Im Ruhrgebiet konnte Pegida bisher kaum Fuß fassen. Eine große Gegenbewegung hat dies verhindert. In Duisburg gibt es einige Beispiele für ein friedvolles und harmonisches Miteinander zwischen Muslimen und Christen.
Im Ruhrgebiet leben Muslime, Christen und Andersgläubige friedlich zusammen. Eine gesamtgesellschaftliche Angst vor Überfremdung scheint hier nicht zu existieren . Dies wurde auch vergangenen Montag (19.01.2015) deutlich, als sich eine starke Gegenbewegung zur ersten Pegida-Demonstration in Duisburg, für Vielfalt und ein buntes Duisburg, formierte.
„Möglicherweise ist das Aufbäumen zu spät gekommen“, meint Ahmed Haciimanogllu. Er hat an einer Mahnwache des christlich-islamischen Dialogs in Dinslaken teilgenommen – auch als Reaktion auf die Nachrichten über einzelne Salafisten, die aus der Stadt nach Syrien gingen und das Bild des Zusammenlebens der Religionen negativ geprägt haben. „Wir dürfen nicht mehr stillhalten“, betont der 50-jährige Muslim. Mit einem Gebet der Religionen und bei Kerzenlichtern unter freiem Abendhimmel findet sie zeitgleich zur Duisburger Anti-Pegida-Demonstration statt. Friedliches Zusammenleben – so die Botschaft der Demonstranten – ist eine religiöse sowie politische Notwendigkeit.
Ein Beispiel dafür, dass dies im Alltag gelingen kann, ist das Duisburger Stadtviertel am Hamborner Ostacker, wenige Kilometer entfernt von Dinslaken. An der Krippe der Sankt-Franziskus-Kirche sind gerade die welken Blumen weggeräumt worden. Das Gesteck hatte die nur noch 500 Katholiken zählende katholische Mini-Gemeinde geschenkt bekommen – und zwar von den Muslimen am Ort. Am Ostacker mit seinen 3.500 Bewohnern funktioniert das Zusammenleben der Religionen Woche für Woche.
Die Gemeinsamkeit geht längst über Blumensträuße und Geschenke zu Weihnachten, zum Fastenbrechen, Zuckerfest und natürlich zu Ostern hinaus. Rund um die große Merkez-Moschee, Sankt Franziskus und die evangelische Markuskirche ist das friedliche Miteinander seit Jahrzehnten gewachsen – trotz des Wegzugs deutscher Familien. Angst vor einer Überfremdung, vor der Pegida meint warnen zu müssen, gibt es nicht.
Seelsorger wie der 2013 verstorbene Pater Rainer von Doorn und evangelische Pastoren wie Pfarrer Rüdiger Klemm arbeite(te)n dafür. Sie und ihre Gemeinden stehen für offene Türen. Im Pfarrhaus von Sankt Franziskus gibt Christel Plöderl mit ihren 85 Jahren wöchentlich Lebensmittel aus. Die mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete ehemalige Haushälterin von Pater Rainer sieht dabei viele arme Menschen, überwiegend Deutsche, aber nicht nur. Jugendliche treffen sich im Jugendzentrum der Markusgemeinde. 25 überwiegend muslimische Kinder kommen fünfmal wöchentlich zur Hausaufgabenhilfe im Sankt Franziskus-Spiel-Keller.
Dass Sankt Franziskus heute ohne große Finanzspritzen aus dem Bistumshaushalt und ganz ohne Hauptamtliche Glauben feiern und Sozialarbeit leisten kann, liegt an vielen Ehrenamtlern der Klein-Gemeinde. So stemmt die 77-jährige Hiltruper Missionarin Ulrike mit Freiwilligen die Hausaufgabenhilfe. Gesponsert wird alles von einer privaten Spenderin, der Entwicklungsgesellschaft Duisburg und von Rotariern.
„Wir leisten Sozialarbeit, begegnen uns im Alltag, und vertuschen keine Probleme“, sagt sie. Ihre Stimme klingt froh, sie selbst wirkt dabei zehn Jahre jünger. Dann nennt sie Beispiele: „Da waren 2013 die Zuwanderer aus Bulgarien, die am Ostacker für Verunsicherung sorgten. Frauen bei uns fühlten sich belästigt, es gab auch Einbrüche.“ Die Vertreter der Religionen kamen zusammen – und besprachen mit der Stadtteilmanagerin und dem Polizisten, was zu tun war. Schwester Ulrike: „Das, was uns drückt, gehen wir als Christen und Muslime gemeinsam an. “ Heute habe sich die Lage beruhigt, blickt die Schwester dankbar zurück.
Eine positive Bilanz über das Verhältnis zu den Muslimen zieht auch der Protestanten Pfarrer Klemm, der seit 25 Jahren für das Viertel unweit des großen Thyssen-Werks verantwortlich: Man sei längst hinaus über Debatten „Wie kann Gott einen Sohn haben?“ oder „Steht im Koran, dass Frauen ein Kopftuch tragen? „. Viele im Arbeiterviertel lebten wie gute Nachbarn im Dorf zusammen. Türkischstämmige Menschen, die heute dort als Familien zu Hause sind, seien einst im evangelischen Jugendzentrum groß geworden.
„Wenn mir eine Türkin beim Supermarkt-Einkauf schwere Taschen abnimmt, weiß ich, dass Begegnung schon unterhalb der so notwendigen Sprachkurse beginnt“, betont Schwester Ulrike. Und angesichts islamistischer Gewalt und populistischer Demos meint Pastor Klemm: „Wer einander kennt, braucht sich nicht zu fürchten.“(kna/iQ)