„Was ist da nur passiert?“, fragen sich viele angesichts der Meldungen aus Hamburg. Hier traf eine Gruppe von mutmaßlichen Salafisten auf kurdische Demonstranten. Die Lage eskalierte. Dabei leben alle Beteiligten seit Jahren friedlich nebeneinander.
Es sind unglaubliche Szenen, die sich am Dienstagabend (07.10.2014) im Hamburger Stadtteil St. Georg abspielen. Eine Menge von Kurden schreit lauthals in Richtung einer Gruppe von mutmaßlichen Salafisten in der Nähe der Al Nour Moschee am Kleinen Pulverteich (Steindamm). Dazwischen eine kleine Truppe von Polizisten, die versuchen die Streitparteien auseinander zu halten. Die Gruppen sind beiderseits bewaffnet und bereit zur Gewalt.
Es ist eine der schlimmsten Nächte in der Geschichte dieses Stadtteils. Seit über 30 Jahren leben hier Muslime unterschiedlicher Herkunft – friedlich und ohne Probleme. Im Umfeld des Tatorts gibt es schätzungsweise allein 17 Moscheen mit unterschiedlichen Ethniengruppierungen. Probleme unter Kurden und anderen Gruppierungen? Nicht wirklich. Das friedliche Zusammenleben wird hier geschätzt. So sind auch viele kurdische Gruppierungen im Stadtteil beheimatet. Eines davon: Der Hamburger Kurdistan Verein.
Dieser soll laut Angaben mehrerer Medien Opfer eines salafistischen Angriffs geworden sein. Zuvor soll der Angriff auch auf sozialen Netzwerken angekündigt worden sein. Die bekannte Die Linke Politikerin Cansu Özdemir machte darauf aufmerksam. Sie gilt als einflussreiche Kurdin in der Hansestadt. Ihr werden auch Kontakte in die PKK-Szene nachgesagt. Sie stand deshalb früher unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Die heutige Bürgerschaftsabgeordnete dementierte das und reagierte mit der Kritik, der Verfassungsschutz würde eine Kampagne gegen sie betreiben.
IS-Anhänger versammeln sich in Hamburg vor dem kurdischen Verein am Steindamm. Fahren jetzt hin. Polizei schon vor Ort.
— Cansu Özdemir (@CansuOezdemir) October 7, 2014
Nach Angaben von anderen Augenzeugen soll die Gewalt jedoch zuerst von einem Mob aus Kurden ausgegangen sein, die auf der Suche nach mutmaßlichen Salafisten gewesen sein sollen. Die Polizei gibt in ihrem Bericht an, dass sich gegen 20.05 Uhr eine Gruppe von etwa 75 mutmaßlichen Kurden versammelte, die laut skandierend in Richtung Kleiner Pulverteich schritt. Dort hielten sich rund 50 mutmaßlich salafistisch geprägte Personen auf.
Ein Aufeinandertreffen der Personengruppen wurde durch die Polizeibeamten verhindert. Im weiteren Verlauf erhielten die Gruppen Zulauf und die Anzahl auf beiden Seiten wuchs auf rund 400 Personen an. Beide Seiten waren zum Teil mit Schlag- und Stichwaffen bewaffnet. Bei Auseinandersetzungen, die offenbar außerhalb des Steindamms zwischen Kleingruppen stattfanden, wurden nach bisherigen Erkenntnissen 14 Teilnehmer verletzt; vier von ihnen schwer. Sie wurden in nahe gelegene Krankenhäuser gebracht.
Kurdische Gruppen verlassen langsam den Steindamm #Hamburg pic.twitter.com/ug80IJS0VC
— Mittendrin Live! (@Mittendrin_Live) October 7, 2014
Erst mit dem Einsatz von Wasserwerfern ab ca. 23 Uhr gelang es der Polizei, die Gruppen in unterschiedliche Richtungen abzudrängen. 22 Personen wurden am Ende festgenommen. Die Beamten stellten diverse Schlag- und Stichwaffen sicher. Gegen 01:30 Uhr beruhigte sich die Lage.
Im Mittelpunkt der Vorfälle stand aber besonders die Al Nour Moschee. Die Moscheegemeinde ist bundesweit bekannt. Sie setzt sich für Integration und Partizipation von Muslimen in der Gesellschaft ein. Salafisten sind in der Moschee, die zur Religionsgemeinschaft Schura gehört, unerwünscht. Doch gerade hier suchten die mutmaßlichen Salafisten Schutz. So wurde die Moschee mit in Leidenschaft gezogen. Der Moschee wurde vorgeworfen, sie habe Sympathisanten der Terrororganisation IS Unterschlupf gewährt.
Dabei haben gerade Schura-Vertreter nach eigenen Angaben versucht, die mutmaßlichen Salafisten der Moschee zu verweisen. Als dies scheiterte, bat man die Polizei um Unterstützung um das Hausrecht der Gemeinde zu vollziehen. Doch die Polizei reagierte nicht. Stattdessen wurde abgewartet. Die Muslime fühlten sich in der Situation von den Einsatzkräften allein gelassen heißt es.
Das Verhalten der Polizei gibt weitere Rätsel auf. Augenzeugen berichten, die Beamten waren zahlenmäßig zu wenig präsent. Dabei hatte es bereits einen Abend zuvor einen Angriff von kurdischen Demonstranten gegen ein Restaurant in der gleichen Ecke des Stadtteils gegeben. Anwohner in St. Georg berichteten zudem über eine aufgeheizte Stimmung. „Es hätte klar sein müssen, dass es hier ein großes Gewaltpotenzial und Provokationspotenzial gebe“, so die Meinung eines Anwohners, der lieber ungenannt bleiben möchte.
Nach Angaben der Al Nour Moschee Hamburg saßen am Vormittag Verantwortliche der muslimischen Religionsgemeinschaften, Vorstände von Kurdischen Vereinen und die Polizei friedlich zusammen. „Alle sind sich einig, dass es in Hamburg keine Streitigkeiten zwischen Muslimen und Kurden gibt. Die Auseinandersetzung zweier Gruppen vom gestrigen Abend stören das friedliche Miteinander in der Hansestadt.“
Eine gemeinsame Presserklärung wurde am späten Nachmittag erwartet, lag allerdings bis Redaktionsschluss noch nicht vor. Die Al Nour Moschee machte jedoch deutlich: „Wir verurteilen jede Form von Gewaltanwendung. Die Beziehungen zu allen Institutionen und Nachbarn am Steindamm und außerhalb ist immer friedlich und freundschaftlich gewesen. Dies soll auch so bleiben!“