Beim heutigen Integrationsgipfel in Berlin geht es um den Abbau von Benachteiligungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Dass der Staat selbst benachteiligt, darauf machten muslimische Vertreter aufmerksam.
In Berlin findet zur Stunde der siebte Integrationsgipfel der Bundesregierung statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat hierfür Vertreter der Länder, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ins Bundeskanzleramt eingeladen. Ziel des Gipfels ist die Verbesserung der Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Unter anderem soll beraten werden, wie man die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben erhöhen kann.
Vor Beginn des heutigen Gipfels besuchte die Kanzlerin gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten, Staatsministerin Aydan Özoğuz (SPD), die Berliner Verkehrsbetriebe. Das Unternehmen wirbt aktiv um Jugendliche mit Migrationshintergrund. Im Jahr 2013 hatten 29 Prozent der Auszubildenden einen Migrationshintergrund.
In einem Interview kündigte Özoğuz im Vorfeld gegenüber dem NDR an, sie wolle die Chancen von Jugendlichen aus Migrantenfamilien auf dem Ausbildungsmarkt verbessern. Vor allem Bewerber mit türkischen oder arabischen Namen hätten Probleme, eine Lehrstelle zu finden. Selbst wenn diese ein „1,9-Abitur haben, werden sie aussortiert“, sagte Özoğuz.
Dies habe einerseits mit aktuellen globalen Konflikten zu tun, andererseits hätten Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen seien, ihre Kinder im deutschen Bildungssystem nicht ausreichend unterstützen können. Entsprechend fordert die Integrationsbeauftragte eine stärkere Begleitung nach der Schule für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ihnen und ihren Familien müsse der Stellenwert einer Ausbildung und wie viele Möglichkeiten es gebe deutlich gemacht werden.
Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Mustafa Yeneroğlu, forderte anlässlich des Gipfels eine Aufhebung von Kopftuchverboten für Musliminnen. „Wer Benachteiligungen von Migrantinnen auf dem Ausbildungsmarkt abbauen möchte, muss als gutes Beispiel vorangehen und die gesetzlichen Kopftuchverbote abschaffen“, sagte Yeneroğlu. Es sei wichtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Staatsministerin mehr Chancengleichheit für junge Migranten auf dem Ausbildungsmarkt forderten. „Wer es allerdings ernst meint mit dieser Forderung, muss etwas gegen die gesetzlichen Kopftuchverbote tun.“
Man wisse nur allzugut, wie schwer es vor allem junge Musliminnen hätten, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Viele Ausbilder nehmen sich den Gesetzgeber zum Vorbild: ‚Wenn schon der Staat Kopftücher verbietet…‘, ist die gängige und fatale Schlussfolgerung vieler Arbeitgeber. So werden viele Muslima ins Abseits gedrängt und Potenziale verschwendet, die wir dringend benötigen“, stellt der Generalsekretär fest.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, plädierte anlässlich des Gipfels in der Rheinischen Post für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Flüchtlingen. Diese hätten Potenzial, welches erschlossen werden müsse. Mazyek erklärte, Integrationskurse sollten für Flüchtlinge verbindlich gemacht werden, außerdem sollten ihre Qualifizierungen frühzeitig erfasst und ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden.
Der ZMD-Vorsitzende verwies auf neue Studien, wonach Migranten ein Plus von 22 Milliarden über die staatlichen Leistungen hinaus für das Gemeinwohl erwirtschafteten. Dieses Potenzial könne durch Abbau von Arbeitsmarktbeschränkungen, Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Ausweitung von Deutschkursen noch gesteigert werden.
In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die Türkische Gemeinde in Deutschland mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Die gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben sei von hoher gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Relevanz und sei eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Integration von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund.
Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund hätten jedoch auch bei gleicher Qualifikation geringere Beschäftigungschancen als Personen ohne Migrationshintergrund. Öffentliche und private Arbeitgeber ließen damit inmitten des Fachkräftemangels in Deutschland ein großes Beschäftigtenpotenzial ungenutzt. Benachteiligungen müssten abgebaut werden. Deshalb plädierten beide Organisationen auch für einen stärkeren Einsatz von anonymisierten Bewerbungsverfahren. (iQ/KNA)