Benachteiligung aufgrund der Herkunft oder Religion gibt es überall – auch in Deutschland. Ob jemand „voll integriert“ und qualifiziert ist, spielt dabei keine große Rolle. Die Stereotype und Vorbehalte sitzen nunmal fest in den Köpfen. Wie sich diese im Alltag bemerkbar machen, schreibt Sebahat Özcan, ausgehend von einer (leider) wahren Geschichte.
Rabias weißes Kopftuch flattert im Wind. Sie fühlt sich frei wie ein Vogel. So groß ist die Erleichterung. Nach einem jahrelangen harten Pharmaziestudium ist sie nun Pharmazeutin. Ganz unkontrolliert lächelt sie über ihr ganzes Gesicht. Sie hat ihr zweites Staatsexamen tatsächlich mit einer 1,7 bestanden. Sie hat zahlreiche Bewerbungen losgeschickt. Wenn sie angenommen wird, ihr praktisches Jahr zu Ende bringt und ihr drittes Staatsexamen besteht, ist sie endlich Apothekerin.
Zuhause angekommen, legt sie ihre Tasche ab. Ihr Mann begrüßt sie. „Herzlichen Glückwunsch“, grinst er freudig, „du hast morgen um 10 ein Bewerbungsgespräch.“ Rabia macht fast einen Luftsprung. „Super!“, ruft sie glücklich und macht sich direkt an die Vorbereitungen.
Am nächsten Tag ist Rabia in einer renommierten Apotheke in Frankfurt. Groß, hell und freundlich. Sie fühlt sich wohl. „Hier würde ich so gerne arbeiten!“, denkt sie sich. Das Gespräch läuft bestens. So gut, dass Rabia fast keine Zweifel daran hat, angenommen zu werden. Die Apothekenleiterin erhebt sich und reicht Rabia die Hand, Rabia tut es ihr gleich. „Schön, ich freue mich, Sie in unserem Team zu haben“, sagt die Leiterin.
Ganz sichtlich fällt ihr noch etwas ein: „Ehm, noch etwas. Eigentlich habe ich keinen Zweifel daran, aber ich möchte es trotzdem vorsichtshalber ansprechen. Dass Sie mit Kopftuch nicht arbeiten können, ist Ihnen klar, oder?“ Es ist wie ein schlechter Scherz, der Rabia aus ihrem Märchen reißt. Rabia ist ein wenig verwirrt. „Ich dachte, es sei kein Problem. Es steht doch sonst nichts im Weg?“ Die Apothekenleiterin lässt Rabias Hand los. Auch sie ist ein wenig verwirrt.
Anscheinend hat sie das nicht erwartet. „Ich sehe es als selbstverständlich an, dass eine Frau mit Kopftuch nicht in einer solch renommierten Apotheke arbeiten kann.“ Sie lässt sich langsam auf ihren Sessel zurückfallen. Rabia bleibt stehen und sieht sie erwartungsvoll mit großen Augen an. „Passiert das gerade wirklich?“, staunt sie und will es nicht glauben.
„Ich toleriere natürlich ihre Religionszugehörigkeit. Das ist ja ganz schön an etwas zu glauben, aber ich kann Sie doch nicht immer verstecken, wenn Kunden kommen. Immerhin müssen Sie hier Menschen beraten und betreuen. Was soll ich denen denn sagen, wenn sie mich darauf ansprechen? In meiner Apotheke kann keine Frau mit Kopftuch hinter der Theke stehen.“ Wie viele andere geht sie wohl davon aus, das Kopftuch stünde für die Unterdrückung der Frau und nicht für ihre Freiheit. „Wie Sie daran glauben, kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber ich kann sowas nicht unterstützen.“
Sie sieht Rabia entschlossen in die Augen. Dann lächelt sie ermutigend: „Sollten Sie Ihre Meinung bezüglich des Kopftuches ändern, sind Sie bei uns herzlich willkommen. Ich kann es mir nicht leisten, Kunden zu verlieren.“