Anlässlich des Opferfestes spenden Muslime ihre Opfertiere, um ihren Geschwistern in aller Welt zu helfen. Die Anfänge solcher Kurban-Kampagnen sind den meisten hingegen unbekannt. Wir sprachen mit Sefer Ahmedoğlu, der als Begründer der Idee innerhalb der IGMG gilt.
Mit seiner Gelehrsamkeit, seinem Eifer und seinem großen Herzen ist dieser gläubige Mensch eine beispielhafte Persönlichkeit für die junge Generation. Er ist ein Lehrer, der sich stets auf die Seite seiner Schüler stellt. Ein Lehrer der Lehrenden. Eine Persönlichkeit, die durch ihr Bemühen im Dienste des Islams hervorsticht. Es ist diejenige Person, die 1985 den ersten Schritt für die Kurban-Organisation in Europa tat, Sefer Ahmedoğlu. Den Meisten besser bekannt unter dem Namen Sefer Hodscha.
Sefer Hodscha übernahm bei der Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) wichtige Aufgaben auf verschiedenen Ebenen. Er war Regionalverbandsvorsitzender, Hadsch-Leiter, Vorsitzender der Kurban-Kommission und Vorsitzender der Fatwa-Kommission der Irschad-Abteilung. Neben seinen umfangreichen praktischen Aktivitäten hat er auch viele geistige Werke zu Papier gebracht. „Adab al-Muaschara – Anleitung zum guten Leben“, „Lehren aus der Geschichte und meinem Leben“, „Wie sind Sie zu Muslimen geworden?“ sind einige seiner Werke. Und es gibt ein Gedichtbuch mit dem Titel „Die Dinge, die von Herzen kommen“, worin er die Dinge, die seinem Herzen entsprangen, in Verse kleidete.
Wir hatten die Gelegenheit mit Sefer Hodscha ein anregendes Gespräch über die Kurban-Aktivitäten zu führen. Manche unserer Fragen beantwortete Sefer Hodscha mit Tränen in den Augen. Nach jeder wohltätigen Aktion, von der er berichtete, ließ er den Lobpreis Allahs folgen, indem er sagte: „Gelobt sei Allah! Ich danke meinem Schöpfer“. Hier nun das Gespräch mit Sefer Hodscha, demjenigen, der vermutlich den Grundstein der Kurban-Kampagne in Europa legte.
Wenn Sie mögen, beginnen wir damit, Sie kurz kennenzulernen. Wer ist Sefer Ahmedoğlu?
Sefer Ahmedoğlu: Ich wurde 1944 in der türkischen Provinz Çankırı geboren. 1958 ließ ich mich in Istanbul nieder. Dort nahm ich 5 Jahre lang an einem Koran-Kurs teil und lernte Arabisch. Danach konnte ich an einem Prediger-Kursus des türkischen Religionsministeriums Diyanet teilnehmen. Meine erste Predigt hielt ich mit 17 Jahren in der Yeni Cami. In Istanbul war ich Vorsitzender der an die Diyanet angebundenen Föderation der Religionsbeauftragten. An der Universität Istanbul absolvierte ich den Studiengang Arabisch-Persische Philologie und Turkologie an der Fakultät für Literaturwissenschaften. 1977 kam ich nach Deutschland und wurde nach einem Jahr zum Vorsitzenden des Regionalverbands der IGMG in Hamburg gewählt. Auch in den Jahren danach habe ich in verschieden Bereichen bei der IGMG mitgearbeitet.
Sie gelten als derjenige, der als Erster die Kurban-Kampagne begann. Wie verlief die Organisation der ersten Kurban-Kapagne?
Sefer Ahmedoğlu: Es war ein paar Tage vor dem Opferfesttag im Jahr 1985. Wir saßen mit einigen Freunden im Lokal der Islamischen Gemeinde, der Centrum-Moschee und unterhielten uns. Dabei kam mir folgender Gedanke: „Wir sollten die Schüler, die wir von Hamburg aus nach Syrien schickten, mit Kurban-Fleisch versorgen. Wir müssen auch an sie denken.“ Und ich schlug denen, die mit am Tisch saßen, vor: „Freunde, das Kurban-Fest naht. Wir essen hier reichlich Kurban-Fleisch, während unsere Schüler in Syrien darauf verzichten müssen. Wenn einer unter euch ist, der zwei Kurban-Opfer schlachten will, dann soll er eines davon abgeben, damit wir es den Schülern in Syrien schicken können.“ Bilal aus Yozgat und zwei unserer Brüder aus Nevşehir gaben an Ort Stelle das Geld für ihr Kurban-Opfer.
Ich stand sofort auf und ging zum Telefon. In jenen Jahren hatten wir 7-8 Schüler, die wir zur Ausbildung nach Syrien geschickt hatten. Sie wurden damals vom heutigen Vorsitzenden des Regionalverbands Hamburg, Ramazan Uçar, betreut. Ich rief ihn an, er solle umgehend auf den Markt gehen und drei Opfertiere kaufen, und im Namen der Personen, die ich ihm nannte, die Kurban-Opfer schlachten. Ich sagte ihm, ich würde das Geld Reisenden mitgeben, die dorthin kommen. Er kaufte drei Opfertiere und opferte diese am ersten Festtag. Das Fleisch der geschlachteten Opfertiere wurde an Schüler, die aus der Türkei und aus anderen islamischen Ländern kamen, sowie an arme Turkmenen verteilt, die in der Umgebung wohnten. So begann die Organisation der ersten Kurban-Kampagne.
Haben Sie in den Folgejahren die Kurban-Kampagne fortgesetzt?
Sefer Ahmedoğlu: Auch im darauffolgenden Jahr habe ich das Schlachten von Opfertieren und die Organisationsarbeit nicht aufgegeben. In jenem Jahr war Mehmet Efe, der Sohn von Mustafa Efe Hodscha, als Ramadan-Prediger nach Hamburg gekommen. Ich erklärte Mehmet Efe die Situation, weil dessen Redekunst stärker war als meine. Und er hielt einen schönen Vortrag, in dem er der Gemeinde das Kurban-Thema erläuterte. Ich führte eine Liste. Im zweiten Jahr wurden 155 Kurban-Anteile eingesammelt. Gelobt sei Allah, angefangen bei eins und zwei, erreichten die Kurbananteile im dritten Jahr 300, im vierten 500 und im fünften 700 Anteile, und diese Zahl erhöhte sich mit zunehmendem Interesse jedes Jahr um ein Vielfaches. Ich war für fünf Jahre in der Region Hamburg persönlich für die Organisation und Durchführung der Kurban-Kampagnen zuständig. Einen wirksamen Einfluss auf den Anstieg der Kurban-Spenden hatte auch, dass unsere Schüler, die in Ländern wie Syrien und Ägypten studierten, nach Europa kamen, der Gemeinde dankten und darüber berichteten, wem die Kurban-Hilfen zugute kamen.
1990 wurde ich von der Generaldirektion der IGMG zum Leiter der Hadsch-Organisation berufen. Ich teilte meine Erfahrungen in der Kurban-Organisation mit der Generaldirektion. So wurde beschlossen, die Kurban-Kampagne zukünftig in allen Regionen durchzuführen. Diese Aufgabe haben unsere Freunde in der neu gegründeten Kommission fortgesetzt.
Haben Sie Ihre Beteiligung an den Kurban Aktionen ganz eingestellt, nachdem Sie ihre Aufgabe als Kurban-Organisator abgegeben hatten.
Sefer Ahmedoğlu: Bis 1999 war ich an der Kurban-Organisation beteiligt. Nachdem ich 1999 freiwillig die Aufgabe des Hadsch-Leiters an einen Freund abgegeben hatte, wurde ich wieder an die Spitze der Kurban-Organisation berufen. Erneut erhöhten wir mit einer sehr gut laufenden, intensiven Organisation und hohem Tempo die Stückzahl der Opfertiere von 11.000 auf 21.000. Die Kurban-Kampagne entwickelte sich so stark, dass wir begannen, auch an die ärmeren unter unseren deutschen Nachbarn Kurban-Fleisch zu verteilen. Im Jahr 2000 haben wir mit Vermittlung der Stadtverwaltung an deutsche Altersheime verteilt. In München haben wir gemeinsam mit dem Oberbürgermeister im Altersheim Kurban-Fleisch verteilt. Jedes Jahr verdoppelte sich die Anzahl der Kurban-Spenden und erreichte im Jahr 2002 die Anzahl von 41.000 eingesammelten Kurban-Anteilen. Gelobt sei Allah.
Was unterscheidet Ihrer Meinung nach die Kurban-Kampagne von den anderen Hilfsleistungen?
Sefer Ahmedoğlu: Mit dem Schlachten eines Opfertieres will man das Wohlgefallen Allahs erlangen. Wir wissen ja, dass Adam (a) seinen Kindern befahl, Opfertiere zu schlachten, um sich Allah zu nähern. Wir wollten uns durch das Schlachten von Opfertieren Allah nähern und zugleich erreichen, dass die Muslime sich untereinander näherkommen. Mit Hilfe der Kurban-Spende bot sich uns die Gelegenheit, mit Muslimen in unterschiedlichen Regionen der Welt zusammenzukommen, und die Geschwisterlichkeit im Islam zu stärken.
Zuerst gab es zwischen Arabern und Türken ein Kommunikationsproblem, das von einem gegenseitigen Rassismus und von Vorurteilen herrührte. Mit den Kurban-Kampagnen stürzten die Mauern aber nieder, die zwischen uns gestanden hatten. Die Araber sagten: „Sie kommen aus Deutschland bis hier her und helfen uns.“ So begannen sie, uns zu anzuerkennen. Auch im Libanon und in Afghanistan hat uns unsere Arbeit Anerkennung eingebracht. Dies führte dazu, dass zwischen den Muslimen auf dieser Welt, ein Gefühl von Einigkeit und Gemeinschaft geschaffen werden konnte. Die Menschen in Marokko, Tunesien und Algerien brachten uns Anerkennung dafür entgegen, dass wir als Enkel der Osmanen zu ihnen gekommen waren und Kurban-Fleisch verteilten.
Sogar der algerische Staatspräsident hat unsere Delegation persönlich eingeladen, sich bei ihr bedankt und ihre Mitglieder umarmt. So konnte die gegenseitige Hilfeleistung unter den Muslimen und die Geschwisterlichkeit noch ein Stück weit gestärkt werden. Unser Engagement in Kirgisistan wurde ebenfalls vom kirgisischen Staat unterstützt. In Kasachstan hatten wir die Möglichkeit, uns über Radio und Fernsehen bekannt zu machen. In den Ländern, die wir besuchten, konnten wir uns persönlich ein Bild über die Situation der Muslime machen. Wir versuchten auf Grundlage der Erfahrungen, die wir während der Kurban-Kampagnen gesammelt hatten, weitere Möglichkeiten zu finden, um den Bedürftigen, Waisen und anderen Notleidenden, helfen zu können. In Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistans, haben wir eine Moschee gebaut. Wir haben Schulen und Gebäude für Koran-Kurse gebaut. Auf diese Weise war mit dieser Kampagne der Grundstein für weitere Hilfsdienste in den unterschiedlichen Regionen gelegt.
Welche Länder haben Sie im Rahmen der Kurban-Kampagne besucht? Gibt es eine unvergessliche Geschichte, an die Sie sich im Zusammenhang mit den Kurban-Kampagnen erinnern?
Sefer Ahmedoğlu: Im Rahmen der Kurban-Kampagnen war ich persönlich in Syrien, Ägypten, Sudan, Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan. Wir waren bestrebt, mit dem Kurban-Fleisch diejenigen Gegenden zu erreichen, in denen die ärmsten Menschen lebten. Wir sind Menschen begegnet, die noch nie in ihrem Leben Fleisch gegessen hatten. In Kirgisistan stellten sich die Menschen während der Verteilung des Kurban-Fleisches in einer Reihe auf und nahmen ihr Fleisch entgegen. Für eine Frau blieb zum Schluss kein Fleisch mehr übrig. Daraufhin flehte sie geradezu: „Gebt mir nur ein Stück Knochen!“ Wir nahmen von den anderen jeweils ein kleines Stück Fleisch und brachten so für diese Frau auch einen Anteil zusammen. Die Menschen waren sogar auf ein Stück Knochen angewiesen. Selbst Behälter und Geschirr fehlte ihnen, dass sie für Transport und Zubereitung hätten benutzen können. So arm und bedürftig waren sie. Dies haben wir mit eigenen Augen gesehen und miterlebt. Es war unmöglich, dass man angesichts dieser Zustände unberührt blieb.
Was möchten Sie abschließend sagen?
Sefer Ahmedoğlu: Wir leben in Europa im Wohlstand. In unseren Kühlschränken mangelt es nie an Fleisch. Die Kurban-Spende hat für die Menschen in armen Ländern eine viel größere Bedeutung. Unsere Geschwister leiden Hunger und sind ausweglos. Diejenigen, denen wir mit diesen Kampagnen in den verschiedenen Regionen der Welt helfen, begreifen auf diese Weise, dass die islamische Religion eine Religion der gegenseitigen Hilfeleistung ist. Die Menschen aus verschiedenen Ländern Europas, die sich als Beobachter an den Kampagnen beteiligen, werden für die Bedürftigen zu Hoffnungsträgern. Die stärkste Motivation für unsere Arbeit ist, den Menschen über die Fleisch-Spende hinaus das Gefühl geben zu können: „Wir haben Geschwister, die an uns denken.“ Allah hat es mir zukommen lassen, mit diesem Engagement zu beginnen, dafür bin ich dankbar. Und für die Geschwister, die dieses Engagement weiterführen, bete ich.
Allah möge mit Ihnen zufrieden sein, dafür, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, und er möge Ihre Wohltätigkeit anerkennen.
Hinweis: Die Idee von Sefer Ahmedoğlu wird heute weitergetragen von der Hilfsorganisation Hasene (IGMG Hilfs- und Sozialverein).
Das Gespräch führte Murat Kubat.