu tun. Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland sind Migranten, die mit der Moschee einen Treffpunkt haben, an dem sie auch ihr kulturelles Leben fortführen können, angefangen von einfachen Gesprächskreisen, zwecks dessen ein gesondertes Lokal vorhanden ist, über Veranstaltungen an Feiertagen wie dem Ramadan- oder dem Opferfest bis hin zu Folkloregruppen und Nähkursen. Aufgrund dieser Funktion werden Moscheen auch oft als „Moscheevereine“ bezeichnet, was zwar dem rechtlichen Rang als einfachem Verein entsprechen mag, doch eine Verengung der Auffassung von einer Moschee nach islamischem Verständnis bedeutet. In diesem Zusammenhang wird auch oft von Parallelgesellschaften gesprochen. Doch im Hinblick auf die Förderung kultureller Eigenschaften, die ja im Allgemeinen erwünscht ist, gibt es keinen Unterschied zwischen einer Moschee und einem Heimatverein wie er in jeder Stadt anzutreffen ist. Wie im ersten Teil dieses Beitrags schon betont wurde möchte der Islam ein Ganzes schaffen, weshalb die religiösen und kulturellen Dimensionen des Lebens nicht immer getrennt werden können.
In jeder Moschee findet religiöse Unterweisung und Erziehung statt. Die älteste Form dieser Belehrung ist die Predigt, die nicht nur unmittelbar vor dem Freitagsgebet gehalten wird, sondern auch vor oder nach allen Gebeten oder zu diversen Veranstaltungen stattfinden kann. Allerdings ist die Freitagspredigt von großer Bedeutung, weil sie alle Muslime anspricht und in ihr nicht nur religiöse Sachverhalte, sondern aktuelle soziale, politische und sogar wirtschaftliche Themen angesprochen werden können. Dabei muss jedoch auch stets der unmittelbare Bezug zur religiösen Grundlage hergestellt werden. Ebenfalls zur religiösen Unterweisung gehören die meist am Wochenende und in den Schulferrien durchgeführten Korankurse, an denen muslimische Kinder und Jugendliche jedes Alters teilnehmen und in denen sie das grundlegende Wissen erwerben, das zur Verrichtung der allgemeinen religiösen Pflichten erforderlich ist. Außerdem haben heutige deutsche Moscheen aufgrund der fehlenden Räumlichkeiten und finanziellen Mitteln, die für andere Ausgaben eingesetzt werden müssen, meist kleine Bibliotheken mit religiöser Literatur, wozu beispielsweise der Koran, seine Übersetzung, seine Auslegung, einige Hadîthsammlungen sowie die Lebensgeschichten einzelner Propheten gehören.
Wunsch nach sichtbaren Moscheebauten
Wie gesagt, werden diese Aktivitäten in ziemlich allen deutschen Moscheen angeboten. Aufgrund der Situation der Muslime, die Deutschland nun als ihre Heimat betrachten und dauerhaft hier leben möchten, hat sich ein Wandel im Denken der Muslime eingestellt. Dieser Tatsache entspricht der Wunsch der Muslime nach sichtbaren Moscheeneubauten, die zusätzliche Nutzung der Moschee als Ort der interreligiösen und interkulturellen Begegnung und die gewachsene Sensibilität in Sachen Bildung.
Zuerst ist festzuhalten, dass der Bau einer Moschee als solches ein Zeichen der Integration ist. Denn nur dort, wo Muslime die Möglichkeit bekommen ihre Moscheen im Sinne eines Gotteshauses, also eines Ortes des weltlichen und religiösen Lebens zu erbauen und zu betreiben, können sie sich heimisch fühlen. Nur wenn eine Moschee als Institution des Islams und nicht als (islamischer) (Kultur-)Verein Akzeptanz findet, kann sie ihre Wirkung entfalten.
Der gewachsene Bedarf über die Muslime und ihre Religion und das Bedürfnis der Muslime sich zu erklären, hat dazu beigetragen, dass sich immer mehr Moschee öffneten, sei es zum bundesweiten Tag der offenen Moschee, zu Iftâr-Essen, zu Dialogveranstaltungen oder im Rahmen kommunaler Zusammenarbeit. Die Kommunen – und nicht zuletzt die Parteien – haben dieses Potenzial erkannt und sind gewillt Muslime und deren Moscheen in immer umfassenderer Weise in die städtische Arbeit einzubinden.
Moscheen legen, dem Beispiel des Gesandten Gottes folgend, immer mehr Wert auf die Bildung und Erziehung ihrer Kinder. So wie die Prophetenmoschee auch ein Ort der Erziehung war, stellen Moscheegemeinden immer mehr Räumlichkeiten und Finanzmittel für die Unterrichtung der kommenden Generation bereit. Dabei werden neben den klassischen Inhalten, angefangen von der Rezitation des Korans bis zur Lebensgeschichte und Persönlichkeit des Gesandten Gottes, auch Nachhilfekurse, muttersprachlicher Unterricht, Deutschkurse, Computerkurse, usw. angeboten. Die Erziehung wird dabei immer mehr auch pädagogisch geschulten Muslimen überlassen, wodurch der Imâm in diesem Bereich eine eher nebensächliche Rolle spielt.
Folglich ist es also ein positives Anzeichen, wenn die deutschen Moscheen immer aktiver werden und sich zu multifunktionalen Zentren verwandeln. Damit folgen sie dem Vorbild des Gesandten Gottes und leisten einen unentbehrlichen Beitrag zur Integration der Muslime.
Quellen:
– İslam Ansiklopedisi, Türkiye Diyanet Vakfı, Bd. 7, S. 46-92
– Das Gebetshaus der Muslime, Prof. Dr. Cemal Tosun
– İslam Müessesselelerine Giriş, Muhammad Hamidullah, Beyan Yayıları, S.51-76
– Encyclopedia of the Orient (http://lexicorient.com/e.o/mosque.htm)
– Encyclopedia of Religion, Gale University, 2nd Edition, Bd. 9, Mosque, S. 6204-6210