„Was bedeutet das eigentlich – bunt zu sein? Laut dem Duden ist bunt, das Gegenteil von grau, schwarz, weiß und benennt einen gemischten, vielgestaltigen Zustand, der wirr bzw. ungeordnet wirken kann.“ Erdoğan Karakaya schreibt, was bunt sein für ihn (nicht) bedeutet.
„Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft!“ ist aktuell der Lieblingsspruch jedes Politikers, der von den Mattscheiben dieser Gesellschaft in die Wohnstuben der Bürger_innen hineingrinst. Der Bund fördert Projekte, die alles machen können, was sie wollen, Hauptsache sie sind bunt. In jeglichen Medienanstalten wetteifern die Bürgermeister und Stadträte der unbekanntesten Ortschaften um das „bunt sein“, um ja nicht als „braun“ betitelt zu werden. Gegen Pegida in Sachsen fährt man sogar Grönemeyer auf, um klar zu stellen: „Wir sind bunt!“. Überall beteuern die Multiplikatoren in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit und gleichsam an universitären Einrichtungen die „Buntheit“ ihres Daseins.
Was bedeutet das eigentlich – bunt zu sein? Laut dem Duden ist bunt, das Gegenteil von grau, schwarz, weiß und benennt einen gemischten, vielgestaltigen Zustand, der wirr bzw. ungeordnet wirken kann. Bunt ist, wenn die Farben gesättigt sind und dadurch sehr hell und leuchtend zu sein scheinen.
Aktuell ist bunt, neben den Bildern von Kindergartenkindern, wohl eher die Vorstellung einer idealen Ordnung unserer Gesamtgesellschaft. Mögliche Zukunftsaussichten werden in das „Hier und Jetzt“ hineinprojiziert, damit man es als Gegenmittel für Phänomene wie HogeSa in Köln, Pegida in Dresden, das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien, die zahlreichen Angriffe auf Moscheen und junge Muslim_innen nutzen kann.
Dummerweise funktioniert dieses Gegenmittel nicht gegen das Gift der Diskriminierung. Neue Initiativen und Gegendemonstrationen zeigen Präsenz, jedoch sind diese kurzweilig, da es in Zeiten der Eventmentalität aller höchstens dafür ausreicht, bei Facebook ein Foto von der Demonstration reinzustellen, um die eigene Vermarktungsstrategie weiter voranzutreiben.
Ich habe das Gefühl, zumindest möchte ich mir das in einem naiven Moment einreden, jeder wüsste, was eine bunte Gesellschaft ausmache. Jeder wüsste, dass es gleichberechtigte und gerechte Zugänge zu den Ressourcen unserer Gesamtgesellschaft gibt, egal welchen Geschlechts, welcher körperlichen Einschränkung, Religion, Hautfarbe und welchem sozialen Milieu man angehört. Genau in diesem kindlich naiven Moment verliebe ich mich in den Gedanken, einem „bunten Haufen toller Menschen“ in meinem Alltag zu begegnen.
Mein Alltag enttäuscht mich. Tag um Tag, in der bunt sein zu einer Farce wird und ad absurdum geführt wird, wenn gerade eine ältere Dame mit kulturellen Zusatzqualifikationen vom Grenzzollbeamten angepöbelt wird, warum sie denn kein Deutsch spreche, obwohl sie schon so lange in Deutschland lebe. In solch einer Situation kracht die harte Realität in meinen Alltag und weckt mich aus meiner einfältigen Träumerei. Vielleicht wissen tatsächlich alle in unserer Gesamtgesellschaft – außer mir – was bunt ist, aber ich kann zumindest sagen, was nicht bunt ist!
Nicht bunt ist es, wenn jeder denkt, man dürfte den Integrationsbeauftragten mimen. Bunt ist nicht, wenn eine Polizistin trotz mehrmaligen Ansprechens, neben deiner Hidschab tragenden hochschwangeren Frau eine Kippe nach der anderen anzündet. Bunt ist nicht, wenn am Morgen, bevor du zur Arbeit fahren willst, eingekratzte Hakenkreuze auf deinem Auto siehst und die Polizei dies als „Lausbubenstreich“ abtut. Bunt ist nicht, wenn wieder ein farbiger junger Mann am belebten Hauptbahnhof ohne jeden ersichtlichen Grund kontrolliert wird. Bunt ist nicht – wenn hunderte gar tausende junge Muslim_innen mit Hidschab Probleme dabei haben, einen Referenderiatsplatz zu finden, geschweige denn als künftige Lehrerin eingestellt zu werden. Bunt ist nicht, wenn einem bei Türkeistämmigkeit immer noch die Dönerbude oder der Gemüsehändler um die Ecke einfällt. Bunt ist nicht, wenn die kulturalisierende Haltung uns darin hindert, Menschen um ihretwillen kennen lernen zu wollen. Bunt sein ist nicht, wenn mit „deutsch sein“ nur die christliche Konfession vereinbar erscheint. Bunt ist nicht, wenn hochausgebildete junge Mütter keine Arbeitsplätze finden, weil sie sich für eine Familie entschieden haben. Bunt ist nicht, wenn die Bewerbung selektiert wird, weil man Muhammad heißt. Bunt ist nicht, wenn in jeder universitären Ausschreibung pro forma drinsteht, dass Menschen mit Behinderungen bevorzugt werden, jedoch sie eigentlich fast keine Chance bekommen.
Wenn bunt sein, das bloße passive Vorhandensein von unterschiedlichen Konfessionen, kulturellen Zusatzqualifikationen und Sprachen in der Gesamtgesellschaft sind, dann ist es ein lächerliches Armutszeugnis unserer Bundesrepublik.
Ist es jedoch das sichtbare „Vorhandensein“ jener unterschiedlichen Farben, in Ämtern, Schulen, öffentlichen und kirchlichen Einrichtungen und Berufszweigen – dann bin ich dabei!
Zu behaupten, „Wir sind bunt“ ist eine Zielvorgabe an die Gesamtgesellschaft, jedoch nicht der Momentanzustand unseres Miteinanders. Alles andere entbehrt jeglicher Realität und ist Augenmalerei einer Gesellschaft, die Tag um Tag das Gefühl bekommt, heimatlos zu sein.