Die Anschläge von Paris und Kopenhagen in diesem Jahr haben den dänischen Karikaturenstreit von 2005/06 wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die deutsche Politikwissenschaftlerin Jana Sinram hat ihn wissenschaftlich untersucht – und zeigt im Interview die Hintergründe rund um Pressefreiheit und Einwanderungspolitik auf.
Frau Sinram, Ihr Buch war gerade erschienen, als das Thema wieder tagesaktuell wurde. Haben Sie damit gerechnet?
Sinram: Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht damit gerechnet. Der Anschlag auf «Charlie Hebdo» im Januar hat mich sehr erschreckt. In Dänemark sind aber prinzipiell nicht wenige davon ausgegangen, dass es irgendwann einen Terroranschlag geben könnte; es gab ja viele Drohungen gegen die Zeitung «Jyllands-Posten» und gegen die einzelnen Karikaturisten.
Nach den Anschlägen von Paris waren ja fast alle Charlie. Sie auch?
Sinram: Nein, diesen Impuls hatte ich nicht. Das heißt nicht, dass ich den furchtbaren Anschlag in irgendeiner Weise gutheiße. Es ist schrecklich, wenn Karikaturisten für das, was sie zeichnen, umgebracht werden. Aber ich kann mit den Karikaturen von «Charlie Hebdo» nicht viel anfangen. Sie sind mir zu sexistisch und vermitteln teilweise zu stark das Bild eines «Wir» gegen «die Anderen». Der Anschlag und die anschließenden Verurteilungen haben bei mir nicht dazu geführt, dass mir die Mohammed-Karikaturen des Magazins mehr zusagen.
Sollten Pressefreiheit und Satire also doch eine Grenze haben?
Sinram: Grundsätzlich sind sowohl Satire als auch Pressefreiheit unbegrenzt. Ich lehne islam- oder religionskritische Karikaturen nicht grundsätzlich ab. Entscheidend sind die Motive, die dahinter stehen. Dient eine Karikatur dazu, etwas auf die Spitze zu treiben und einen gesellschaftlichen Missstand aufzudecken? Oder geht es darum, jemanden konkret zu verletzen, um reine Provokation, die nur aussagt: Wir dürfen das, und was ihr darüber denkt, ist uns völlig egal? Oder, um Voltaire abgewandelt zu zitieren, auch wenn ich alles dafür tun würde, dass «Charlie Hebdo» veröffentlichen kann, was die Redaktion will, so gefallen mir viele der Karikaturen nicht, insbesondere die auf reine Provokation angelegten.
Muslime werden immer wieder als besonders empfindlich bezeichnet, was Karikaturen angeht …
Sinram: Das ist eine problematische Unterstellung, wenn sie so pauschal getroffen wird. Ich finde es bedenklich, dass manche Medien Mohammed-Karikaturen als ultimative Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit vor sich hertragen. Dabei sind sie inzwischen oftmals eine vorhersehbare, gezielte „Superprovokation“.
Gibt es insofern Parallelen zwischen dem dänischen Karikaturenstreit und Charlie Hebdo?
Sinram: Es gibt Zusammenhänge: Die ersten Mohammed-Karikaturen, die «Charlie Hebdo» gedruckt hat, waren eine Reaktion auf den Streit um die dänischen Karikaturen. In Dänemark selbst ging es vielen Muslimen damals aber gar nicht so sehr um die Darstellung des Propheten, sondern um den gesammelten Abdruck der zwölf Karikaturen zusammen mit verletzenden Texten, und ganz generell um eine Stimmungsmache gegen Einwanderer. Es greift zu kurz, wenn Medien diesen Kontext nicht beachten und die Karikaturen behandeln, als seien sie die Speerspitze der Satire- und Meinungsfreiheit.
Geht es bei solchen Auseinandersetzungen überhaupt um Religion?
Sinram: Es geht auch um Religion, aber nicht in erster Linie. Genauso wenig ging es bei den dänischen Karikaturen um Pressefreiheit, sondern vor allem darum, wie die Gesellschaft mit Einwanderern umgeht.
Wie sieht dieser Umgang in Dänemark aus?
Sinram: Es gibt eine über Jahre hinweg gewachsene Selbstwahrnehmung sowohl in der dänischen Politik wie auch in den Medien, die ich bedenklich finde. «Wir freiheitlichen Dänen, wir haben die Gleichberechtigung der Geschlechter und freiheitliche Werte, wir sind toll. Und die Einwanderer, speziell die Muslime, verstehen das einfach nicht – sie sollen sich also entweder unseren Werten anpassen oder dahin gehen, wo sie hergekommen sind.» Insofern geht es weniger um Religion als um Vorurteile. Um Menschen erfolgreich zu
integrieren, muss man sie meines Erachtens aber mit Respekt behandelt.
Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass es auch heute noch schwer ist, als praktizierender Muslim in Dänemark akzeptiert zu werden. Wird sich die Lage nach dem Anschlag von Kopenhagen noch verschärfen?
Sinram: Durch den Karikaturenstreit ist damals auch ein positiver Dialog entstanden. Momentan habe ich aber den Eindruck, dass die Diskussion sich wieder verschärft. In diesem Jahr wird in Dänemark gewählt, und in Umfragen haben die Rechtspopulisten immer so um die 20 Prozent, wären also die zweit- oder drittstärkste Kraft. Laut einer aktuellen Befragung sehen die Dänen Einwanderung und Integration als die drängendsten Probleme. Das Thema wird also im Wahlkampf sicher wieder eine große Rolle spielen. (KNA)