Moschee-Alltag

„Integrieren, ohne sich selbst zu verraten“

Nach dem terroristischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ fühlten auch Muslime in Deutschland sich und ihre Religion zu Unrecht kritisiert. Oft müssen sie sich für ihren Glauben rechtfertigen. Der Moschee-Alltag einer Nürnberger-Gemeinde zeigt, welche Sorgen und Gedanken Muslime teilen.

25
02
2015

Nach nur wenigen Schritten ist man in einer eigenen kleinen Welt: In die Eyüp Sultan Moschee in der Nürnberger Südstadt – die größte Moschee in Bayern – kommen jeden Freitag bis zu 2500 gläubige Muslime zum Beten und zum Diskutieren. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ ist hier immer noch Thema.

„Was in Paris passiert ist, betrifft jeden hier“, sagt Ilhan Postaloglu. Der Elektromeister war früher im Vorstand der Eyüp Sultan Moschee. Heute ist er Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt. Natürlich verurteile er den Anschlag. Eines mache ihn jedoch traurig: „Wenn ein muslimischer Mensch etwas getan hat, stehen alle Muslime am Pranger.“

Auch die islamkritische Pegida-Bewegung bereite den Muslimen hier Sorgen: „Viele haben Ängste“, sagt Postaloglu – Ängste, was in Deutschland Muslimen angetan werden könnte. „Wir sind alle Menschen dieser Stadt und Bürger dieses Landes“, betont er. Man dürfe Rechtsradikalen und Islam-Feinden daher keinen Platz geben.

pädagogische Radikalismus-Prävention

Natürlich gebe es auch unter den Muslimen „faule Äpfel“, gibt er zu. Er fürchtet vor allem Gläubige, die erst spät zum Islam übertreten. „Viele Konvertiten werden desinformiert“, sagt er. Weil sie nicht mit dem Koran aufwachsen, seien sie „wie die Schafe und glauben alles, was man ihnen erzählt“. Viele von ihnen legten den Koran dann viel zu eng aus. Kürzlich habe ein Konvertit zu ihm gesagt, er dürfe keine Krawatte tragen. „Doch zur Zeit des Propheten gab es keine Krawatten.“ Nirgendwo stehe, dass das verboten sei.

Moschee-Vorstand Fikret Bilir wünscht sich daher ausgebildete Pädagogen, die mit den muslimischen Jugendlichen sprechen – auch über Radikalismus. Bisher machen das nur die Imame und Ehrenamtliche. Das sei das Problem. „Imame sind Religionsfachleute und keine Pädagogen. Wir haben jedoch nicht die Mittel für Fachleute.“ Die Moschee finanziert sich ausschließlich durch Spenden und Beiträge. Bilir fordert daher die Anerkennung als Religionsgemeinschaft, um staatliche Unterstützung zu bekommen.

„Das Problem ist der Fanatismus“, sagt auch Ertan Topcu. „Glauben, ohne zu wissen.“ Der Mechatroniker aus Istanbul kommt nicht zum Beten in die Moschee, sondern er geht hier zum Friseur. „Ich bin nicht religiös. Ich bin daher eher unbeliebt unter den Muslimen“, sagt der 45-Jährige. Dennoch hat er sich viel mit dem Islam beschäftigt. Er faste beispielsweise. Diese Tradition gebe es in fast jeder Religion.

Moschee als Treffpunkt der Gemeinde

Ein Mädchen aus der Moschee erzählt der Religionsbeauftragten der Moschee Perihan Ayvali, eine Lehrerin habe zu ihr gesagt, die Türken integrierten sich in Deutschland nicht. Das Mädchen fragt, wie es darauf reagieren soll. Ayvali antwortet, die Lehrerin habe bestimmt schlechte Erfahrungen gemacht. Das Mädchen solle verständnisvoll sein und alles, so gut es könne, erklären.

Für die Muslime in Nürnberg ist die Moschee Treffpunkt und Zentrum der Gemeinde. Es gibt hier einen Friseur, eine Teestube, eine Buchhandlung und eine Bestattungsfirma. „Die Menschen kommen wegen des Zusammenhalts», sagt der Imam Talha Dogan.

Der Vorbeter hält an diesem Freitag das Mittagsgebet. Dabei wird es jede Woche extrem voll in der Moschee. Im Gebetsraum drängen sich die Gläubigen, genauso im Vorraum. Viele Männer setzen sich daher auf Matten direkt hinter den Eingang oder in den Aufenthaltsraum nebenan. Sehen können sie den Imam von dort zwar nicht, doch sein Gebet wird per Lautsprecher übertragen. Bis zu 2500 Menschen kommen jede Woche – aus Nürnberg und Umgebung, sogar aus dem knapp 50 Kilometer entfernten Neumarkt. Das Mittagsgebet am Freitag ist das wichtigste der Woche und die Anwesenheit in der Moschee Pflicht für jeden männlichen Gläubigen. „Wenn ich nicht krank bin, bin ich jeden Freitag hier“, sagt Ilhan Postaloglu. Sein Glaube ist ihm sehr wichtig.

Der Imam rezitiert laut beim Gebet die Koranverse. Sein Arbeitstag beginnt um 6.00 Uhr. Sechs Tage in der Woche ist Talha Dogan in der Moschee – meist bis spätabends. Der 27-jährige Religionsbeauftragte ist einer von 20 deutschsprachigen Imamen hierzulande. In Hamburg aufgewachsen, bekam er seine religiöse Ausbildung in der Türkei, auch bezahlt wird er vom türkischen Staat. Seit zwei Jahren ist er in Nürnberg. Neben den Gebeten gibt Dogan Koran-Unterricht, schließt Ehen und ist für rituelle Gebete etwa bei Bestattungen zuständig. Auch sonst ist er Ansprechpartner in allen Lebensfragen. Wenn er nicht gerade vorbetet, trägt er oft einen schlichten schwarzen Anzug.

Frauenbereich in der Moschee

Frauen dürfen das Freitagsgebet zu Hause erledigen. Auch sonst sind Frauen und Männer in der Moschee getrennt. Für das Gebet haben die weiblichen Gläubigen einen Extra-Raum. Dies soll die Konzentration bei beiden fördern. Auch im Haupthaus der Moschee sind weit und breit nur Männer zu sehen. Die Unterrichts- und Aufenthaltsräume für die Frauen sind im hinteren Teil des Gotteshauses. Für die Jungen gibt es im Keller Tischtennis und Billardtische.

Eine halbe Stunde nach dem Mittagsggebet kehrt wieder Ruhe ein. Die jungen Männer eilen nach ihrer Mittagspause zurück an die Arbeit. Die älteren stehen noch eine Weile bei Gesprächen im großen Hof oder sie gehen in die Teestube. Die Atmosphäre dort gleicht einer Kantine in einem Unternehmen. Ein Minarett gibt es in Nürnberg nicht. In der Moschee werden auch verschiedene Kurse und Nachhilfeunterricht angeboten. Gesprochen wird türkisch. Viele ältere Männer und Frauen können kein Deutsch oder nur ein paar Brocken.

Im Islam-Unterricht spricht Koran-Lehrerin Perihan Ayvali mit den knapp 50 Frauen und Mädchen diesmal über das Gebet. Sie fragt nach den „Ausreden“, die sie haben, um nicht fünfmal am Tag zu beten. „Wie auch jeder Christ nicht jeden Sonntag in der Kirche ist, betet auch nicht jeder Muslim jeden Tag fünfmal“, sagt Hatice Dursun. Die 21-jährige Studentin ist eine der wenigen Frauen in der Gruppe, die ein Kopftuch tragen. Ayvali fordert die Schülerinnen auf, die Bedeutung der arabischen Suren zu lernen. Als sie fragt, was ein bestimmter Vers bedeutet, weiß es niemand. Die jungen Frauen zücken ihre Smartphones und suchen im Internet.

Ihre Religion und den Alltag in Deutschland miteinander zu verbinden, ist das Ziel der Frauen. „Wir wollen uns integrieren, aber nicht selbst verraten“, sagt die Studentin Hilal Kavil. Die 21-Jährige sagt, Toleranz sei wichtig. Doch gerade Karikaturen des Propheten träfen jeden gläubigen Muslim. Deswegen könnten die wenigsten über Mohammed-Zeichnungen wie in „Charlie Hebdo“ lachen. Auch Hatice Dursun sagt: „Wir lieben den Propheten mehr als unsere Mutter oder unseren Vater. Da ist es manchmal schwer, tolerant zu sein.“ Sie sieht ihre Religion jedoch als etwas, das Halt und Frieden gibt und in vielen Dingen auch Spielräume lässt. Die 21-Jährige ist sich sicher: „Wenn die Menschen den Islam besser kennen würden, hätten sie keine Angst mehr davor.“(dpa/iQ)

Leserkommentare

Margot sagt:
Wie kann denn die Gemeinde behaupten, sie bekäme keine staatlich Unterstützung, wenn doch zumindest der Imam sein Gehalt aus der Türkei bekomm? Wenn das keine finanzielle Unterstützung des (türkischen) Staates ist, wüßte ich nicht, was man sonst finanzielle Unterstützung nennen sollte. Die Gemeinde möchte also von zwei Staaten finanziert werden, von Deutschland und von der Türkei. Zum Thema Frauen sage ich mal lieber nichts. Die werden in hintere und abgelegene Bereiche abgeschoben und finden das auch noch gut. Lustig ist auch, dass so getan wird, als hätte die Lehrerin wohl aufgrund irgendwelcher schlechter Erfahrungen mit Ausnahme-Türken die Fehleinschätzung, Türken würden sich schlecht integrieren (obwohl das natürlich gar nicht stimm). Und doch wir im drittletzten Absatz dann Türkisch gesprochen, weil viele ältere Männer und Frauen kein Deutsch oder nur ein paar Brocken können. Als würde die Sprache nicht zur Integration gehören! Übrigens wird niemand gezwungen, über Mohammed-Karikaturen zu lachen. Ich lache auch nicht über jede Karikatur. Es sollte aber klar sein, dass das noch lange nicht berechtigt, die Karikaturisten zu Ermorden. Christen müssen schließlich auch damit leben, dass der Sohn Gottes von Muslimen zum Propheten degradiert wird.
26.02.15
16:02