Blasphemie-Paragraf

Was darf Satire? Alles!?

Nach den Anschlägen von Paris begann erneut eine Diskussion über Presse- und Kunstfreiheit. Wo liegen die Grenzen? Hören sie dort auf, wo das Allerheiligste anderer Menschen beginnt? Einen juristisch fundierten Überblick gibt Funda Yol-Gedikli.

24
02
2015

Die Anschläge von Paris lösten eine Welle der Empörung aus. Grund für die terroristischen Anschläge gegen die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo waren die sog. Muhammad-Karikaturen. Danach folgte in Deutschland erneut eine Diskussion: Soll der sog. „Gotteslästerungs-Paragraf“ abgeschafft oder doch eher verschärft werden? Viele Politiker, insbesondere aus den Reihen der CDU/CSU, wollen die Verschärfung des „Blasphemiegesetzes“, andere wiederum dessen Streichung. Die Aufhebung wird insbesondere von Politikern aus den Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen und den Linken gefordert. Man betrachtet den Paragrafen für überholt und nicht mehr zeitgemäß.

Prof. Dr. Hillgruber, der sich ebenfalls für die Verschärfung des § 166 Strafgesetzbuch (StGB) ausspricht, begründet seine Meinung insbesondere damit, dass der Paragraf ansonsten zur Bedeutungslosigkeit verkümmere.¹ Henryk M. Broder wirft Prof. Hillgruber „Islamisierung“ vor und spricht sich für die Abschaffung des Paragrafen aus.² Um jedoch den Streitstand zu verstehen, muss man sich intensiver mit der bestehenden gesetzlichen Regelung auseinandersetzten. In Deutschland ist die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe gestellt.

Der sog. „Gotteslästerungsparagraf“ wurde mit dem 1. Strafänderungsgesetz im Jahre 1969 neu gefasst:

„§ 166 StGB: Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Maßstab: der öffentliche Frieden

Das geschützte Rechtsgut ist nach der herrschenden Meinung nicht etwa das Bekenntnis oder die „Ehre Gottes“, sondern der sog. „öffentliche Frieden“. Dieser ist ein objektiver Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das subjektive Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Gestört ist der Frieden nur dann, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik, mindestens aber unter einer nicht beträchtlichen Personenzahl, etwa „einem Bevölkerungsanteil“ vorliegt. Ein Bevölkerungsanteil liegt dann vor, wenn es sich um eine zahlenmäßig nicht unerhebliche Personenmehrheit vorliegt, die als unterscheidbarer Teil der Bevölkerung abgrenzbar ist, handelt.
Der Straftatbestand aus juristischer Sicht ist nur dann verwirklicht, wenn das Beschimpfen den „öffentlichen Frieden“ stört. Diese Tathandlung (das Beschimpfen) wird als eine besonders gravierende und herabsetzende Äußerung beschrieben. Das Verspotten oder auch das „Lächerlich-Machen“ reicht nach gängiger Rechtspraxis nicht aus, wenn eine aggressive Tendenz bei der Äußerung fehlt.

Die praktische Umsetzung dieser Einschränkungen, dass das Beschimpfen den „öffentlichen Frieden“ stören muss und dazu noch eine aggressive Tendenz verlangt wird, geht in der Regel zu Lasten von Minderheiten. Diese können nämlich für sich nicht in Anspruch nehmen, einen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung darzustellen. Karikaturen fallen „Satirikern“ zufolge unter die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit. Dies wird auch so vom Bundesverfassungsgericht betrachtet. Dieser legt aufgrund des vertretenen „offenen Kunstbegriffs“ ein weites Verständnis für Kunst dar. Zur Debatte stehen nun die Grenzen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit mit Rücksicht auf die Religion.

Darf Satire alles?

Auf die Frage „Was darf Satire?“ wird oftmals als Rechtfertigung von Kunst auf die Antwort des Schriftstellers Kurt Tucholsky zurückgegriffen: „Alles!“.³ Was Schriftsteller allerdings mit Grenzen meinen, stimmt nicht immer mit dem Recht überein. Unter Juristen ist unstrittig, dass es auch für Freiheitsrechte Grenzen gibt. Keine Freiheit ist schrankenlos gewährleistet. Dies gilt ebenso auch für die Kunstfreiheit, die auf den ersten Blick schrankenlos gewährleistet scheint. Denn auch schrankenlos gewährleistete Grundrechte finden durch die anderen Grundrechte ihre Schranken, sog. „immanente Schranken“.
Auch wenn die betreffenden Grundrechte für eine freiheitliche Demokratie „schlechthin konstituierend“ sind, finden sie ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzten, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Dies sind zumindest die genannten Grenzen für die Meinungs- und Pressefreiheit.

Auch im europäischen Recht ist eine schrankenlose Gewährleistung nicht gegeben. In Art. 10 Abs. 2 EMRK heißt es, dass „die Ausübung dieser Freiheiten mit Pflichten und Verantwortung verbunden [ist]; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“ Die These, die auch nach den Anschlägen von Paris immer wieder vertreten wird, dass nämlich die Meinungsfreiheit nicht einzuschränken sei, ist damit unzutreffend.

Unbestimmte Grenzen

Wo genau die Grenzen verlaufen, ist nach aktueller Rechtslage in Deutschland nicht ganz nachvollziehbar. Eine Grenze zu ziehen erweist sich insbesondere deswegen als schwierig, weil der Staat dem Neutralitätsgebot untersteht. Das heißt der Staat darf die Freiheit, sich eine Meinung zu bilden, nicht bewerten bzw. zensieren. Die Grenzen werden allgemein dort gezogen, wo die Meinungen sozialschädlich oder friedenstörend werden. Es besteht daher auch kein Zweifel daran, dass auch die Religionsfreiheit der Kunst- oder Meinungsfreiheit Schranken setzten vermag.

Jedoch stellt sich die nächste Frage: Liegt eine Beeinträchtigung bereits vor, wenn etwa das religiöse Empfinden von Menschen beeinträchtigt wird? Das religiöse Empfinden als solches gehört nicht zu den Rechtsgütern, die gegen die Beeinträchtigung von privaten dritter Seite grundrechtlich geschützt sind. Religionsfreiheit ist garantiert, nicht aber der „Ehrschutz“ einer Religion als solche. Es kann niemand z. B. von Atheismus verschont bleiben oder grundrechtlich in Anspruch nehmen, dass seine religiöse oder moralische Anschauung unangefochten oder angegriffen bleibt.

Unstrittig ist jedoch, dass wenn man als Person herabgewürdigt wird, dies einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt. Dieses Grundrecht verleiht einem den Anspruch auf Geltung und Achtung. Eine Kollektivbeleidung käme ebenfalls in Betracht, wenn es eine individuelle Aufschlüsselung des Kollektivs geben kann. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabwürdigende Äußerung bezieht, desto schwächer ist auch die persönliche Betroffenheit des Einzelnen.
Auch wenn möglicherweise die persönliche Betroffenheit eines Einzelnen nicht nachgewiesen werden kann, kann ein Verstoß gegen den Toleranzgedanken vorliegen. Aus dem Toleranzgedanken heraus sind der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit Grenzen gesetzt worden. Erforderlich ist daher in jedem Einzelfall eine Werteabwägung, bei der die Werte der Toleranz und der Achtung auf der personalen Würde basierenden gesellschaftlichen Kommunikation und eines friedlichen Zusammenlebens einerseits und die Bedeutung der Freiheitsgrundrechte für eine offene pluralistische Gesellschaft andererseits abzuwägen sind.

Fazit

Eine Gesamtbetrachtung führt dazu, dass sich nach dem aktuellen Recht für die satirische Äußerung glaubensbezogener Kritik keine nennenswerten Grenzen ergeben. Der „Blasphemie-Paragraf“ wird zum aktuellen Stand nur dann angewendet, wenn ein abgrenzbarer Bevölkerungsteil aggressive Tendenzen aufweist, bevor eine Strafbarkeit eintritt. Der Paragraf wird ungenügend und zu restriktiv angewendet. Freilich hat der § 166 StGB in seiner Praxis nicht den Schutz der Häretiker vor der Mehrheit bewirkt: Eine Strafverfolgung der Beschimpfung von „Minderheitenreligionen“ ist bis zum heutigen Tage nicht bekannt. Daher ist davon auszugehen, dass der § 166 StGB nach aktueller Fassung an der jetzigen Rechtsprechung bzgl. der Anwendung zu Gunsten der Minderheiten nicht erfolgsversprechend sein wird.

Plädoyers wie von Ron Steinke oder Henryk M. Broder, die die Streichung des Paragrafen fordern, verkennen die politische Wirkung solch eines Verhaltens. Ferner missverstehen sie auch die Bedeutung der Freiheitsgrundrechte, denn Freiheiten haben auch ihre Grenzen. Die Grenze ist dort erreicht, wo die Freiheit des anderen verletzt.
Wenn Henryk Broder durch die Achtung geltender Gesetze eine vermeintliche Islamisierung durch Juristen sieht, verkennt er die Grundbausteine unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Kunstfreiheit ist wie auch der Toleranzgedanke ein schützenswertes Gut. Übelste Verunglimpfungen unterschiedlicher Bekenntnisse dürfen nicht mit falscher Rücksicht auf die Meinungs- oder Kunstfreiheit toleriert werden. Eine Aufforderung an Verrat an dem Grundgedanken der Aufklärung durch Achtung und Vollzug der geltenden Rechtsordnung ist nicht ersichtlich.

Wer bewusst religiöse Empfindungen anderer Menschen denunziert, sollte auch mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Es kann nicht sein, dass man seine eigene Freiheit auf Kosten anderer unter erheblicher Einschränkung auslebt.
Angemerkt werden sollte auch, dass ein sog. Presse-Kodex in Deutschland vorhanden ist, der vom deutschen Presserat verabschiedet wurde. Dieser ist zwar nicht verbindlich, jedoch halten sich dennoch regelmäßig viele – auch freie Mitarbeiter – an diesen. Dieser besagt u. a., dass „die Presse [darauf] verzichtet, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.“ Vielleicht sollten sich die Vertreter der Presse, die religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen schmähen, an ihrer eigenen „Medienethik“ orientieren. Den Abschluss soll ein Ausspruch des Propheten Muhammad bilden: „Toleriere, damit du toleriert wirst!“

Fußnoten:
(1) Aufsatz von Prof. Dr. Hillgruber in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28.01.2015 mit dem Titel „ Ein Integrationshindernis ersten Ranges“. Prof. Dr. Hillgruber ist Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der rechtwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Bonn.
(2) Artikel von Henryk M. Broder in der Welt am 28.01.2015 mit dem Titel „Wenn Juristen die Islamisierung vorantreiben“.
(3) Die Frage wurde Kurt Tucholsky im Jahre 1919 gestellt. Tucholsky war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Zugleich war er Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor, Lyriker und Kritiker.

Leserkommentare

Ignaz Wrobel sagt:
Sicherlich lesenswert, was Bundesrichter Thomas Fischer in der ZEIT dazu schrieb. Fischer kommt zu einem deutlich anderen Verfassungsverständnis: "Ist Gotteslästerung ein notwendiger Straftatbestand? In einem aufgeklärten Staat ist eine Strafnorm zum Schutze bestimmter Weltanschauungen überflüssig und rückständig"
09.03.15
14:02
charley sagt:
Hintergrund des Artikels ist ja wohl die "Beleidigung Mohammeds" oder "Beleidigung Allahs". Es gibt im Deutschen die " beleidigte Leberwurst". Im Beleidigtsein spricht sich auch immer Kleinheit der Person und Eitelkeit aus. Wie soll jemand, "Gott" oder ein "Erleuchteter", der also um sein eigenes wahres Wesen weiß, überhaupt " beleidigt" sein können? Es werden also nur die VORSTELLUNGEN, die sich manche von Gott usw. machen "beleidigt". Unter Racheandrohungen fordern sie Schweigen! Dieses Verkrampftsein von Muslimen wird gemeinhin belächelt. Wieviel Angst und Schwäche steckt dahinter, wenn man befürchtet, Allah, " Mohammes" Ufer der Islam könnte durch Witze "entwürdigt" oder irgendwie "geschädigt" werden. Eine tief innen verankerte, erlebte Spiritualität verträgt nicht nur Witz und Satire sondern benutzt diese, um sich in seiner menschlichen Relativität vor Fanatismus zu schützen. Der jiddische Witz könnte da Vorbild sein!
17.11.15
15:40
charley sagt:
Sorry Tippfehler (Handy), der Satz sollte heißen: "Wieviel Angst und Schwäche steckt dahinter, wenn man befürchtet, "Allah", " Mohammed" oder "der Islam" könnte durch Witze "entwürdigt" oder irgendwie "geschädigt" werden."
17.11.15
15:48
charley sagt:
Ein Jude klagt dem Rabbi sein Leid: "Rabbi," sagt er, "was soll ich machen? Hab ich gehabt einen Sohn, einen scheenen Sohn, einen guten Sohn, einen frommen Sohn. Hab ich gamacht für ihn ein schönes Testament. Und nu hat mein Sohn sich lassen taufen!" "Wai," sagt der Rabbi, "das hab ich auch erlebt: Hab' auch ich jehabt einen Sohn, einen schönen Sohn, einen guten Sohn, einen frommen Sohn. War auch für ihn schon jamacht ein scheenes Testament. Und hat sich taufen lassen!" "Gewalt jeschrien, Rabbi, und was haste jemacht in der Not?" Nu - hab ich mich gewandt an Gott den Herrn um Rat. Und Gott, was hat er gesagt? 'Rabbi,' hat er gesagt, 'das hab ich selbst schon erlebt. Hab ich auch jehabt einen Sohn, einen scheeen Sohn, einen guten Sohn, einen frommen Sohn. Hatte ich auch schon gemacht ein schönes Testament und hat sich auch mein Sohn taufen lassen.' - 'Und Gott, Du gerechter,' frag ich: 'Was haste dann getan?' 'Nu sagt Gott, was sollte ich tun? Hab ich jemacht ein Neues Testament...'"
17.11.15
16:18