Die ARD widmet sich in einer Themenwoche dem Thema „Toleranz“. Doch die Aktion sorgt im Vorfeld für viele Diskussionen im Netz. Nicht zuletzt weil Kritiker gesellschaftliche Klischees durch die ARD-Werbung für die Themenwoche bedient sehen. Ein Beitrag von Paula Konersmann (KNA).
Der schwarze Mann blickt ernst in die Kamera. Über seinem Kopf steht eine Frage: „Belastung oder Bereicherung?“ Dieses Werbeplakat für die ARD-Themenwoche „Toleranz“, die am Samstag (15.11.2014) beginnt, sorgt bereits im Vorfeld für hitzige Diskussionen. Ein Spiel mit „rassistischen Wahrnehmungsmustern“ sei das, kritisiert etwa die taz: Der dargestellte Schwarze könne wohl kaum Deutscher, sondern müsse ein Flüchtling sein, über den floskelhaft geurteilt werde. Ähnliche äußerte sich innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck: Gegenüber dem Handelsblatt sprach er von einem „Diskriminierungs-Themenspecial“.
Die sozialen Netzwerke reagieren mit Parodien. Großer Beliebtheit erfreut sich etwa ein Foto der Schlagerstars Florian Silbereisen und Helene Fischer, das das Portal buzzfeed.com überschrieben hat mit: „Normal oder nicht normal?“ Auch die öffentlich-rechtlichen Medien als Ganzes werden angegriffen. „Rundfunkgebühren – sinnvoll genutzt oder doch nur Perlen vor die Säue?“, fragt etwa Twitter-Nutzer @ScruffyKuraki. Die Verantwortlichen haben bereits Stellung bezogen: Über ihren Twitter-Account schreiben die Macher der Themenwoche, die Plakatmotive sollten „provozieren, aber nicht verletzen“.
"Rundfunkgebühren – sinvoll genutzt oder doch nur Perlen vor die Säue?" #Toleranzwoche
— Schruff!ura,i (@ScruffyKuraki) November 10, 2014
Neben den Werbeplakaten sorgt die Ankündigung einer Diskussion im Hessischen Rundfunk am Samstagnachmittag für Unmut. Der katholische Publizist Matthias Matussek und die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Ellen Ueberschär, werden über die Frage debattieren: „Was müssen wir uns gefallen lassen – und was nicht?“ Als Beispiel für einen zu diskutierenden Fall wird im Ankündigungstext „die muslimische Kollegin“ genannt, die „den Betrieb der Kantine lahmlegt, weil sie unbedingt wissen muss, ob in dem Essen auch wirklich kein Schweinefleisch enthalten ist“.
Auch hier reagiert der Sender auf Gegenwind: Ziel der Sendung sei „die Auseinandersetzung mit den Grenzen der Toleranz“, heißt es auf der HR-Seite. Die beschriebenen Alltagssituationen seien „bewusst zugespitzt, um bei diesem abstrakten Thema die konkrete individuelle Betroffenheit deutlicher zu machen“. Dadurch sollten „selbstverständlich“ keine einzelnen Gruppen angegriffen werden.
Dass der bekennende Katholik Matussek in der Vergangenheit jedoch immer wieder mit islamfeindlichen Ressentiments und Kommentaren auf sich aufmerksam gemacht hat, wird nicht erwähnt. So ist denn auch die bekannte Bloggerin und eine der aktuellen Botschafterinnen gegen Rassismus, Kübra Gümüşay, auf Twitter von der Toleranzwoche enttäuscht: „Ich wünschte, ich hätte nie auf #Toleranzwoche geklickt, nie davon erfahren. Boah.“ Gümüşay schildert auf ihrem Blog auch ein persönliches Erlebnis mit Matussek in der Bahn.
Eine schöne Anekdote von @kuebra, die viel über @mmatussek erzählt und die Fehler der Integrationsdebatte aufzeigt: http://t.co/w3ol1DSn32
— Simon Hurtz (@SimonHurtz) November 12, 2014
Die Themenwoche läuft – insgesamt zum neunten Mal – bis 21. November im Ersten, in den dritten Fernsehprogrammen sowie den Hörfunk- und Online-Angeboten der Sendergruppe. Paten sind die paralympische Skifahrerin und mehrfache Goldmedaillen-Gewinnerin Anna Schaffelhuber, Musiker Jan Delay sowie „Tagesthemen“-Moderatorin Pinar Atalay. Die türkischstämmige Journalistin wünscht sich vor allem „ein bisschen mehr Lockerheit“ im Umgang mit Unterschieden.
Ein Film, der zeigt, wie sich Vorurteile wandeln können, ist „Bis zum Ende der Welt“ (ARD, Montag, 20.15 Uhr) mit Christiane Hörbiger. Darin spielt Hörbiger eine alte Dame, die einen erbitternden Kampf gegen ihre Nachbarn, eine Roma-Familie, führt. Nicht zuletzt das musische Talent eines der Nachbarskinder bewirkt, dass sich für die Protagnostin einiges ändert.
Wenn es um Toleranz geht, spielen auch Themen rund um den Glauben eine Rolle. So zeigt die Reportage „Gott und die Welt – Willkommen in Hoyerswerda“ (ARD, Sonntag, 17.30 Uhr) das Engagement des evangelischen Pfarrers Jörg Michel beim Bau eines Flüchtlingsheims in der sächsischen Stadt, deren Name noch heute mit rassistischen Übergriffen auf Flüchtlinge im Jahr 1991 verbunden wird.
Um die juristische Dimension von Toleranz dreht sich die Dokumentation „Jenseits der Toleranz – zweite Chance nach dem Gefängnis“ (ARD, Montag, 23.15 Uhr). Sie porträtiert drei Männer und ihr Leben nach der Haft.
Die ARD wolle mit ihrer Themenwoche Katalysator sein, hieß es bei der Vorstellung des Programms im Oktober. Dass das eine Meta-Diskussion über den Toleranzbegriff einschließt, wird auf der ARD-Homepage bereits deutlich. In einem dort veröffentlichten Interview erklärt der Berliner Rabbiner Tovia Ben-Chorin, den Ausdruck „Toleranz“ habe er nicht gern: „Ich würde ihn gern mit ‚Respekt‘ ersetzen.“
Ein Beitrag von Paula Konersmann (KNA). IslamiQ hat einzelne Punkte ergänzt.