Wir sprachen mit der Landtagsabgeordneten Serap Güler (CDU) aus Köln über den Skandal in Flüchtlingsheimen in NRW, die aktuelle Lage von Flüchtlingen in NRW und wie auch Muslime und Gemeinden den Betroffenen helfen können.
Seit 2012 sitzt Serap Güler (CDU) im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dort ist sie auch eine der wenigen Stimmen innerhalb der Opposition, die auf aktuelle Probleme in der Migrationspolitik aufmerksam macht. Zuletzt legte die CDU einen Anforderungskatalog vor, der sich der Integration von Flüchtlingen widmete. Hintergrund war der offenbar gewordene Skandal in einem Flüchtlingsheim, bei dem die Flüchtlinge gequält wurden. Die CDU setzte einige ihrer Forderungen durch.
Wir sprachen mit Serap Güler, die Fraktionssprecherin für den Arbeitskreis Integration ist, über die aktuellen Probleme und wo sie hier auch die Muslime und die muslimischen Religionsgemeinschaften in der Pflicht sieht.
IslamiQ: Die CDU hat kürzlich einen umfassenden Antrag auf Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Flüchtlingshilfe gestellt. Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund der vorab geäußerten Forderungen die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels in NRW?
Serap Güler: Es ist noch viel zu früh von Ergebnissen zu sprechen – leider. Die rot-grüne Landesregierung hat zwar den Gipfel selbst schon als Erfolg und Ergebnis verkauft, aber wir dürfen nicht vergessen, warum es diesen Gipfel gab: Der Missbrauch durch Sicherheitsleute an Flüchtlinge war der Grund und nicht etwa eine vorausschauende Flüchtlingspolitik. Es war richtig daran teilzunehmen. Wir haben auch vorher unsere konkreten Vorschläge allen Teilnehmern unterbreitet, die letztendlich die Basis des Gipfels waren. Aber danach ist wenig von der Landesregierung gekommen. Der politische Skandal hier ist, dass nach der Aufdeckung des Missbrauchs und dem Gipfel nichts Konkretes zur Verbesserung der Situation in den Flüchtlingsunterkünften passiert ist. Das ist keine „billige“ Oppositionspolitik, sondern wurde vom WDR durch die Sendung „Westpol auch aufgedeckt.
IslamiQ: In dem Antrag auf Sofortmaßnahmen der CDU wird u.a. gefordert die Islamischen Religionsgemeinschaften stärker in die Flüchtlingshilfe mit einzubinden. Welchen Vorteil sehen Sie in der stärkeren Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften?
Serap Güler: Die Einbindung der islamischen Gemeinden und Verbände in die Flüchtlingsarbeit ist eine Win-Win-Situation. Sie hilft den Menschen, die zu uns kommen und von denen viele selbst Muslime sind. Wir wollen aber auch dabei helfen, dass Muslime sich bereit erklären, sich wichtigen und aktuellen gesellschaftlichen Forderungen zu stellen. Es reicht ja nicht aus, nur zu verlangen, dass man dazu gehört, man muss das auch zeigen. Viele christliche Kirchengemeinden leisten hier eine enorm wichtige Arbeit, nicht nur was die Unterbringung und Betreuung betrifft. Warum sollten das muslimische Gemeinden nicht auch tun? Nächstenliebe ist nicht nur ein christliches Gebot.
IslamiQ: Wie beurteilen Sie das bisher geleistete Engagement der muslimischen Religionsgemeinschaften auf diesem Gebiet? Was kann bzw. sollte optimiert werden?
Serap Güler: Ich weiß, dass es vereinzelt Gemeinden gibt, die ihren Beitrag leisten, bspw. durch das Sammeln von Spenden an Freitagsgebeten oder durch Betreuung in Unterkünften. Dieses Engagement möchte ich gar nicht Kleinreden. Da ist aber noch viel Luft nach oben. Ich würde mir auch wünschen, dass muslimische Gemeinden sich bereit erklären, Flüchtlinge unterzubringen und sie stärker sozial zu betreuen.
IslamiQ: Weitere Forderungen der CDU beziehen sich auf die stärkere Integration der Flüchtlinge durch Sprachkurse und Bildungsmaßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsmarktzugangs. Wie schätzen Sie die bisherigen Chancen von Flüchtlingen ein, sich ein „Leben“ in Deutschland aufzubauen?
Serap Güler: Das ist von Landesregierung zu Landesregierung sicherlich unterschiedlich. In Bayern z.B. wird unsere Forderung, Flüchtlingen Sprachkurse anzubieten, längst erfüllt, da eröffnen sich dann auch ganz andere Chancen. In NRW stehen diese Chancen leider nicht gut. Wie soll jemand, der keine Möglichkeit hat, die Sprache dieses Landes zu lernen, eine Arbeit finden? Wichtig ist aber v.a.: Wir müssen diesen Menschen auch eine psychologische Betreuung bieten. Die allermeisten befinden sich noch in einem traumatischen Zustand, wenn sie hier angekommen sind. Sie haben einen langen Weg hinter sich. Folter oder Vergewaltigungen sind auch keine Seltenheit. Und viele hegen die Hoffnung, wieder zurück in ihr Zuhause zu gehen. Man muss diesen Menschen Zeit geben, manchmal auch viel Zeit, und darf nicht von Ihnen erwarten, „Ihr seid jetzt hier, also nimmt die Chancen, die euch zur Verfügung stehen, auch wahr!“ Grundsätzlich glaube ich aber daran, dass unser Land viele Chancen bietet.
IslamiQ: Welche konkreten Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Lebensqualität von Flüchtlingen in Deutschland zu verbessern?
Serap Güler: Konkrete Maßnahmen haben wir in unserem Sofortprogramm genannt. Konkrete Maßnahmen bietet auch der Asylkompromiss oder die Novellierung des Asylrechts, wie der schnellere Zugang in ein Arbeitsverhältnis oder die Aufhebung der Residenzpflicht. Wichtig ist uns auch, die Kommunen zu unterstützen. Wieder ein Beispiel aus Bayern: die bayerische Landesregierung erstattet den Kommunen 100 Prozent der anfallenden Kosten bei der Flüchtlingsunterbringung zurück. Bei uns in NRW sind das im Durchschnitt lediglich 20 Prozent, in Köln gar nur 15 Prozent. Diese finanzielle Belastung trägt bei den Kommunen nicht unbedingt zu einer Willkommenskultur bei. Sie sind froh, dass sie Flüchtlinge irgendwo kostengünstig unterbringen, alles andere, die restlichen menschlichen Belange haben sie gar nicht mehr auf dem Schirm, was aber wichtig ist, für eine humane Unterbringung und Versorgung – wie z.B. der Schulbesuch für ihre Kinder, damit es den Menschen auch wirklich gut gehen kann. Allerdings ist hier nicht nur die Politik gefragt, sondern auch die Zivilgesellschaft, die oft vor Ort schon vieles leistet. Letztens kam eine ältere Dame in meinem Wahlkreis zu dem von mir gegründeten Runden Tisch für Flüchtlinge und teilte dort mit, dass sie gerne helfen möchte. Allerdings könne sie nur jeden halben Tag! Sie hatte deshalb fast ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht jeden vollen, sondern halben Tag Zeit hätte. Das war wundervoll! Davon brauchen wir viel mehr.
IslamiQ: Wie beurteilen Sie die vermehrten Protestbewegungen von Rechten aber auch Mitgliedern aus der gesellschaftlichen Mitte, die gegen Flüchtlingsunterkünfte in den eigenen Kommunen aufzuhetzen? Wie kann die Politik auf solche Stimmungen in der Bevölkerung reagieren und damit die Willkommenskultur in Deutschland stärken?
Serap Güler: Diese Tendenz ist erschreckend. Aber: Nicht jeder, der sich gegen ein Flüchtlingsheim in seiner direkten Nachbarschaft ausspricht, ist rechtsextrem. Ich bin kein Mitglied der Grünen, um das so zu sehen. Ich verstehe auch die Sorge dieser Menschen. Unsere Aufgabe als Politiker muss es sein, diese Sorgen ernst zu nehmen, in dem wir den Menschen zeigen, dass wir bei der Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe klar kommen, indem wir die Menschen in wichtige Entscheidungen miteinbeziehen. Ich habe auch das Gefühl, das viele zunehmend ihre Bereitschaft erklären.
Die erschreckenden Bilder aus Syrien oder dem Irak oder dem Mittelmeer lassen die wenigsten kalt. Wir müssen erklären, dass wir unseren humanitären Verantwortung gerecht sein wollen. Das werden wir sicher nicht mit der „Das Boot ist voll“ Rhetorik schaffen. Ich persönlich finde es beschämend, dass einige bei 200.000 Flüchtlingen im Jahr für die die gesamte BRD anfangen, die Alarmglocken zu schlafen. Beschämend, weil wir die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt sind! Was sollen da die Türkei, Jordanien oder das kleine Libanon sagen?
Ich sage aber auch ganz klar: Ich bin aber keine Romantikerin! Ich bin für die Aufnahme der Menschen, die wirklich Schutz und Hilfe brauchen und nicht für die Aufnahme derjenigen, die bei uns Überwintern wollen. Deshalb finde ich den Asylkompromiss der Bundesregierung mit der Einstufung der drei Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer auch absolut richtig. Und ich glaube, Begrenzung einerseits und gelebte Solidarität andererseits – das ist eine Position, die humanitär ist und die von den Menschen mehrheitlich geteilt wird.