Die Wissenschaftler des Instituts für Sozialpsychologie der Goethe-Universität warnten in ihrem Positionspapier vor der Pegida-Bewegung. Wir sprachen mit den Sozialpsychologen Prof. Dr. Rolf van Dick und Dipl.-Psych. Anna Lisa Aydin über Ängste, Zugehörigkeitsgefühl und dem fehlenden Kontakt zu vermeintlich Fremden.
Sozialpsychologen der Goethe-Universität warnen vor Bewegungen wie Pegida und stellen die These auf, dass Fremdenfeindlichkeit ein Problem in der Mitte der Gesellschaft ist. In einem Positionspapier nehmen sie Stellung zur islamkritischen Bewegung (wir berichteten hier). Wir sprachen mit Prof. Dr. Rolf van Dick und Dipl.-Psych. Anna Lisa Aydin:
IslamiQ: Sie sagen, Fremdenfeindlichkeit ist kein Problem von einigen wenigen Rechtsextremen, sondern Fremdenfeindlichkeit ist ein Problem in der Mitte unserer Gesellschaft. Gilt das auch für antimuslimischen Rassismus?
Van Dick & Aydin: Von 2001 bis 2010 haben Kollegen der Universitäten Bielefeld und Marburg im Projekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer in jedem Jahr repräsentative Meinungsumfragen mit 2000 Befragten durchgeführt. Dabei wurde auch nach Islamfeindlichkeit gefragt. Im Jahr 2010 stimmten beispielsweise 26% der Befragten der Aussage zu, dass „Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte“. Schon in der ersten Befragung in 2001 lehnten fast 30% die Aussage ab, dass „Muslime in Deutschland das Recht haben sollten, nach ihren eigenen Glaubensgrundsätzen zu leben“.
Unserer Meinung nach kann man bei einem Fünftel bis zu einem Drittel der Befragten, die solche Aussagen unterstützen, nicht mehr von einem „rechten Rand“ sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine Ablehnung, die in der Mitte der Gesellschaft zu verorten ist. Wenn wir von der Mitte der Gesellschaft sprechen, wollen wir nicht ausdrücken, dass jeder Deutsche Vorurteile hat. Aber man darf auch nicht so tun, als seien es eben nur ganz wenige, die so denken.
IslamiQ: Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, glaubt in den Kundgebungen der PEGIDA ein «Zeugnis der Sehnsucht» verunsicherter Menschen nach vertrauten Werten zu sehen? Sehen Sie das auch so?
Van Dick & Aydin:: Ja, das kann man so sehen. Auch in den Studien von Heitmeyer und Kollegen zeigten sich zwei Faktoren als eng mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also der Ablehnung aller möglichen Zielgruppen (ausgedrückt in Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Heterophobie usw.), verbunden: Das sind Anomie und Autoritarismus. Anomie bedeutet, dass man sich aufgrund des unübersichtlichen und schnellen Wandels in der Gesellschaft verunsichert und entfremdet fühlt. Menschen mit einer starken Autoritarismusneigung fordern klare Regeln, starke (z.B. politische) Führung und strenge Bestrafung derjenigen, die Regeln verletzten oder die einfach „anders“ sind.
Beides, also Autoritarismus und Anomie hängen stark mit Vorurteilen, auch gegenüber Muslimen zusammen. Was hier helfen könnte, wäre wenn die Politiker und Medien den Deutschen immer wieder klar machen würden, dass die Flüchtlinge, oder allgemein Angehörige anderer ethnischer oder religiöser Gruppen (wie die Muslime) „unsere“ Werte eben nicht bedrohen, sondern dass es den Werten der Aufklärung und auch der Nächstenliebe entspricht, den Flüchtlingen zu helfen und mit allen Gruppen friedlich zusammenzuleben. Auch den Gefühlen der Unsicherheit und Entfremdung könnte man am besten begegnen wenn immer wieder deutlich gemacht würde, wie sehr die Zuwanderer einen Beitrag in Deutschland dazu leisten, dass wir kulturell vielfältig sind und gerade dadurch auch Herausforderungen meistern können.
IslamiQ: Warum besiegt die Fremdenfeindlichkeit die Empathie, wieso können Menschen kein Mitgefühl, besonders für Kriegsflüchtlinge, zeigen?
Van Dick & Aydin: Im persönlichen Kontakt ist Empathie durchaus vorhanden und es gibt ja viele Berichte von hilfsbereiten Menschen. Auch in kleinen Städten und Gemeinden, in denen Flüchtlinge aufgenommen werden, bilden sich immer wieder Gruppen, die die Flüchtlinge aktiv unterstützen, Kleidung spenden usw. Wenn man persönlichen Kontakt hat, hat man mehr Informationen über die andere Gruppe und kann somit Ängste abbauen. Dies haben unsere Studien zu Kontakt mit ausländischen Mitbürgern immer wieder gezeigt: Dort wo mehr Ausländer leben, sind die Vorurteile der Deutschen am geringsten.
Die meisten Menschen in Deutschland haben aber keinen persönlichen Kontakt zu Flüchtlingen – diese sind ja auch meist irgendwo zentral untergebracht und dürfen sich gar nicht frei bewegen. Deshalb nehmen viele das auf, was die Meinungsführer ihnen in Talkshows und anderen Medien einreden. Und da herrscht leider eine „Das Boot ist voll“-Ideologie vor, die die Vertreter der politisch konservativen Parteien instrumentalisieren, weil sie auf Stimmen an den rechten Rändern hoffen.
IslamiQ: Braucht der Mensch eine große Masse, die ihr zustimmt, um seine kritische Meinung öffentlich kundzutun ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?
Van Dick & Aydin:: Alle Menschen brauchen Gruppen, mit denen sie sich identifizieren können – jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Und jeder Mensch möchte, dass die eigene Gruppe etwas besser dasteht, als anderen Gruppen – daraus beziehen wir einen Teil unseres Selbstwertes. Normalerweise wollen wir aber auch nicht in der Masse verschwinden, sondern gleichzeitig unsere Individualität ausleben und herausstellen können. Dies führt dann in der Regel dazu, dass wir uns eher mit kleineren und mittelgroßen Gruppen identifizieren als mit riesigen Gruppen.
Bei Bewegungen wie Pegida kommt aber noch etwas anderes hinzu: Jeder weiß, dass das Ausdrücken fremdenfeindlicher Einstellungen nicht unbedingt der Norm einer aufgeklärten, modernen und toleranten Gesellschaft entspricht. Deshalb hört man auch in Talkshows oder in Interviews mit den Pegida-Demonstranten fast immer ein „Ich bin kein Rechtsextremer, ABER….“. Wenn nun diese Gruppe sehr groß ist, wie die 15 Tausend Menschen, die in Dresden auf die Straße gegangen sind, traut man sich eher, solche fremdenfeindlichen Aussagen zu machen, weil man den Eindruck hat, es sei in dieser Gruppe die Norm und wenn die Gruppe so groß ist, müsse es auch die Norm aller sein. Genau dies birgt aber auch eine Gefahr: Der Einzelne kann sich in der Gruppe verstecken und die Gruppe als Ganzes macht dann Statements, die der Einzelne alleine nie machen würde.